Bevor es an Technik und Umbau geht, muss meist zerlegt werden. Wir erklären, wie man am besten vorgeht

Einfach ausziehen ist uns zu simpel. Um ein Bike wirklich blank zu ziehen, bedarf es mehr als nur dem fachgerechten Auseinanderreißen. Deshalb soll es hier – um diesem Basisprozess des Customizing ein wenig Struktur zu verleihen – auch um die notwendigen Vorarbeiten gehen. Raus aus den Kleidern scheint dabei immer einfacher zu sein, als sie wieder anzuziehen. In manch überhitzer Situation werden die Klamotten einfach vom Leib gerissen, dass es eine wahre Freude ist … quitsch, brems, runterschalt … Stopp! Denn das ist eher ein Thema für Erotik-Medien.

Die beste Technik ist ein kühler Kopf

Wir hingegen als Motorrad-Fachmagzin wollen mit kühlem Kopf, wenn auch nicht minder heißen Erwartungen und ungezügelter Lust ans Werk gehen. Wir werden unserer Motorradbasis planvoll und mit deutscher Gründlichkeit zu Leibe rücken, um das zu entfernen oder abzuändern, was Generationen von Zweiradingenieuren und Designern als sinnvoll, notwendig und stilistisch einwandfrei erachteten. Eigentlich ganz schön bescheuert, aber eben auch SCHÖN bescheuert. Und nun ran an die Buletten.

Pflegestufe 1, Messingbürsten sind weicher als Chrom, sie entrosten, ohne diesen zu zerkratzen. Ein paar Mittelchen reichen für einen ersten Rundumschlag in Sachen Schönheitskur

Wenn mir ein neues, altes Krad auf den Hof rollt, beginnt ein fast schon stereotyper Prozess, der sich für mich als praktikabel und sinnvoll herauskristallisiert hat. Wie ferngesteuert latsche ich in die Garage, hole alles mögliche an Putzzeug, Lappen, Messingbürsten, Polituren und so weiter, stelle mir einen Hocker neben den Bock, lege Gummimatten auf den Boden – in meinem Alter zwicken sonst schon mal die Knie und Hüfte – und beginne in aller Ruhe damit, jedes Teil einmal anzufassen, daran zu rütteln, auf Beschädigungen zu untersuchen und es mit den entsprechenden Mitteln vom Schmutz und Rost der vergangenen Dekaden zu befreien. Ich höre schon den Aufschrei der »Fahren statt Putzen«-Fraktion, diesem will ich aber mit sachlicher Argumentation entgegentreten.

Den Überblick verschaffen

Der Vorteil meiner Herangehensweise ist, dass ich durch das Befingern und Reinigen eines jeden Teils einen umfassenden Überblick über den Zustand der gesamten Maschine bekomme. Ich ertaste eventuell marode Rad- oder Schwingenlager, spüre ein rastendes Lenkkopflager, entdecke lockere oder abgerissene Schrauben, Löcher in Endtöpfen und Krümmern, poröse Gummiteile an Vergaserflanschen oder rissige Dichtmanschetten an Kardan und Kupplung. Zudem sehe ich Öllecks an Motor und Getriebe, Rost am Rahmen und anderen funktionell wichtigen Teilen, einen verschlissenen Kettensatz, siffende Gabelsimmerringe, verölte, verschmutzte oder abgenutzte Bremsbeläge, riefige Scheiben, poröse, abgefahrene Reifen und vieles mehr.

Vorm Strippen ruhig mal saubermachen – gilt für Damen und für Mopeds. Und erweist sich als sinnvoll für eine wirklich umfassende Bestandsaufnahme

Außerdem ist es für mich, und das ist nun ganz persönlich, am Ende eines meist langen ersten Tages mit meiner Neuen eine riesige Genugtuung, sie in einem optisch bestmöglichen Zustand zu wissen, mit all der Patina und den Nutzungserscheinungen, aber ohne Dreck, Schmier und Rost. Letztere künden nämlich oftmals von mangelnder Pflege und ungenügender Wartung. Mein derzeitiges Projekt, eine BMW R 80 RT von 1984, hat diesen Prozess bereits durchlaufen und es freut und motiviert mich, chromblinkende Endtöpfe und den mittlerweile unverkleideten Motor zu betrachten, der mit seinen herausragenden Kühlrippenzylindern in Boxermanier einen mächtigen optischen Schwerpunkt der Maschine bildet.

