Lasst uns nochmal über Linienführung sprechen. Denn wie gelingt die gute Linie am Bike rein technisch überhaupt?

Erst müssen wir zerlegen und saubermachen. Danach beginnt für uns das eigentliche Customizing, also das kreative Gestalten des zukünftigen Fahrgeschäfts. Und wenn wir nicht gerade ein reines Showbike bauen, gibt es dabei einiges zu beachten

Linienführung – Die Basics

Customizing ist ein individueller Prozess und erfolgt nach eigenem Geschmack. Es unterliegt den Grenzen des bastlerischen Geschicks und denen des Budgets. Damit können wir es kaum als objektive Wahrheit oder in Form eines Ratgebers darstellen. Dennoch gibt es Gesetzmäßigkeiten in dem, was wir als schön oder ästhetisch empfinden. Die Beschäftigung mit Fragen der Ästhetik und das Wissen über diese Kriterien können unser eigenes Urteilsvermögen in Geschmacksfragen also nachhaltig positiv beeinflussen.

Linienführung par excellence: Beim »Wasserbüffel« begeistert der Lacksatz die an Rahmen und Triebwerk entlang geführte Auspuffanlage

Die wichtigsten Gestaltungsprinzipien sind meines Erachtens Linienführung, Proportion, Symmetrie und Asymmetrie. Letztere wird vor allem durch den »Goldenen Schnitt« repräsentiert: Man setzt zwei unterschiedlich große Dinge in Beziehung. Sie wirken dann harmonisch auf uns, wenn sie in einem ganz bestimmten Größenverhältnis von etwa 38 Prozent zu 62 Prozent zueinander stehen. Gelungene Proportionen sind demnach also nicht zufällig, sondern planbar.

Symmetrie als wichtige Größe

Die Symmetrie wiederum ist eine weitere wichtige gestalterische Größe, die allerdings nicht überall Anklang findet. Der eine betrachtet ein Motorrad mit pro Seite jeweils einem Auspufftopf und mittigem Kennzeichen als harmonisch. Der andere bevorzugt eine einseitig dominierende 2-in-1-Auspuffanlage oder ein seitliches Kennzeichen und wertet das als ästhetischen Hochgenuss. Ein alter BMW-Zweiventil-Boxer ist im Serienzustand übrigens ein Paradebeispiel für symmetrische Formen. 

Shit happens: Zugegeben, BMWs K- Serie ist nicht leicht umzustricken, beim Frontfender und der zweisitzigen Höckerbank hab ich mich damals allerdings ein wenig verbastelt

Bei einer Sache sind sich aber fast alle einig: Parallel verlaufende Linien oder Bögen erfreuen unser Auge und wirken harmonisch. Dabei scheint es zweitrangig zu sein, ob diese Linien eher geschwungen oder eckig und kantig daherkommen. Mit welcher Konsequenz und Einheitlichkeit die Linienführung am gesamten Fahrzeug umgesetzt wurde, entscheidet vielmehr darüber, ob wir es als »aus einem Guss« empfinden oder eben nicht.

Linienführung – Ohne Plan wird’s nix

Ich möchte euch anhand der Honda XL 500 aufzeigen, was ich mit meinen bescheidenen Mitteln versucht habe und worauf ich beim Bau sonst noch geachtet habe. Das Foto der BMW K75, einer Jugendsünde, verdeutlicht hingegen, was schief laufen kann. Damals habe ich einfach drauf los gebastelt und hatte von nichts Ahnung. Im Fall der XL benenne ich auch die verwendeten Komponenten und die notwendigen Arbeiten. Im Bild sind zusätzlich einige Linienführungen und Verläufe farbig markiert.

Von der späteren Linie meiner XL 500 ist noch nicht viel zu erkennen. Speichenräder mit Trommelbremsen sowie ein luftgekühlter Einzylinder im Rohrrahmengestell weckten mein Interesse. Bei einem Kaufpreis von 100 Euro konnte nicht viel schief gehen

Meine Honda XL 500 S, Baujahr 1980, habe ich in einem erbarmungswürdigen Zustand für hundert Euro gekauft. Ich brachte sie zum Laufen und zerlegte sie komplett. Danach habe ich mit dem Reinigen und Aufarbeiten der wiederverwendbaren Teile begonnen. Optisch wollte ich weg von der Cross-Ausrichtung. Das Teil sollte flacher und eleganter werden, ohne Kunststoffteile auskommen, jedoch seine Herkunft nicht verleugnen.

Die Form wird deutlicher

Gesetzt waren die schönen Speichenräder – vorn mit 23 Zoll – mit den Stollenreifen und Trommelbremsen.  Ebenso gesetzt waren Gabel, Stoßdämpfer und der Rahmen. Dieser wurde allerdings am Heck gekürzt und ein Bogen eingeschweißt, doch dazu später mehr. Der Motor blieb, bis auf ein paar optische Verschönerungen und einen offenen Luftfilter mit eingetragenen 101 dB(A) Standgeräusch zunächst unangetastet. Tank, Sitzbank, Lenker, Plastikfender, Seitendeckel, Luftfilterkasten, der oben verlaufende Auspuff, die Vierkant-Aluminiumschwinge sowie die gesamte Beleuchtung inklusive Blinker, die originalen Fußrasten und der Kickstarter flogen raus beziehungsweise wurden teilweise umgearbeitet.

