Kann ein Motorrad ein Vermächtnis sein? Die Harley-Davidson UL des Larry Pierce wurde auf eindrucksvolle Art und Weise genau dies.

Am 12. April 2014 steht die amerikanische Customszene für einen Moment still. An diesem Tag stirbt der Customizer Larry Pierce kurz nach seinem 38. Geburtstag bei einem Autounfall. Wenige Wochen zuvor war bereits sein Bruder bei einem Unfall ums Leben gekommen. Larry war Chef seiner eigenen Werkstatt »Garage Co.« in Birmingham/Alabama, er war hochbeliebt, ein toller Customizer, lustig, sympathisch, alle kannten ihn als den »Son of the South«, er war stolz auf seine Südstaatenherkunft. 2013 hatten wir uns auf der Born Free-Show kennengelernt, viel Spaß gehabt, 2014 wollten wir uns wiedertreffen – und plötzlich war Larry tot.

Larry Pierce – »Son of the South«

Seiner langjährigen Lebensgefährtin Ashley wurde unglaublich viel Support aus der Szene zuteil, es wurde gespendet, es gab Solidaritätsausfahrten und nicht enden wollende Beileidsbekundungen. Und noch etwas blieb Ashley – Larrys letztes Motorrad, im Rohbau fertig. Denn er war eingeladen, ein Bike für die »Born Free«-Show zu bauen. Stolz hatte Larry im Vorfeld erzählt, dass er das erste Mal in seiner Karriere eine Flathead auf der Hebebühne hatte. Und dass er inspiriert von den kompakten, kurzen Umbauten der 40er- und 50er-Jahre bauen wollte, natürlich in seinem Stil. 

Harley-Davidson UL – Larrys erste Flathead

Zu diesem Zeitpunkt, knapp drei Monate vor der Show, waren Rahmen und Motor bereits zusammengeführt. Larry hatte den starren Doppelschleifenrahmen selbst gebaut, aus 22-mm-Rohr, das Oberrohr entstand aus 42-mm-Stahlrohr. Der Rahmen maß am Ende um die acht Zentimeter weniger als der Originalrahmen. Das und die 26-Grad-Reckung ermöglichten die kompakte Form, die Larry für sein extrem reduziertes Bike erreichen wollte.

»Mir schwebte ein Motorrad vor, das an die alten Harleys erinnerte, die in den Vierzigerjahren am Strand von Daytona Rennen fuhren«

Auch den Tank hatte er bereits fertig, gebaut aus zwei Panhead-Spritgefäßen, die er zerschnitt und zu einem schmalen Tank zusammenfügt. Die Speichenräder hatte Larry bei »Buchanan’s« bauen lassen, mit Hochschulter-Felgen eingespeicht mit Harley-Sternradnaben. Der Motor war bereits komplett saubergemacht und überholt, Öltank, Lenker und Fender waren zu diesem Zeitpunkt bereits vorbereitet. Larrys nächster Schritt wäre es gewesen, die Teile zum Lackierer beziehungsweise Chromteile zum Verchromen zu schicken. Dazu kam es nicht mehr. 

Ashley stand selbst bis in die Nacht an der Drehbank

»Larry hätte nicht gewollt, dass die Menschen um ihn weinen, sondern lieber, dass sie sich lachend an ihn erinnern«, sagte Ashley nach seinem Tod. Und sie entschied, die Harley-Davidson UL fertig zu bauen. Chris Richardson aus Los Angeles erklärte sich bereit, das Assembling, also den Zusammenbau, von Larrys Bike zu übernehmen. Mit Hilfe von Freunden fertigte Ashley so in den zwei Monaten, die bis zur Show blieben, noch fehlende Kleinteile an, stand selbst bis in die Nacht an der Drehbank ihres Mannes.

Beim Blick von hinten wird deutlich wie schmal die Flattie gebaut ist. Auf dem Fender steht der Name des Bikes: »The Larry Special«

Ein guter Freund erklärte sich bereit, das Motorrad mitsamt den Lackteilen – Larry hatte eine Woche vor seinem Tod einen Entwurf für die Tanklackierung gezeichnet – von Alabama nach Los Angeles zu bringen. Chris Richardson baute das Bike dort wie versprochen zusammen. Es war ein Kraftakt, der viele berührte, die das Bike schließlich auf der Show bewunderten. Und noch heute, knapp 10 Jahre später, trifft Larrys Flathead-Chopper voll ins Schwarze. God Speed Larry! 

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.