Herausforderung und Irrsinn nennt Raffaele Gallo seinen Radikalumbau einer Honda CX 500 – und das völlig zu recht

Herausforderung und Irrsinn kann ins Italienische übersetzt werden als Sfida e Pazzia. Sfida tauft Raffaele Gallo auch seine grandiose Neudichtung einer Honda CX 500. Und wer schon einmal etwas an diesem Krad verschönern wollte, weiß um die Namensgebung nur zu gut Bescheid. Woher der Irrsinn kommt? Dr. Kratschmar, bitte in Sprechzimmer eins. Den sprichwörtlichen und buchstäblichen Irrsinn am neuesten Projekt des »Officine Uragani« diagnostiziert das geschulte Auge schon an der Wahl der Handarmaturen von ISR. Das schwedische, halb pornografische Fräswerk kostet so viel wie eine gut abgehangene CX 500. Und so stellt sich zu Recht die Frage: Ergibt es Sinn, gefühlte 20.000 Euro in einem Moped für 600 Euro zu versenken? Antwort, am Ende.

Die Sinnfrage stellte sich bei diesem Projekt nicht. Letztlich ging es nur um die Umsetzung und Machbarkeit radikaler und vor allem ungewöhnlicher Ideen

Die namensgebende Herausforderung des Projekts liegt in der Entwicklungsgeschichte der Honda. Sie ist geprägt von einer überstandenen Erdölkrise, Hubraum-beschränkungen für Krafträder, leistungsabhängigen Klassen bei Versicherungen. Und natürlich vom hondaistischen Ansatz, alles besser machen zu wollen.

1978 erschien die Honda CX 500 auf der Bildfläche

Und das ist die CX 500 bei Erscheinen 1978 auch. Der Motor: leicht, wassergekühlt, dreht bis 10000 /min, liefert 100 PS Literleistung! Ähnliches Leistungspotenzial bekommt man damals nur im Zweitakt. Oder aber in Italien für Güterwagons voller Geld als Ducati 750 SS Königswelle. Natürlich nur, wenn man eine findet. Geeignet wäre auch eine MV Agusta 800 ISS Super Amerika – wenn man sich das antun will. Das Potenzial dieses Motors soll später als Turbovariante mit 82 PS aus 500 Kubikfuß eindrucksvoll dargestellt werden.

In der Frontverkleidung sind sechs LED-Leuchten verbaut, die gemeinsam mit dem LED-Hauptscheinwerfer das spezielle Design abrunden

Das Chassis: sehr steif, fortschrittliche Konstruktion aus Rohrrahmen und Pressstahlteilen, mit funktionierenden Federelementen und tatsächlich verzögernden Bremsen. Diese Kombination ist zu jener Zeit weit weg von den luftgebremsten Klappscharnier-Fahrwerken der fernöstlichen Mitbewerber. Und der Kardan ist der einer BMW voraus – Thema Fahrstuhl.

Optisch ein Reinfall – dafür aber schwierig umzubauen

Startpunkt einer völlig neuen Designsprache bei Honda ist die CX 500 auch: »Ein Motorrad muss nicht nur sehr gut fahren, es muss dabei auch noch richtig kacke aussehen.« So clever die CX konstruiert ist, so schwierig ist sie umzubauen. Wo liegt nach Meinung des Chronisten das Problem? Es liegt im Schwingenlager. Die schönen Bogen zum Heckrahmen sind leider an ein furchtbares Pressstahl-Geschwurbel gebrutzelt worden. Und genau dieses Teil ist wie Herpes, das wird man nie mehr los.

Wenn der Zeitaufwand zur Hingabe wird – Tank, Öltank und Sitzbank entstanden in Eigenleistung

Aus diesem Grund hat Raffaele den Rahmen auch nur am Heck gekürzt und sich sonst auf eine feine Mixtur aus Linien, Kanten, Formen, knalligen Farben und ansprechenden Materialien konzentriert. Damit führt er das Auge vom Rahmen weg. Die direkt vor dem optischen Verbrechen geparkte Auspuffanlage trägt dazu ihren Teil bei. Wobei deren Platzierung die Fußrasten an eine Position zwingt, die über 1,34 Meter Körpergröße in einer herausfordernden Sitzposition resultiert.

