Der Kustom Kaiser hat mit seiner Harley-Davidson Shovelhead, einem rotzigen Oldschool Chopper, ordentlich Wellen geschlagen

Johannes und seine Harley-Davidson Shovelhead, unserer Chefin fällt das Duo erstmals beim Vatertagstreffen in Huttenheim auf. Wie der Kaiser auch, ist sie Gast auf einer Traditionsveran­staltung im erweiterten Großraum Heidelbergs. Analog zum alten Kaiser Gaius Julius, der kam, sah und siegte, erlebt sie hier einen recht jungen Kaiser, der die Szene durchaus spaltet! Mit seinem Gehabe – aber auch mit einer faszinierenden Anziehungskraft. Und mit einem Chopper, der nahezu alle Regeln bricht. Katharina findet das Duo spannend: »An sich ist der Kustom Kaiser ein Rocker, wie sie früher waren, aber wie es sie heute nicht mehr gibt!«, meint sie und wir sind uns einig, seinen Harley-Umbau einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Wie es Sitte ist knien wir nieder, die handgemachten Details im Fokus. 

Harley-Davidson Shovelhead – Das Schattenwesen im Nacken

»Ein Schmarrn«, wirft uns kopfschüttelnd ein angegrauter Customizer seine Unverständlichkeit ins Genick. Er will Chopper nur als glattes, harmonisch abgestimmtes Ganzes sehen, nichts anderes gelten ­lassen. Er geht. Wie ein Spuk springt dagegen der Schatten eines langhaarigen, bärtigen Mannes an unsere Seite: »Wir schätzen die Menschen, die frisch und offen ihre Meinung sagen – vorausgesetzt, sie meinen dasselbe wie wir.« Wir drehen uns um, sehen niemanden. Hatte sich das Schattenwesen gerade als Mark Twain vorgestellt? Er legt nach: »Wer nicht weiß, wohin er will, darf sich nicht wundern, wenn er ganz woanders ankommt.« Sein Spruch lässt uns weitersuchen, erforschen, wie Nachwuchs ticken kann.

Nicht täuschen lassen: Die Fahrqualitäten des Choppers sind über alle Zweifel erhaben … locker ein Dutzend Treffen in ganz Europa hat das Duo aus Mensch und Maschine schon per Achse bereist

Über den Tellerrand hinausblickend gibt Katharina ihre Gefühle preis: »Ja, schon sehr polarisierend, aber eben doch auch cool. Eigentlich wie früher …« Johannes will anecken, nutzt Attribute von US-Bikern der Nachkriegszeit, bedient sich der eisernen Kreuze. Die gelochten Tankdeckel, anscheinend sinnfrei hängende Kettchen; ist das ein Freistrampeln? Seine eigene Abkehr vom Smooth Design? Der Kaiser ist konsequent. Aber nicht der erste. Twain souffliert: »Wann immer du feststellst, dass du auf der Seite der Mehrheit stehst, ist es Zeit für eine Reform.« Kann Johannes seine Unartigkeit definieren? Er deutet auf seine Sissy, ist verliebt in sie, kann die Hände nicht von ihr lassen, muss immer wieder an ihr herumfuhrwerkeln … so fragil sie ist, so verdreht! »Ich wollte was bisher Ungesehenes erschaffen!«

Verliebt in Sissy

Edelstahl war des Kaisers Wahl, bei jeder Reparatur zeigt sich, wie recht er hatte: schweißen, nachpolieren und gut ist’s. Unter der Sissybar: ein handgedengeltes Schutzblech. Zunächst nicht außergewöhnlich … Dann sind wir erstaunt, hören, dass er es aus dem Aluminiumblech eines STOP-Schildes formte. Kaisers Wille, möglichst viel am Motorrad selbst zu fertigen, führt zu einem einzig­artigen Benzintank: Zweigeteilt, ebenfalls aus Alu und in einem Mix aus langgezogener Sportster-Tankform und geschmälertem Fat-Bob-Spritbehälter. Anschlussstutzen für Benzinleitungen sind da wo es Sinn macht. Weil die Sprit-Reserve-Option fehlt, gibt es seitlich am Tank eine Füllstandskontrolle aus durchsichtigem Benzinschlauch. Rechts prangt ein geflügeltes Eisernes Kreuz, aus Kaisers eigenen Mini-Gießerei.

Selbstgebaut und bester Spritzschutz: Die Liebe zur Sissy rührt vermutlich auch daher, dass sie dem Kaiser im wahrsten Sinne des Wortes den Rücken frei … ähhm, sauber hält

Wie Kaiser, war auch Twain mit anderem Namen geboren. Parallelen auch bei ihrer Reiselust. »Es gibt kein sichereres Mittel festzustellen, ob du einen Menschen magst oder hasst, als mit ihm auf Reisen zu gehen«, unser Schatten und seine Weisheiten sind nicht abzuschütteln. Johannes reist bevorzugt auf der Harley-Davidson Shovelhead. Unzählige Strecken in Europa führten ihn zu Treffen und auf Bikeshows. Doch manchmal muss der Kaiser gar nicht so weit weg für Denkanstöße: »Nach dem Besuch der Helter Skelter Custom Show behängte ich den Chopper mit unzähligen metallenen Kettchen!«

Der Teufel im Detail

Wir verstehen nichts, doch unser Unsichtbarer deutet: »Wenn wir bedenken, dass wir alle verrückt sind, ist das Leben erklärt.« Kustom Kaisers Kettchen sind provokatives Stilmittel. »Die an den selbstgedrehten Tankdeckeln waren schon vorher dran. Ich hatte mal einen unterwegs verloren, jetzt bin ich auf der sicheren Seite.« Wir scannen weiter, bemerken das verchromte ehemalige Hupencover vor dem Vergaser. Das grobe Profil am Reifen? Unentbehrlich für Johannes’ Ausflüge in unbefestigtes Gelände. Auch Mid-Control-Rasten.

