68 Custom aus Salzburg gelang mit der Harley-Davidson Ironhead »Vencedor« ein krasser Aufschlag: Ein seltener Magnum-Motor im umgefrickelten Santee-Starrrahmen mit Girdergabel und NSU-Getriebe. Wow!

Oft sind die Projekte neuer Werkstätten in der Branche schlicht aufgewärmter Kaffee, schon mal dagewesen oder kopiert. Wer auf die Gewinnerbahn will, muss da schon mehr bringen und auch neue, eigene Ideen in die Waagschale werfen. Klar, zunächst mal ist der Kunde König. Sobald der sich das wünscht, bekommt er natürlich sein Ness-Café-Bike gebaut, oder gar sein ganz spezielles Walz-Gerät zugeschnitten.

Null Federung im Rahmenheck auf diesem Sitz. Straßenunebenheiten verlangen nach Respekt, verdammt! Bis knapp 80 km/h gehen wir mit, dann ist Schluss.

Tatsächlich gibt es nämlich viele Auftraggeber, die immer noch einen großen Wert auf Markennamen legen. Trotzdem kann eine Firma gern zeigen, was sie über den Standard hinaus auf der Kette hat: »Für unsere damals neugegründete Firma haben wir im Internet nach unverbrauchter Inspiration für ein Promotionbike gesucht«, so Mario Bacher. Er und Jochen Pribik stehen hinter »68 Custom«. Die Salzburger bezeichnen sich selbst als durchgeknallt und offen für alles.

Harley-Davidson Ironhead? In dem Schrott steckte ein 45-Magnum-Motor

So stießen sie im Netz auf ein total abgewracktes Bike. »Wir erkannten auf den ersten Blick, dass in dem Schrott ein 45-Magnum-Motor steckte!« Und unglaublich, das Ding stand zum Verkauf. »Scheunenfund – keine Ahnung, ob der Motor läuft, gab der Verkäufer an.« Die beiden haben es gewagt und das Bike,  das – wie sich herausstellte – eigentlich aus Polen kam, in Hamburg gekauft. Wie es dahin gekommen war und ob der Motor dort so aufgebaut wurde?

Ungezähmt: Wilder Mix aus 45-Magnum-Motor, NSU-Getriebe, KTM-Lampe, DKW-Gabelkomponenten und jeder Menge handgefertigter Parts

Diesbezügliche Nachforschungen verliefen im Sand. Aber der Motor allein – eine absolute Besonderheit – war ja schon ein Glücksgriff, da konnte der verwanzte Rest ruhig in die Tonne. Es handelte sich nämlich um einen umgebauten 750er-SV-Harley-Motor, der, grob betrachtet, durch den Anbau von Harley-Davidson Ironhead-Sportster-Zylindern, Kolben und Köpfen auf OHV umgebaut worden war – mehr dazu am Ende des Textes. Dieses Aggregat sollte jedenfalls als Highlight des Promoprojektes dienen, das die zwei Salzburger »Vencedor« (zu Deutsch: Sieger) nennen wollten.

Was ist das für ein Räderkasten?

Der Motor wurde schnellstens zerlegt und überholt. »Das Getriebe, das in unserem Scheunenfund verbaut war, wirkte auf den ersten Blick sehr exotisch, aber für uns sehr ansprechend!« Mario grinst noch heute, wenn er Leute sieht, die sich nicht erklären können, was das für ein Räderkasten ist. Rätselraten allerdings auch anfangs bei den Salzburger Schraubern: Zunächst dachte jeder an ein altes englisches Getriebe aus den dreißiger Jahren, wie es Sturmey Archer und später Burman für Norton baute.

Das 45-Magnum-Aggregat wirft zunächst Fragezeichen auf die Pupillen

Die Spur war heiß! »Wir fanden heraus, dass es sich um ein NSU-Nachkriegsgetriebe von den Konsul-Modellen handelt.« Walter William Moore, einst bei Norton in Lohn und Brot, hatte 1929 zur deutschen Firma NSU (heute AUDI) nach Neckarsulm gewechselt und seine Entwicklungen mitgebracht. Die Getriebe wurden damals auf metrische Maße geändert und bis auf geringe Details auch nach dem Krieg noch an den 350er und 500er Konsuls verbaut.

Zwischen Motor und Getriebe sollte noch eine Auto-Lichtmaschine

Mario betont in diesem Zusammenhang lapidar: »Zerlegt, gereinigt, neu gelagert, neu abgedichtet und es funktionierte. Auch die Kupplung ist von der NSU Konsul, wurde von uns aber so umgebaut, damit sie auf unsere Kiste passt.« In dem neuen Rahmen wurde dieses Vierganggetriebe viel weiter nach hinten gesetzt. Zwischen Motor und Getriebe sollte schließlich noch die Lichtmaschine eines Autos passen. Dazu war die doppelreihige Konsul-Kette zu kurz und eine längere Kette dieser Art nicht zu kriegen. Eine moderne, stabile Hinterradkette und passend gemachte Kettenblätter aus dem Zubehör wurden zum adäquaten Ersatz.

Triebwerk: Durch den verlängerten Primärantrieb schufen die Salzburger Platz für die – durch Keilriemen angetriebene – Autolichtmaschine

Kurzerhand hatten die Edelschrauber Motor und Getriebe in einen Santee-Starrrahmen verpflanzt, der eigentlich für ein anderes Projekt geplant war. Mario, der die Arbeiten noch mal vor seinem geistigen Auge nachvollzieht, erläutert: »Alle Halterungen und Aufnahmen mussten ja neu gefertigt und angepasst werden. Dabei wurde der Rahmen komplett zersägt und wurde so lange bearbeitet, bis er unseren Erwartungen entsprach.« Der Öltank, den sie aus zwei alten Feuerlöschern entstehen ließen, bekam einen hochragenden Einfüllrüssel mit einem Flügelmutterverschluss.