Elektrik und Mechanik bitte im Vorfeld prüfen

Ich möchte euch anhand dieser BMW das weitere Vorgehen nach der Schönheitskur schildern und auch die Überlegungen und Planungen erwähnen, die dem Zerlegen vorausgehen sollten. Zwar weiß ich noch nicht genau, wo die Reise hingehen soll, die Verkleidung, zumal an einigen Stellen gebrochen, musste aber in jedem Falle erst mal runter. Nun wird’s wichtig: BEVOR wir die Kiste zerlegen, prüfen wir Elektrik und Mechanik auf Herz und Nieren. Faustregel: Bevor ihr ein Teil abschraubt, checkt ob es funzt. Und testet bitte auch, ob alle von ihm abhängigen oder gesteuerten Teile funktionieren.

Manchmal muss es auch das große Besteck sein. Über die Notwendigkeit von »Spezialwerkzeugen« gibt eine gute Reparaturanleitung Auskunft

Ein Beispiel: Ihr schraubt fröhlich den Lenker weg, zieht die Armaturen von den Lenkerenden und löst die Stecker vom Kabelbaum … aber haben Licht und Blinker überhaupt funktioniert, dreht der Anlasser eigentlich? Das Gleiche gilt für den Motor. Probiert, ob er läuft, bevor ihr den Kabelbaum strippt, die Batterie abklemmt, das Zündschloss entfernt, die Vergaser oder den Lufikasten ausbaut und vor allem bevor ihr den Motor selbst aus dem Rahmen hebt, um diesen beispielsweise zu lackieren oder pulvern zu lassen. Später, wenn alles in Einzelteilen auf der Werkbank liegt, ist eine Funktionsprüfung oftmals nur sehr schwierig oder gar nicht möglich. So allerdings wisst ihr, was repariert werden sollte, wo Ersatz beschafft werden muss und auch, was euch auch an finanziellem Aufwand noch bevorsteht.

Die Technik der Kistchen, Tüten und Schachteln

Außerdem wichtig: Legt euch kleine Kistchen, Tüten oder Schachteln bereit, um die Schrauben und Kleinteile einer jeden Baugruppe gesondert aufzubewahren und beschriftet diese. Es erleichtert das spätere zusammen- beziehungsweise wieder einbauen. Fragt euch auch, ob das Motorrad an der richtigen Stelle in der Garage steht. Kann es hier längere Zeit verweilen und habt ihr an allen Seiten genügend Platz zum vernünftigen Arbeiten? Wenn nämlich die Gabel und das Vorderrad ausgebaut sind und die Maschine nur noch auf Hauptständer und Hinterrad ruht, ist eine Standortveränderung kaum noch möglich.

Verlängerung bitte nur zum Lösen festsitzender Schrauben verwenden. Anziehen unbedingt mit Gefühl und Drehmomentschlüssel, denn: »Nach fest kommt ab!«

Ein flaches Rollbrett, selbst gebaut oder dem Möbelpacker entliehen, unter den Hauptständer oder das »Hebebühne-Bierkisten-Konstrukt« geschoben, verleiht dem Basisbike eine gewisse Mobilität. Achtet dabei auf das zulässige Gesamtgewicht des Rollbretts oder nehmt ein venünftiges Brett und amtliche Rollen, damit euch der ganze Scheiß nicht irgendwann die Grätsche macht und die heißgeliebte Customkarre in die Horizontale kippt.

Bei der Technik immer genau hinschauen

Und nun, Hände aus den Taschen, los geht’s. Sitzbank runter, oftmals geschraubt, bei meiner BMW klappbar gelagert und mit Metallclips gesichert. Schaut einfach genau hin oder werft einen Blick in die Reparaturanleitung, das gilt grundsätzlich auch im weiteren Verlauf. Danach die Werkzeugbox vom Heckfender geschraubt, das öffnet den Blick aufs Rahmenheck und weckt Phantasien. Nun ist auch der Tank zugänglich, hinten meist mit ein, zwei Schrauben an einer Rahmenstrebe fixiert, vorn auf seitliche Gummiblöcke geschoben, bei meinem bayrischen Alteisen auf einen »Gummiklotz« aufgeschoben.