Details, Details: Kurz mal das Auspuffrohr flachgedengelt, dann passt das auch wieder mit dem Federbein

Martialisch wirkende Highway Pegs sind zusätzlich an den vorderen Rahmenunterzügen angeklemmt. Diverse Primärantriebsgehäuse baute Johannes in den letzten Jahren aus Aluminium. Hosenbeine und den Zahnriemen schützt derzeit ein seriennaher Blechprimärkasten, mit handgegossenem Derby Cover. Darüber grinst ein behüteter Alu-Totenschädel am verzwirbelten Jockey-Shift-Handschalthebel. Selbst der polierte Öltank ist sein Werk, das verdrehte Vierkantrohr Teilstück im Auspuffrohr, der ungewöhnliche Seitenständer, ein Iron Cross an der Fußkupplung.

Not everybodys Darling

Johannes sucht ­Andersartigkeit, baut eine rote ­Kontrollleuchte aus dem Cockpit eines russischen Panzers zwischen die Tankhälften an die Konsole. Die ist klappbar und vor dem Sitz mit einem Mini-Magneten gehalten. Irgendwann hatte Customizer Rolf von CPO seine Finger bei Bau und Legalisierung der Shovel im Spiel, sah Johannes als mög­­lichen Nachfolger seines eigenen Betriebes. Nix war’s … dessen Umzug vom Schwabenland ins Fränkische brachte zu viel räumliche Distanz. Des Kaisers Hobby ist Motorradschrauben, Gartenbau sein neuer Beruf. Wohin die weitere Reise führt, ist unbestimmt. Ein Café mit Kunst und Übernachtung für durchreisende Biker vielleicht?

Im Vergleich zu seinen anderen Bikes geht des Kaisers Shovel ab wie eine Rakete. Auch Burnouts, Wheelies und sonstige Ekapaden ihres Besitzers steckt die Kiste weg, sie sind ein eingespieltes Team

Unsere Schattensouffleuse war Mississippi-Lotse, Goldgräber, Reporter und Autor. Posthum erschien Twains Autobiographie: »(…) aus gutem Grund spreche ich aus dem Grab statt mit lebendiger Zunge: So kann ich frei reden!«  Der Kaiser und wir hingegen stehen im Hier und Jetzt. Schon eine unpassende Überschrift kann in die Hose gehen. »Und …«, ergänzt Twain, dessen Einladung beim Kaiser (Wilhelm II.) mit einem Fauxpas geendet hatte, »ein Dutzend verlogener Komplimente ist leichter zu ertragen als ein einziger aufrichtiger Tadel«.

Harley-Davidson Shovelhead – Das Fazit

Wir bleiben ehrlich: Der Kustom Kaiser fasziniert uns … auf der einen Seite ziemlich bekloppt und ohne jede Regel, teilweise brandgefährlich, was er auf und mit dem Motorrad treibt. Und ja, Johannes weiß, dass er mit diesem Zweirad nicht jedermanns Darling ist und seine Club-Attituden, Colour und mehr anstößig wirken. Aber er zieht die für ihn wichtigen Schlüsse und repräsentiert damit einen Nachwuchs, den man sich eigentlich wünscht, der schlicht sehr cool ist und tolle Brücken in die Vergangenheit zu schlagen versteht. ­­ Apropos Kaiserschmarrn: Wir finden den Namen einer Mehlsüßspeise einfach passend! Auch, weil sie einst dem Kaiser Franz Joseph I. gewidmet wurde und noch heute für Sinnesfreuden gut ist.

 

Horst Heiler
Freier Mitarbeiter bei

Jahrgang 1957, ist nach eigenen Angaben ein vom Easy-Rider-Film angestoßener Choppaholic. Er bezeichnet sich als nichtkommerziellen Customizer und Restaurator, ist Mitbegründer eines Odtimer-Clubs sowie Freund und Fahrer großer NSU-Einzylindermotorräder, gerne auch gechoppter. Als Veranstalter zeichnete er verantwortlich für das »Special Bike Meetings« (1980er Jahre) und die Ausstellung »Custom and Classic Motoräder« in St. Leon-Rot (1990er Jahre). Darüber hinaus war er Aushängeschild des Treffens »Custom and Classic Fest«, zunächst in Kirrlach, seit 2004 in Huttenheim. Horst Heiler ist freier Mitarbeiter des Huber Verlags und war schon für die Redaktion der CUSTOMBIKE tätig, als das Magazin noch »BIKERS live!« hieß. Seine bevorzugten Fachgebiete sind Technik und die Custom-Historie. Zudem ist er Buchautor von »Custom-Harley selbst gebaut«, das bei Motorbuch Stuttgart erschienen ist, und vom Szene-Standardwerk »Save The Choppers!«, aufgelegt vom Huber Verlag Mannheim.