Im schwäbischen Wendlingen bietet Jochen Siebenrock den beiden größten Parteien der BMW-Zweiventilverehrer eine traute Heimat

Gürtelschnallen. Boxermotoren als Gürtelschnallen. In kleinen Häufchen liegen sie auf dem Schreibtisch von Jochen Siebenrock in Wendlingen – mal gänzend silber, mal gebürstet, mal mit lackierten Kühlrippen, mal großflächiger schwarz eingefärbt. Jochen ist unzufrieden. Der Zulieferer, bei dem er die Dinger ordert, liefert nicht die Qualität, die er sich vorstellt.

Siebenrock – Der Architekt

Deshalb legen sie in Wendlingen selbst noch mal Hand an, experimentieren mit unterschiedlichen Finishs, versuchen die Charge zu retten. Schaut man ihm zu, wie er die Varianten in Händen hält, sie dreht und wendet, mit halb zugekniffenem Auge in die Winkel peilt und dabei bisweilen wie im Schmerz das Gesicht verzieht, dann weiß man unmittelbar, was den Mann antreibt und was die treibende Kraft hinter seinem geschäftlichen Erfolg ist: die Perfektion.

Der Firmensitz in Wendlingen bei Stuttgart: Wer aus dem Laden nicht mit Kaufgelüsten rauskommt, ist kein Boxer-Fan

Vielleicht liegt es daran, dass er gelernter Architekt ist. Ohne genaueste Planungen und Berechnungen, ohne belastbare Statik und ohne Funktionalität geht da gar nichts. Und gefallen soll Architektur natürlich auch. Maximen, die man auf gewisse Weise auch auf Gürtelschnallen übertragen kann – und auf alles, was Jochen, seine Frau Harriet und sein Team den Menschen neben den Schnallen sonst noch zu bieten haben: Ersatzteile für klassische Zweiventil-BMWs. Und damit spricht er Originalheimer genau so an wie Umbaufreunde.

Legendäre Motorkits

Von der Schraube bis zum komplett restaurierten Motorrad reicht die Bandbreite, von der Ölwannendichtung bis zu den mittlerweile schon legendären Siebenrock-Motorkits, die den betagten, in Sachen Dynamik doch eher flauen Boxer-Klöppeln Sturm in die Zylinder säen. Damit bieten die Wendlinger all jenen eine Heimat, die auch 22 Jahre nach dem Produktions-Aus der Münchner Zweiventilboxer und in Zeiten von 200-PS-Superbikes mit Straßenzulassung diese kleine kuschelige Zweiradwelt von gestern noch immer mit Inbrust bewohnen.

Tachogehäuse im Originallook, aber mit eingespritzten Gewindeeinsätzen und LED-Kontrolllampeneinheit

Und das sind viele und sie kommen aus der ganzen Welt. In rund achtzig Länder liefert Siebenrock seine Produkte und nach Kundenwunsch aufgebaute Motorräder. Menschen von weither in den Wendlinger Verkaufsräumen zu treffen, ist nichts Ungewöhnliches. Als wir da sind, streift ein japanischer Sammler durch die Halle. Der daraufhin gepackte Container wird bald gen Japan schippern.

Alles begann mit Ersatzteilen

Ersatzteile. Damit fing alles an. Als Student bewohnt Jochen eine Dreier-WG – drei Jungs und alle eingefleischte BMW-Fans. Doch Geld ist ebenso knapp wie die Ersatzteile damals, und so fangen sie an zu sammeln und zu horten in ihrer Stuttgarter Garage. Erst versorgen sie sich selbst, dann Freunde, dann Freunde der Freunde und dann deren Bekannte. Start-up nennt man so was heute, und wie so viele andere beginnt auch das Siebenrock’sche in einer Garage – und entwickelt sich gut. Als 1988 die Regale zusammenzubrechen drohen, zieht man in neue Räumlichkeiten um. Noch betreibt Jochen das Teilegeschäft nebenher zur Architektur. 1991 schließlich fasst er sich ein Herz und macht sich mit zwei Angestellten selbstständig.

Sitzbänke bietet Siebenrock im Original-Look. Drin aber steckt ein haltbarer und formstabiler MDI-Schaum

Bereut hat er es nie. Sein Hobby hat er zum Beruf gemacht, und darüber das Hobby natürlich auch ein Stück weit verloren. Wer das Motorrad beruflich lebt, kennt das. Den Helm setzt sich der Mann selbst kaum noch auf. Seine Begeisterung ist trotzdem ungebrochen. Das sieht man in seinen Augen, wenn er durch sein Reich führt, bei den in Ecken gequetschten Maschinenunikaten verweilt, von ihren ehemaligen Besitzern erzählt, von Fund- und Bergungsumständen. Nicht nur Maschinen sammelt er – viele von den gehorteten Schätzen sind unverkäuflich – nein, er sammelt auch Geschichten.