Geniales setzt Raffaele an der Kardanschwinge der Honda CX 500 um

Es tauscht das Rundrohr der CX gegen die Profilschwinge einer Honda GL 650 Silverwing. Diese streckt die Linie und ist – hier kommt wieder Pazzia ins Spiel – eigentlich eine Schwinge mit Zentralfederbein. Kein Grund das so zu behalten. Lieber nutzt Raffaele den Platz der Federbeinumlenkung, um hier die Ausgleichsbehälter der baumlangen Dämpfer aus dem Motocross der 1970er anzupflanzen.

In der Summe des Motorradumbaus wirkt das ganze nicht nur schlanker und schnittiger, sondern gibt der Honda nun auch mehr Stabilität

Original trägt die Honda CX 500 eine 34er-Telegabel, ein Maß, das heute schon handelsübliche Mountainbikes überschreiten, und für einen kraftvollen Auftritt muss dieses Teil weichen. Herrlich ins Konzept passen daher eine Upside-down-Gabel von Showa mit 50er-Klemmungen nebst Gabelbrücken und mächtigen Tokico-Sätteln an den riesigen Bremsscheiben der Excel-Speichenfelge. Die hintere Speichenfelge ist nun ebenfalls mit einer Bremsscheibe bestückt, was zum Entfall der Trommelbremse führt und nur bei den wirklich guten CX-Umbauten gemacht wird.

Mehr Motorleistung war nicht raus zu kitzeln

Zurück zum Motor: Einmal innen und außen überholt, ein bisschen Lack, etwas mehr Luft rein, etwas mehr raus. Das war’s, viel mehr Leistung ist durch die vergleichsweise hohe Leistungsdichte ohnehin schwer zu generieren. Alles oberhalb von Rahmen und Motor ist indes als atemberaubend zu bezeichnen.

Aluminium und Carbon waren die erste Materialwahl, um dem sportlichen Look der Honda gerecht zu werden

Verschwenderische Formen, Linien, Brechungen, sinnliche Kombination von unterschiedlichen Materialien und Methoden. Ein Traum. Sehr verspielt gestaltet Raffaele die Front mit einem elliptischen LED-Scheinwerfer, angedeuteten Lufteinlässen, einem Plexiglasschild, das an ein Head-up-Display erinnert und der gebürsteten Alulippe als Abschluss darunter, die sich sinnvoll mit der üppigen Kühlerverkleidung aus demselben Material ergänzt.

Raffaele verpaßt der Honda CX 500 einen radikalen Heckumbau

Im luftbehutzten Tank aus Alublech wurde zum Lenkkopf hin ein digitales Instrument nebst Startknopf eingelassen, was erneut wahlweise an einen Kampfjet oder ein exklusives Hypercar erinnert. Ein Motiv, das auch der radikale Heckumbau aufnimmt, der mit seinen Leitblechen und eingelassenen LED-Leuchten wieder Assoziationen an einen Diffusor oder einen Nachbrenner zulässt.

Leitbleche und eingelassene LED-Leuchten erinnern an einen Diffusor oder auch einen Nachbrenner

Bleibt die Frage nach dem Irrsinn: Ergibt es Sinn, gefühlte 20.000 Euro in einem Moped für 600 Euro zu versenken? Wenn überhaupt, dann in diesem Fall. Denn dieser Gegensatz trägt das Schaffen des Officine Uragani deutlich weiter, als wenn dieser Umbau auf irgendeinem anderen Motorrad fußen würde. Sfida Honda vinta, Herausforderung Honda gewonnen.

Info | Instagram Officine Uragani

 

Jens Kratschmar