Immer noch ist eine Harley nicht unbedingt erste Wahl, wenn es um den Bau eines Cafe Racers geht. Wer es trotzdem angeht, wählt gerne die Harley-Davidson XL 1200 als Basis – so wie Samuel Kao aus Los Angeles

Sam ist einer von den zahllosen Bikebuildern, die ihr Glück in Südkalifornien suchen. Aus Taiwan eingewandert, mit dem großen Traum vom Customshop, spezialisiert auf Tuning und sportliche Bikes. Dass er dabei einer von vielen ist und Zeichen setzen muss, um schnell Anerkennung zu finden und Geld verdienen zu können, ist ihm bewusst. Und so wird Sams erstes Werk in den USA direkt ein Meisterstück, nicht zuletzt gebaut, um Eindruck zu schinden.
Cafe Racer sind auch in den USA ein großes Thema, so steht die Stilrichtung schnell fest. Außerdem ist Harley das Maß der Umbauszene in SoCal, nur damit lassen sich am Ende wirklich Pokale gewinnen. Und es ist nach wie vor sehr beliebt, traditionellen Stil mit modernen Elementen zu verbinden. Die Idee vom »Retro Racer« ist da nur noch Formsache. Erfolg ist eben trotz allem Wissen um aktuelle Szene-Tendenzen nicht garantiert, wenn man sie nicht umsetzen kann. Samuel aber kann und demonstriert, wie aus Akribie und Handwerk ein Unikum entsteht.

Stummellenker, Honda-Schalter und Originalinstrumente kontras-tieren auf angenehme Weise

 

»Es gibt eigentlich drei Grundregeln für den Bau eines Cafe Racers«, erklärt er uns. »Erstens – Frontverkleidung, Tank und Heck sollten eine horizontale Linie parallel zum Boden bilden. Zweitens – Das Heck muss an der Hinterachse ausgerichtet sein und drittens – die Heckeinheit sollte einem schmalen Entenbürzel gleichen, das Rücklicht darin integriert.«
Samuel bringt diese Vorgaben in zahllosen Zeichnungen zu Papier. Er zeichnet die Harley-Davidson XL 1200, so wie etliche Ersatzteile immer wieder neu und berücksichtigt dabei auch die spätere Farbgebung, »die ist nämlich nicht unwichtig fürs spätere Gesamtbild«, erklärt er. Das Motorrad wird zerlegt, am Ende steht nur noch der Rahmen auf der Hebebühne. Sowohl bei der Front als auch im Heck bedient sich Sam beim Racer Ducati 916. Gabel, Bremsanlage und Einarmschwinge spendiert das Sportbike aus Italien. Die Komponenten geben dem Racer genügend Stabilität bei vollem Fahreinsatz.

Harley-Davidson XL 1200 – Holzverkleidung für den Prototyp

Um seinen Mix aus Retro und Moderne zu vervollständigen, entscheidet sich Sam außerdem, Speichenfelgen zu verbauen. Wirklich ungewöhnlich im Zusammenspiel mit der modernen Schwinge. Was einfach klingt, entpuppt sich als schwere Aufgabe, niemand scheint in der Lage, die Felgen nach seinen Vorgaben fertigen zu wollen. »Keiner wollte die Drahtfelgen für mich bauen, alle hatten Angst, dass sie nicht halten würden.«
Nach monatelanger Suche findet Sam schließlich sein Glück in Italien, beim anerkannten Hersteller Kineo ordert er seine Räder. Das Fahrwerk der Harley ist damit weitestgehend komplett. Bleibt die Arbeit an Frontverkleidung, Tank und Heck. Die drei Teile entstehen allesamt per Handarbeit, nachdem mittels Zeichnungen und Pappvorlagen in Echtgröße – die Sam immer wieder ans Motorrad klebt – die genauen Abmaßungen feststehen.

Klassische Moderne: In der
Ducati-Einarmschwinge dreht
sich ein Kineo-Speichenrad für
schlauchlose Reifen

Die Verkleidung fertigt er danach aus Holz vor, sie soll nichts vom Motor verdecken, »weil das bei einem Harley-Aggregat eine Schande wäre, man muss den Motor sehen können«, wie Sam erklärt. Anhand der Holzattrappe wird dann die Verkleidung aus Metall gefertigt und direkt auf dem Holz in ihre endgültige Form getrieben.
So erreicht man ein auf beiden Seiten gleichmäßiges Ergebnis. Auch Tank und Heck entstehen so, wobei ein paar Zeilen wie diese dem Aufwand dieser Vorgehensweise kaum gerecht werden. Wer sowas schonmal selbst gemacht hat, weiß, wovon wir sprechen. Sams Harley aber steht kurz vor der Vollendung, schließlich muss nur der überholte Motor noch seinen Platz finden und das Auspuffgewimmel sauber verlegt werden. Über die weiße Lackierung mit den roten Elementen wird die Gesamtlinie des richtig guten Umbaus noch verstärkt.
Sams Rechnung ist übrigens aufgegangen, nach Fertigstellung der »Ivory Comet« regnet es Pokale, so zum Beispiel den für den »Best Cafe Racer« der diesjährigen Born Free Show.  

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.