Der Öltank der entstand aus zwei alten Feuerlöschern

Und weil die zuerst geplanten Ölschläuche nicht wirklich ein Augenschmaus waren, wurden in Handarbeit Leitungen aus Edelstahl gebogen. Dass der Benzintank jetzt auch noch solche Leitungen brauchte war klar. Bei seiner Befestigung vorn und hinten kamen wieder Messingflügelmuttern dran; ein Designelement, das sich immer wieder am Bike findet.

Der Santee-Rahmen wurde komplett zersägt und so lange bearbeitet, bis er den Erwartungen entsprach

Bei angesagten Umbauten kommen zurzeit überwiegend alte Springergabeln zum Einsatz. Im europäischen Raum hatte man überwiegend Girders – sprich Trapezgabeln – eingebaut. Eine solche coole Trapezgabel wurde gefunden und gekauft. Sie stammte von einer 1938er DKW SB 200, war mittels Adapter an den Santee-Lenkkopf anzupassen. Sie war leider viel zu kurz! So musste die Salzburger Crew längere Seitenteile fräsen und an das DKW Gabelbrücken-Parallelogramm anbauen.

Harley-Davidson Ironhead: Knapp drei Monate Bauzeit

Just in time – nach kapp drei Monaten Bauzeit – war das Bike zur Präsentation auf der Zweiradmesse in Salzburg gerade noch fertig geworden – und sorgte dort für ungläubige Biker, die meinten, bisher schon alles gesehen zu haben. Mario und Jochen hatten ein Ausrufezeichen gesetzt. Und ja, sie mussten seither mehrmals bewiesen, dass ihr »Vencedor« auch fährt.

Schwarzarbeit: Dunkel eingefärbt dominieren neue, längere Gabelseitenteile die Front

Am Ende noch ein paar Worte zu den Hotrod-Motoren: Der Customizer und Autor Randy Smith, so die Legende, war ein Flathead-Lover. Er hatte schon viele Motoren getunt und komplette kleine Flatheads gecustomized. Irgendwann fiel ihm auf, dass die Sportster-Modelle sehr viele Gemeinsamkeiten mit den alten, seit 1937 gebauten 45-Kubikzoll-W-Modellen aufzeigten: Pleuellänge, Hub und die Höhe der Zylinderaufstandsfläche waren gleich.

Also: Wie war das mit dem Magnum-Motor?

Randy war wohl der Erste, der in den späten 1960ern Harley-Davidson Ironhead-Zylinder und -Köpfe auf ein 45-Kubikzoll-Motorgehäuse pflanzte. Keine Arbeit für einen Anfänger, weil hier auch Schweiß-, Fräs-, Bohr- und Gewindeschneidarbeiten im Bereich der Zylinderfußbefestigung nötig waren. Dafür gab’s leicht mehr als die doppelte Leistung.

In den letzten Jahren sind 45-Magnum-Motoren wieder in den Fokus gerückt, weil eine Kleinserie dieses amerikanischen Ur-Hot-Rods entstanden war. Paughco bot die Motoren an und baute dazu spezielle Rahmen. Bei diesen konnte man anstatt der Dreigang-Flathead-Getriebe nun Big-Twin-Vierganggetriebe nach Harley-Davidson-Baumuster verwenden.

Das Ganze machte allerdings nur Sinn, wenn das Aggregat in dem leichten Starrrahmen-Fahrwerk der W-Modelle saß. Randy schuf also Platz im Rahmengebilde und baute einen zweirädrigen Hot Rod für Straße und Dragstrip. Er hatte für sein Geschoss auch gleich den passenden Namen: 45 Magnum; nach der gleichnamigen Winchester-Patrone mit Kaliber 45.

Jede Menge Arbeit, aber am Ende steht ein hammerharter Eisenschwein-V2

Was nach relativ leicht erhältlicher Mehrleistung aussieht, zog viel mehr kleine Arbeiten nach sich, als auf den ersten Blick zu erfassen. Lifter-Blocks waren abzuändern, die Rollenstößel selbst brauchten die Einstellschrauben der Sportster. Sowohl die Ölförderpumpe als auch die Ölabsaugpumpe mussten modifiziert werden, um mehr Öl zu transportieren und vieles, vieles mehr. Dafür steht am Ende aber auch ein Eisenschwein-V2, der niemanden kalt lässt …

 

Info | 68custom.com

Horst Heiler
Freier Mitarbeiter bei

Jahrgang 1957, ist nach eigenen Angaben ein vom Easy-Rider-Film angestoßener Choppaholic. Er bezeichnet sich als nichtkommerziellen Customizer und Restaurator, ist Mitbegründer eines Odtimer-Clubs sowie Freund und Fahrer großer NSU-Einzylindermotorräder, gerne auch gechoppter. Als Veranstalter zeichnete er verantwortlich für das »Special Bike Meetings« (1980er Jahre) und die Ausstellung »Custom and Classic Motoräder« in St. Leon-Rot (1990er Jahre). Darüber hinaus war er Aushängeschild des Treffens »Custom and Classic Fest«, zunächst in Kirrlach, seit 2004 in Huttenheim. Horst Heiler ist freier Mitarbeiter des Huber Verlags und war schon für die Redaktion der CUSTOMBIKE tätig, als das Magazin noch »BIKERS live!« hieß. Seine bevorzugten Fachgebiete sind Technik und die Custom-Historie. Zudem ist er Buchautor von »Custom-Harley selbst gebaut«, das bei Motorbuch Stuttgart erschienen ist, und vom Szene-Standardwerk »Save The Choppers!«, aufgelegt vom Huber Verlag Mannheim.