Anprobe: Der hintere Fender und die Krümmerführung harmonieren schon mit Rad- und Rahmenlinie, Kastenschwinge und Kickerpedal hingegen fremdeln ein wenig. Der kurze Heckbogen hat Potenzial und wird später so ähnlich eingeschweißt

Im Detail:

Die kantige Schwinge harmonierte optisch nicht mit den Rahmenrohren, also habe ich nach einer Stahl-Rundschwinge des Vorgängermodells gesucht. Diese passte à la Plug-and-play, ich habe sie noch mittels Winkelschleifer ihrer Soziusfußrastenaufnahmen beraubt. Die Solonutzung ist mittlerweile auch eingetragen. Den Rahmen habe ich komplett gecleant. Das heißt, ich habe alle Halter und Laschen, die icht mehr benötigt wurden, abgeflext. Außerdem habe ich ihn hinten gekürzt und einen Bogen sowie drei Querverstrebungen eingeschweißt. Das dient neben der stabilisierenden Funktion auch zum Verschrauben der neuen Sitzbank. Achtung: Schweißen und Flexen am Rahmen ist grundsätzlich verboten, dadurch erlischt die Betriebserlaubnis. Wenn überhaupt, dann macht das allenfalls hinter der Stoßdämpferaufnahme, also am Rahmenheck. Besprecht die Sache am besten vorher mit dem »TÜVtler« eures Vertrauens.

 

Wenn sich die Farbgebung konsequent selbst über kleinste Anbauteile erstreckt, kann ein Umbau auch trotz einer preisgünstigen Sprühdosen-Lackierung überzeugen. Mit ein wenig Sorgfalt geht’s sogar auf dem Garagenboden

Der Originaltank wirkte mir zu eckig und modern. Der tropfenförmige Tank einer Suzuki GN 250 erschien mir dagegen als perfekt geeignet. Dieser passte natürlich zunächst überhaupt nicht auf den Rahmen. Aber wir sind hier an einem wichtigen Gestalungsmerkmal. Ziel war es, die Unterkante des Tanks parallel zum Heckrahmen auszurichten. Dazu mussten die vorderen Aufnahmen am Rahmen, wo der Tank auf diese runden Gummihalterungen aufgeschoben wird, als auch die hintere Rahmenstrebe zum Verschrauben des Tanks abgeflext und neu aufgeschweißt werden. Viel Arbeit, die sich aber in der Endbetrachtung gelohnt hat. Immerhin ist der Tank doch ein optisch sehr dominantes Teil an jedem Motorrad.

Linienführung – Ran an’s Heck

Nachdem alle Schweiß- und Flexarbeiten an Rahmen und Schwinge erledigt waren, hab ich diese gestrahlt, grundiert und mit Hilfe von Sprühdosen in ein farbenfrohes Türkis getaucht. Das gleiche habe ich mit den hinteren Federn, beiden Gabelbrücken, den Tank-Seitenwangen und Kleinteilen gemacht.  Der Blick auf das nun flugs zusammengebaute Rolling Chassis weckte Fantasien. Das war der richtige Zeitpunkt, um sich um das Design von Fendern, Auspuff, Beleuchtung, Lenker und Sitzbank zu kümmern. Mein Heckfender ist aus einem alten Honda-CB-Schutzblech und einem Aluminiumstreifen zusammengesetzt. Von unten unten wird das Aluminiumblech mit unzähligen Schrauben und Muttern eingesetzt. Das ganze Konstrukt wurde dann von oben mit einem Lederstreifen verkleidet, auf dem die Kabel für das kleine Rücklicht verlaufen.

Erste Versuche, aber der Lenker wird’s am Ende nicht werden

Bei dem geringen Abstand zum Reifen musste der Fender logischerweise mitschwingend konstruiert werden. Das vordere Schutzblech hingegen ist lediglich ein gekürzter Kotflügel irgendeines Alteisens. Das hab ich aus Streben aus verchromtem Flachstahl gebogen habe. Nah dran ans Rad, und an dessen Radius angepasst, war Ehrensache. Der Auspuff sollte entgegen der üblichen Enduro-Bauart unten verlaufen. Im Krümmerbereich soll er der Rahmen- beziehungsweise Motor-Geometrie folgen und mit dem Endtopf parallel zum Boden ausgerichtet werden.