Sinnvoll ist es, sich Tütchen, Kästchen oder Boxen zurechtzulegen, in der Schrauben und Kleinteile nach Baugruppen sortiert aufbewahrt werden können. Hilfreich ist das spätestens beim Wiederaufbau

Schließt vorher den Benzinhahn, zieht die Kraftstoffleitungen ab (Lappen bereit halten), löst eventuell den Stecker der Benzinpumpe und hebt den Tank nach hinten runter. Lagert ihn am besten auf Kanthölzern, das schont die Benzinhähne. Mein Tank ist innen nach fünfzehn Jahren Standzeit verrostet, muss also aufgearbeitet werden. Dazu aber mehr in der nächsten Folge der Bastelanleitung.

Schon über die Zukunft nachdenken

Jetzt steht eure Kiste schon ziemlich nackig da, ein guter Zeitpunkt, mal in Ruhe draufzuschauen und über Linie und zukünftiges Aussehen nachzudenken. An meiner R 80 siffen die Simmerringe der Gabel, ein häufiger Defekt bei Maschinen nach langer Standzeit. Also muss das Vorderrad raus. Dazu werden die vier Schrauben des Frontfenders gelöst, außerdem die Bremsschlauchhalter. Nun den Fender inklusive Gabelstabilisator nach oben abheben.

Ordnung ist das halbe Leben, Kleinteile nach Baugruppen zu sortieren hilft, späteres Chaos zu vermeiden

Anschließend die Bremssättel von den unteren, beweglichen Tauchrohren abschrauben und von den Bremsscheiben nach oben hinten wegziehen. Sind die Bremskolben fest und die Sättel lassen sich nur schwer von den Scheiben lösen, hilft ein wenig Ruckeln. Die Sättel könnt ihr mit Kabelbindern irgendwo aufhängen, um das Gewicht von den Bremsschläuchen zu nehmen und um sie beim weiteren Zerlegen aus der Schusslinie zu haben.

Zerlegen Schritt für Schritt

Nun die Vorderachse und ihre Klemmschrauben lösen und das Rad entnehmen. Achtet dabei auf sicheren Stand der Maschine mit ausreichend Hecklastigkeit. Als Nächstes kommen die Gabelholme an die Reihe, dazu die Klemmschrauben der Gabelbrücken (oben 36er-Schlüssel) lösen und unter leichtem Drehen die Standrohre nach unten rausziehen. Den Lenker lasse ich zunächst montiert um das Herumbaumeln sämtlicher Armaturen und Hebeleien zu vermeiden.

Rost im Tank, ein gängiges Problem nach langer Standzeit, ähnlich wie siffende Simmerringe, poröse Reifen oder feste Bremsen

Nun, da die Gabel draußen ist, kann auch die voluminöse Frontverkleidung im Ganzen nach vorn abgenommen werden. Hierfür die unteren Seitenteile, das vordere Verbindungsteil und die entsprechenden Halteschrauben entfernen. Achtung: Vorher checken, ob alle elektrischen Steckverbinder gelöst wurden (Blinker, Zündschloss, Voltmeter, Uhr etc.). Und schon ist die Kiste komplett nackt und zu weiteren Schandtaten bereit.

Der Neuaufbau kann starten

Am Ende habt ihr hoffentlich alle Schrauben nach Baugruppen sortiert, abgebaute Komponenten gereinigt und sicher gelagert und könnt euch somit der Aufarbeitung und Reparatur der Teile widmen, die ihr später wieder an eurem Custombike sehen wollt oder auch dringend benötigt. Und dann kann es schon losgehen mit dem Neuaufbau eures Wunschmotorrades.

 

Carsten Bender
Freier Mitarbeiter bei

Jahrgang 1969, stammt aus Hagen, Westfalen, dem Schmelztiegel der Kulturschaffenden und Wiege des kreativen Journalismus. Seit 2018 ist Carsten Bender freier Mitarbeiter beim CUSTOMBIKE-Magazin. Sein erstes motorisiertes Zweirad war eine Honda CB 50. Seitdem gingen über neunzehn Motorräder durch seine Hände. Von Zweiventiler-BMWs über Hondas Goldwing bis hin zu leichten Einzylinder-Crossern sowie Motorrädern mit Baujahren aus den Siebzigern und Achtzigern. Seine Honda CB 250 G schaffte es im CUSTOMBIKE-Leserwettbewerb 2014 auf den zwölften Platz. Im darauffolgenden Jahr belegte er mit seinem Honda-XL 500S -Umbau den zweiten Platz und musste sich nur knapp gegen den späteren Sieger geschlagen geben.