Die Finnen nennen die Yamaha XS 650 »Jytä-Jammu«, was so viel heißt wie »Groovy Yamaha«. Und groovy ist dieser Starrrahmen-Twin definitiv

Wer in einem Harley-Laden arbeitet, muss nicht zwangsläufig auch eine fahren, findet Jussi. Tagsüber schraubt er zwar bei Mr. Moore Custom Craft mit Hingabe an V2s aus Milwaukee, nach Feierabend fährt er aber auf einem Japan-Twin durch die Straßen von Tampere. Eine Abgrenzung, die sein Chef nicht nur duldet, sondern sogar unterstützt.

Die Yamaha XS 650 entsteht nach Feierabend

»Früher habe ich als Elektriker in der Filmindustrie gearbeitet. Das war Sklavenarbeit: viele Überstunden bei schlechter Bezahlung. Als Mr. Moore mir ein Praktikum angeboten hat, stand ich am nächsten Tag in der Werkstatt. Und habe es nie bereut«, grinst Jussi. »Hier kann ich nach Feierabend die Werkstatt nutzen. Selbst wenn ich dabei an meiner XS 650 schraube.«

Cleane Hebel, kleines Kennzeichen: Bis in die Details überzeugt die saubere Ausführung des Umbaus

Dabei war Jussi eigentlich nie ein Freund japanischer Motorräder. Entsprechend nüchtern verlief die erste Begegnung vor zwei Jahren. »Ich brauchte ein Bike und die XS war billig.« Liebe auf den ersten Blick sieht anders aus, aber mit 25 sitzt das Geld eben nicht so locker. »Schon nach wenigen Kilometern war ich aber völlig begeistert. Der Klang war großartig, der Motor hatte Charakter und schnell genug war das Ding auch noch! Wenn ich wollte, konnte ich Achten um die Harleys meiner Kumpel drehen«, erinnert sich Jussi an erste Ausflüge im Twin-Sattel.

Klassische Linie vor Augen

Dessen Optik war aber verbesserungswürdig, Jussi hatte eine klassische Linie vor Augen. Dazu legte er die XS starr und verpasste der Japanerin Sportster-Tank, Einzelsitz, Triumph-Heckfender und einen dezenten Apehanger. Die original Fußrasten mussten einer Tarozzi-Anlage weichen und die Serienhebel wurden durch formschöne Grimeca-Armaturen ersetzt. Im Zuge dieser Umbauten entfernte Jussi auch den Anlasser. »Klar, Kickstart-only ist natürlich viel männlicher. Eigentlich wollte ich aber nur eine kleinere Batterie verbauen. Das war mit E-Starter nicht drin.«

Eingepasst: Den Raum zwischen Getriebe und Heckfender füllt die Batterie aus

Dann brach der kurze skandinavische Sommer an und Jussi zog mit der XS und seinen Kumpeln, den Riverside Hobos, um die Häuser. Die fanden auch schnell einen Namen für den japanischen Neuzugang: »El Vagabundo«. Damit konnte Jussi gut leben, mit dem Look des Twins weniger. Also rollte er die XS wieder in die Werkstatt von Mr. Moore und baute erstmal die Vorderbremse aus. »Sicher, die Polizei sieht das nicht gerne, aber es passt einfach nicht zum Bike. Außerdem haben mich die vier Kolben hinten bisher immer zum Stehen gebracht.«

El Vagabundo Segundo

Gelöst war die Stilkrise damit aber noch nicht. Nach langem Grübeln versuchte es Jussi auf den Rat seines Chefs hin mit Mustang-Tank, flacherem Lenker, einer Sportster-Gabel und ausgeprägtem Rake. Das sah deutlich besser aus, Jussi hatte einen Grund mehr, seinem Arbeitgeber dankbar zu sein. Ein hochgelegter Eigenbau-Auspuff machte die zweite Evolutionsstufe der XS perfekt. Die bekam jetzt auch einen neuen Namen: »El Vagabundo Segundo«. Irgendwie logisch. Und ziemlich groovy.

Das Charisma des XS-650-Motors bringt nicht nur Jussi ins Schwärmen. Gut gepflegt und gekonnt verfeinert, unterhält der Reihenzweiizylinder bestens. Und mehr als 50 PS braucht in den finnischen Wäldern eh kein Mensch. Viel wichtiger sind Vibrationen, die jedem den skandinavischen Groove ins Stammhirn hämmern. Auch Harley-Fahrern

Mit dem Abschluss seines Umbaus war Jussi denkbar glücklich, nach Feierabend aber nicht mehr ausgelastet. Mit mehr Scheinen in der Tasche und dem Wissen, den Großmut von Mr. Moore nicht unnötig zu strapazieren, legte er sich eine Sportster zu. »Die steht schon halbfertig in der Werkstatt. Flach soll sie werden, mit einer Springergabel. Aber wer weiß, vielleicht kommt doch alles ganz anders.« Jussi hat in der Zeit mit der XS viel gelernt.

 

Charles/Link