Martin Becker ist ein Garant für bestes Customizing made in Germany – wie auch die Harley-Davidson Knucklehead »Streamliner« beweist. Auch wenn der 93-Kubikinch-V2 nicht von Harley-Davidson, sondern von S&S stammt …
Vorbei die Zeit, als sich Martin Becker mit dem Umbau von Sportbikes Marke Kawa oder Yamaha über Wasser hielt. 2007 hatte uns einer den Tipp gegeben, mal in das alte Bahnhofsviertel von Heidelberg zu fahren, um die Ein-Mann-Bude »MB Cycles« unter die Lupe zu nehmen.
Becker hat seinen eigenen Stil – rau und direkt
Martin kann sich noch gut an die blau gefrorenen Finger von damals erinnern, wir uns an eine retro-sportliche Kawa ZRX 1200 – den Fahrtest produzierten wir im kalten Herbst, der Customizer fuhr ohne Handschuhe und tauchte zur Belohung das erste Mal überhaupt in einem Motorradmagazin auf. Was uns damals schon auffiel, war der eigene Stil des Heidelbergers, irgendwie rauer und direkter als das, was sonst so gebaut wurde. Wir sagten dem Typen eine große Zukunft voraus – und sollten recht behalten.
Heute ist MB Cycles immer noch ein Ein-Mann-Betrieb, alles andere aber grundlegend anders. Die Heidelberger Bahnstadt ist zum Prestigeobjekt geworden und beherbergt schon lange keine kleinen Firmen mehr. Seit diesem Jahr befindet sich Martins Werkstatt nun im nahen Eppelheim.
Sieg beim European Biker Build-Off
Die Veröffentlichungen in Magazinen weltweit kann er längst nicht mehr an seinen Fingern abzählen und wer denkt, seinen Zenit hätte er mit dem Sieg beim European Biker Build-Off 2016 erreicht, der irrt. Ein Motorrad ums andere haut er raus, längst überwiegend Harleys. Auch wenn sich ab und an mal eine Yamaha, Suzuki oder BMW ins eigene Portfolio schleicht, »immer offen für alles sein«, einer der Grundsätze von Martin Becker.
Dass er sich einen eigenen Stil leisten kann, ist nicht nur seiner Bekanntheit geschuldet. Es liegt auch daran, dass die gebauten Bikes ausnahmslos immer ins Schwarze treffen. Ob Highnecker, Racer, Bagger oder Chopper – ein MB-Bike ist unabhängig vom gewählten Stil immer als solches erkennbar, eine Kunst, die nur wenige beherrschen.
Harley-Davidson Knucklehead – Der V2 stammt von S&S
Und die wir am Beispiel dieser Knucklehead gern erklären, obwohl, es ist nicht mal eine echte Knucklehead. »Das war den Wünschen meines Kunden geschuldet, der wollte ein alltagstaugliches Bike, ohne bösartige Überraschungen und viel Schrauberei. Und er wollte ein Bike im Look von Shinya Kimura, optisch grob und schrammelig mit gammeligen Lack«, erklärt Martin. Dass er Letzteres nicht erfüllen konnte, quittiert er mit einem Grinsen. Bevor es aber optisch wurde, steht die Frage des Antriebs im Raum.
Für nicht wenige ist der Knucklehead der schönste Motor, den Harley je gebaut hat. Aber er ist wartungsintensiv und im Original schon lange nicht mehr für kleines Geld zu haben. Klon-Motoren bieten für Freunde von stressfreiem Fahren da die bessere Alternative. Billig sind die zwar auch nicht, verbinden aber die alte Optik mit moderner Technik und besserer Motorenleistung.
Harley-Davidson Knucklehead – Der S&S-V2 hat über 1500 Kubik
Martin entscheidet sich für einen S&S-Knuckle aus der KN-Serie. Die Motoren sind dem Baumuster des Originals exakt nachempfunden, verfügen aber über einen weitaus größeren Hubraum, ein Motorgehäuse aus Alu und eine Standard-Kurbelwelle späterer Baujahre – die Knuckle selbst gab es nur bis 1947.
Bei MB wandert der Motor in einen originalen Starrrahmen Baujahr 1948, entsprechende Adapter für die vordere Motorhalterung sind im Lieferumfang des Motors inklusive. Getriebeseitig entscheidet sich Martin für eines von RevTech. Ein altes Getriebe vor Baujahr 70 würde aufgrund der Hauptwellenlänge sowieso nicht funktionieren. Und weil der Kunde stressfrei starten möchte, wird direkt auf E-Starter umgerüstet.
Die Highlights sind erst auf den zweiten Blick sichtbar
Optisch verfolgt Martin zunächst den Wunsch seines Kunden. Erst mal wird abgebaut, dann mit Augenmaß und ausgewählten Parts wieder dran. Die besonderen Highlights sind wie immer erst auf den zweiten Blick sichtbar. Zahlreiche selbstgefertigte Halterungen machen den Unterschied ebenso wie die Einfassungen für den Scheinwerfer oder das winzige Rücklicht direkt überm Kennzeichenträger.
Noch befindet sich Martin auf dem Weg zum rotzigen Look, den sein Kunde will, lange hält er es aber nicht aus. »Je mehr ich an dem Bike arbeitete, desto mehr war mir klar, dass es einfach nicht passt. Ich sah einen einfarbigen, schnittigen Streamliner vor mir, ganz deutlich.« Spätestens ab diesem Punkt wurde das Bike zum echten MB Cycle.
Völlig untypische Räder aus Harleys »Rocker C«
Rahmen und der modifizierte NSU-Tank wurden gestrahlt, bei den Rädern entschied sich der Customizer für auf den ersten Blick völlig untypische Räder aus Harleys Rocker C, modern, aber ausgerüstet mit klassischen Firestones. Und dann ist da noch der Auspuff, scheinbar völlig untypisch für dieses Motorrad. »Ja, scheinbar«, antwortet Martin, »aber passt doch eigentlich perfekt, oder?«
Wieder hat er es geschafft, einem Motorrad seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Und nebenbei, wir finden, der »Streamliner« ist die vielleicht schönste Harley, die seine Werkstatt je verlassen hat. Martins Kunde hat das Motorrad bisher übrigens nur auf Bildern gesehen, er ist begeistert. Vergessen der Wunsch nach Schrammel und groben Formen – braucht auch nicht, wer ein echtes MB Cycle haben kann.
Info | mbcycles.de
Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.
Habe heute das erste Mal in SWR Handwerkskunst von Martin Becker und seiner Kunst im und am Motorrad gesehen und gehört… Gänsehaut pur