Wenn die Übergabe eines Motorrades zur einzigartigen Angelegenheit wird, dann steckt eine besondere Geschichte dahinter – zum Beispiel, dass ein bekannter Customizer für einen bekannten Musiker eine Harley Shovelhead gebaut hat
Das erste Ankicken, das erste sonore Trommeln des V2, das erste Röhren aus der hochgezogenen Auspuffanlage, das erste Platz nehmen auf der plüschigen Sitzbank, die Sissybar im Rücken, der erste Griff an den kantigen Lenker – ein Grinsen zieht über Sascha Vollmers Gesicht. In diesem Moment ist er nicht bekannter Teil der Band »The Boss Hoss«, in diesem Moment ist er der Typ, der zum ersten Mal sein Bike fahren wird.
Schon zum zweiten Mal wurde Thunderbike für Sascha aktiv
Wir alle kennen das Gefühl, das er gerade haben muss. Und es ist ihm anzusehen, dass das, was er sich bei einem Videodreh in Kalifornien ersonnen hat – ein Ratbike oberster Kategorie – voll ins Schwarze trifft. Es war ein guter Griff, den Auftrag zum Bau der Ratte an Thunderbike in Hamminkeln zu vergeben. Nicht nur, weil die Jungs um Andreas Bergerforth schon einmal ein Bike für Sascha gebaut hatten, sondern vielmehr, weil es kaum eine andere Firma gibt, die das Projekt so ideenreich und innovativ angehen würde.

Denn, was rattig und ranzig aussieht, ist in Wahrheit ein Meisterwerk an Handarbeit und Technik. Und da ist es nur recht, wenn zur Übergabe des Bikes die Thunderbike-Crew nach Berlin reist und die Probefahrt letztlich zur Tour durch die Hauptstadt wird. Die Faszination beginnt, wenn man weiß, dass unter Sascha ein Motor arbeitet, der generalüberholt ins Bike gewandert ist. Bis auf die letzte Schraube zerlegt und ausschließlich mit Originalteilen überholt, treibt Sascha ein Aggregat in bestem Zustand durch die Straßen, das allerdings aussieht, wie aus der Tonne gezogen.
Künstliche Alterung gibt den rattigen Look
Wie sämtliche Metallteile bis hin zur kleinsten Schraube wird auch das Motorgehäuse einem künstlichen Alterungsprozess unterzogen. Lange hat die TB-Crew getüftelt, bis mittels Steinbädern – in riesigen Trögen werden Metallteile mit Kieselsteinen im Kreis gejagt – , Salzwasser- und Essigbädern, Schleifpapier und Hartöl ein authentischer Vintage-Look entsteht. Die Stößelrohre sind aus Messing gedreht, anschließend in Salzwasser gebadet und flambiert.

In Verbindung mit den außenliegenden Federn sehen sie richtig alt aus. Die Hoss-Buchstaben werden aus Stahlplatten gebrannt und an Halteclips verschweißt. Nockendeckel und Luftfilter werden von Graveur Klaus Witte aufwendig graviert, wie auch im späteren Endspurt noch zahlreiche andere Metallteile.
Aus alten Krümmern wird ein neuer Auspuff
Die zwei originalen Einzelkrümmer werden zusammengefügt, um den hauseigenen Custom-Auspuff zu montieren. Das Hitzeschutzblech wird im Look eines alten Maschinengewehrs produziert. Die Rockerboxen sind aus Serienteilen herausgefräst und mit gefrästen Konturen versehen, die Köpfe bekommen dadurch eine ganz besondere Optik.

Den Kicker montieren die Jungs ebenfalls nachträglich. Für den Notfall liegt der alte E-Starter auf einem kleinen Schalter oberhalb des Primärkastens. Schöner Nebeneffekt – am Lenker verbleiben damit nur zwei elementare Funktionen: Gas und Bremse.
Harley Shovelhead mit aufwendigen Blecharbeiten
Die aufwendigen Blecharbeiten an Schwinge, Bremsanker, Sporty-Tank, Struts, Fender, Lampen- und Batteriehalter sowie Öltank sind einen gesonderten Blick wert. Alles wurde erst aufgedoppelt, anschließend gelöchert und letztlich mit schmalen Rändern versehen, reine Handarbeit. Rahmen und Gabel bleiben technisch serienmäßig, ein Zugeständnis an Fahrbarkeit und Obrigkeit, aber auch hier werden alle Teile im Schnellverfahren gealtert.

Die Räder in 19 und 23 Zoll stammen aus einer Enduro. Da das Vorderrad nur eine kleine Honda-Trommel liefert, entscheidet sich Andreas mit seinem Team beim Bau für eine extradicke Scheibenbremse mit fettem Bremssattel im Hinterrad. Auf dem Sattel ist das Thunderbike-Logo eingraviert. Im Stop-and-go durch Berlin ist Sascha übrigens schwer zufrieden mit der ordentlichen Bremsleistung seines Oldschoolers.
Der Sänger als Tourguide
Und es ist schnell klar, dass die Nacht in der Stadt lang wird, weil Sascha erstens kaum Lust hat, nicht zu fahren und sich zweitens angeboten hat, mit der TB-Crew die besten Locations zu entern. »Es ist sowas wie eine Freundschaft entstanden. Sascha war ja auch während des Baus bei uns in Hamminkeln, um sich selbst ein Bild zu machen und auf der roh zusammengesteckten Harley Probe zu sitzen«, erzählt Thunderbike-Mastermind Andreas. »Und ihn als Tourguide hier in Berlin dabeizuhaben, ist sowieso unbezahlbar. Er kennt die Stadt genau und fährt halt nicht blöd in jede Einbahnstraße, das ist schon prima«, schmunzelt er.

Zwischendurch wird getankt, durch den Tankdeckel einer alten Simson fließt der Sprit in den Behälter. Und in die Nacht strahlt das Rücklicht einer NSU Quickly. »Es ist faszinierend, dass an meinem Bike Teile von Baujahr 1930 bis 2014 verbaut wurden«, erzählt Sascha, der leidenschaftlich Motorrad fährt, »weil es so passend zur Musik ist.« Nach der Tankpause kann er es kaum abwarten, wieder auf dem Sattel Platz zu nehmen.
Einsatz auf dem Feuerstuhl
Das verwendete Sitzleder diente in seinem Vorleben als Sicherheitsschürze in einer Stahlhütte. »Mehr als geeignet für den Einsatz auf einem Feuerstuhl«, lacht Andreas. Bleibt noch, einen Namen zu nennen. Lackierer Ingo Kruse vollendete die Lack- und »Rost«-Arbeiten an Saschas Bike. Eine rattige Meisterleistung, wie das gesamte Motorrad, das nach fünf Monaten Bauzeit bereit für seinen Besitzer ist.

Bis spät in die Dunkelheit sind die fünf Bikes, die sich für diesen Tag zusammengeschlossen haben, durch Berliner Straßen unterwegs. Unterbrochen von Tanken, Essen, kurzen Stippvisiten an bekannten Szeneplätzen. Fünf Jungs, die zusammen die Nacht entern und eine gute Zeit haben. Es mag das sein, was sich Sascha Vollmer beim Videodreh in Kalifornien vorgestellt hat und was jeder von uns will. Seine Shovel passt dazu perfekt.
Info | thunderbike.de
Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.
Pfffh, FakeBike! Auf „alt“ gekünzelt, aber eine sauber genähte Sitzbank (wo sind die offenen Nähte u. Risse im Leder?) und erst das frisch geölte Täschchen!
Nix geht über ECHTE Patina!!!