Detailarbeit

Ich habe dazu den Endtopf einer Kawasaki VN mit einer selbstgebauten Dämpferflöte versehen. Vom originalen Honda-Krümmer wurden nur die oberen beiden Flansche am Zylinderkopf und das Y-Stück unten genutzt. Die Rohrverläufe hab ich aus Hydraulikrohr und Bogen geformt und zuguter Letzt alles sauber ausgerichtet zusammengebraten. Die untere Befestigung des Schalldämpfers musste dann natürlich auch noch gebaut werden. Auch das wäre am unlackierten Rahmen einfacher gewesen. Farbe lässt sich nun mal beim besten Willen nicht schweißen.

Schwungvolle Schulterlinie

Die eckige Frontlampe ist ein Netzfund. Zusammen mit dem flach angestellten Serientacho und dem Tropfentank bildet sie die schwungvolle Schulterlinie des ehemaligen Crossers. In diese musste sich auch der Lenker fügen. Also wurde ein Zubehörlenker falsch herum montiert. Die Honda-Hebeleien blieben und alte Hella-Blinker bilden nun zusammen mit den schlichten, schwarzen Griffen den Abschluss. Die biederen Gummirasten wurden durch Bärentatzen ersetzt und der ursprünglich gebogene Kicker musste einem gerade geformten Starter einer anderen Honda weichen.

Geometrisches: Während einige Linienverläufe schon vorhanden waren, aber erst durch das Weglassen der Verkleidungsteile ins Rampenlicht traten (rosa), hab ich versucht, andere Parallelitäten beim Bau bewusst herzustellen. Wegen seiner optischen Dominanz gehört der Ausrichtung des Tanks besonderes Augenmaß geschenkt

Die Verzahnung passte zwar, aber da die Fußrastenaufnahme nun plötzlich im Weg war, musste diese mittels Flex und Schweißgerät davon überzeugt werden, ein wenig zur Seite zu rücken. All dies geschah tatsächlich nur aus einem einzigen Grund: Der gerade verlaufende Kicker fügt sich harmonischer in die Linienführung des Rahmens ein als der originale. Wenn die Funktion dadurch nicht beeinträchtigt wird, kann sie der Form doch durchaus mal folgen.

Sitzbank selbst genäht

Apropos – die selbst genähte Sitzbank mit einer Grundplatte aus zwölf Millimeter starkem Kunststoff folgt der oberen Rahmenkante und trägt optisch nicht zu dick auf. Kunststoffplatten sind als Sitzbankbasis hervorragend geeignet. Sie lassen sich einfach schneiden, unter Wärmezufuhr biegen und mit eingedrehten Gewindehülsen problemlos am Rahmen befestigen. Wichtig ist natürlich, die dafür notwendigen Aufnahmen am Rahmen vor dem Lackieren zu planen und anzubringen.

Sehr frei nach Leonardo da Vinci. In diesem Sinne, gutes Gelingen wünscht Carsten

Als Letztes dann noch schnell ein Loch ins Polster »hineingetüddelt«. Man will ja schließlich auch mal einen veritablen Furz lassen, ohne gleich aus dem Sitz katapultiert zu werden. Bei dem erwähnten Loch handelt es sich aus technischer Sicht übrigens nicht um ein »Sackloch«, auch wenn die Position in der Sitzbank diesen Rückschluss durchaus zuließe, aber das nur am Rande. Die gestalterischen Arbeiten waren hiermit abgeschlossen. Die fertige »Hondazuki« hat mich inklusive der Basis und aller benötigten Verschleißteile rund 800 Euro gekostet. Was jetzt noch fehlte, war die gesamte Elektrik. Der Kabelbaum musste bei der Zerlegung des Motorrads sowieso raus da sich an den elektrischen Endverbrauchern einiges geändert hat. Auch die Batterie die sowie andere Komponenten einigermaßen unsichtbar ihren Dienst verrichten sollten. Daher hab ich mich dem Kabelsalat gestellt, ihn entwirrt und komplett neu gebaut. Kann man machen.

Baut einfach, was euch gefällt

Nehmt es bitte persönlich, wenn Picasso mahnt: Die Symmetrie ist die Ästhetik der Primitiven. Baut einfach, was euch gefällt. Perfektion ist dann erreicht, wenn ihr nichts mehr weglassen könnt.

 

Carsten Bender
Freier Mitarbeiter bei

Jahrgang 1969, stammt aus Hagen, Westfalen, dem Schmelztiegel der Kulturschaffenden und Wiege des kreativen Journalismus. Seit 2018 ist Carsten Bender freier Mitarbeiter beim CUSTOMBIKE-Magazin. Sein erstes motorisiertes Zweirad war eine Honda CB 50. Seitdem gingen über neunzehn Motorräder durch seine Hände. Von Zweiventiler-BMWs über Hondas Goldwing bis hin zu leichten Einzylinder-Crossern sowie Motorrädern mit Baujahren aus den Siebzigern und Achtzigern. Seine Honda CB 250 G schaffte es im CUSTOMBIKE-Leserwettbewerb 2014 auf den zwölften Platz. Im darauffolgenden Jahr belegte er mit seinem Honda-XL 500S -Umbau den zweiten Platz und musste sich nur knapp gegen den späteren Sieger geschlagen geben.