Zeugen der Zweirad-Historie

Da ist zum Beispiel diese R 32, die erste BMW überhaupt. Eines Tages kam ein Anruf, wie so oft. In einem Keller stehe noch ein altes Motorrad vom Onkel, ob Jochen Interesse hätte. Allerdings müsse man dafür ein Stück Mauer aufbrechen, die Tür sei irgendwann verengt worden. Bei der Bergung erzählen dann siebzig Jahre alte Männer, wie sie auf eben diesem Motorrad beim Oheim hinten auf dem Sozius saßen. Oder die R20-Wehrmachts-BMW von 1937, Kriegszeugin, die fünfzig Jahre lang in einer Scheune vor sich hin schlummerte.

Noch sind die Lager prall gefüllt, …

Oder eine von nur vier gebauten Krauser-Vierventilern mit Turbolader. Oder der Paris-Dakar-Boxer von Heribert Schek. Oder die HPN-Paris-Dakar-Maschine von Raymond Loiseau aus dem Team Gaston Rahier. Die Liste ließe sich noch eine Weile fortsetzen. Jochen ist Bewahrer und Erhalter – und doch innovativ. Wenn er die Produktion von Teilen in Auftrag gibt, dann sind die besser als das Original. Und das nicht nur, weil Material und Verarbeitung mittlerweile auch Fortschritte gemacht haben. Auch, weil Jochen Schwabe ist, ein Tüftler, der immer die Optimierung vor Augen hat. Beispiele gefällig?

Münchner Mangel

Da sind unter anderem die Tachogehäuse diverser Baureihen, die BMW schon lange nicht mehr anbietet. Der Zahn der Zeit hat hier sein zerstörerisches Werk verrichtet, im bleichen, mürbe gewordenen Kunststoff geben die Schraubverbindungen auf. Im Ersatz aus hochwertigem, UV-beständigem Spritzguss sind nun Gewindeeinsätze verdrehsicher eingespritzt. Auch neue Kontrolllampeneinheiten fürs Cockpit gibt es, außen in Originaloptik, innen aber mit modernster, hell leuchtender LED-Technik versehen. Oder Auspuffanlagen, auch ein Münchner Mangelprodukt.

… in denen verblichene Boxer-Schönheiten auf ihre Wiederauferstehung in der hauseigenen Werkstatt warten

Sie lässt Jochen bei Sito in Originalqualität und der klassischen Originalform weiterfertigen. Oder Sitzbänke. In den klassischen Originalformen und Bezügen in Originaloptik steckt nicht länger morsches, jahrzehntealtes Gebrösel, sondern hochwertiger, formbeständiger MDI-Schaum. Oder Bremsscheiben. Auch sie gibt es bei BMW schon lange nicht mehr. Siebenrock lässt den Ersatz in Originaloptik bei Magura aus einer Edelstahllegierung fertigen, die effizienter beißt als das Original.

Erhalten, nicht verändern

Originalität ist ein wichtiges Wort in Wendlingen. Jochen will erhalten, nicht verändern. Auch bei den Restaurierungen ist das die Devise. Da werden nicht radikal neuwertige Oberflächen geschaffen, da wird mit Bedacht die schöne Patina der Jahre aufgearbeitet. Und was ist mit Customizing? Schließlich baut jeder Hinz und Kunz mittlerweile Zweiventilboxer um, der Markt ist fast schon leergefegt, die Preise ins Kraut geschossen. »Es gibt immer noch viel zu viele, die die Originale kaputtmachen«, sagt Jochen leicht bitter. Natürlich verdient er mit Motorrädern sein Geld,  ein bisschen aber kauft er die Originale – alle, die er finden kann und die in seinen Garagen eng gedrängt auf ihr zweites Leben warten – auch von der Straße weg, um sie zu retten.

Hochfest und deutlich leichter als Serie, bieten die modernen, in nikasilbeschichteten Zylindern laufenden Schmiedekolben der Kits mehr Laufruhe zusammen mit mehr Drehfreude

Doch auch er profitiert vom Customizing-Boom, denn der nach ihm benannte Motorkit (siehe Kasten) hält in einer der vier verfügbaren Varianten in so gut wie jeden Zweiventilumbau Einzug. Dieser Kit ist einer von Jochens besonderen Coups, zu denen auch die klassischen Krauser-Koffer gehören, deren Neufertigung er – natürlich in gegenüber dem Original verbesserter Form – schon 1993 nach dem Produktionsstopp bei Krauser übernommen hat.

Der erste Siebenrock-Coup

Seinen ersten Coup hat er bereits ein Jahr zuvor mit seinem ersten eigenen Produkt gelandet: dem klassisch runden Ventildeckel, den er technisch so verbessert hat, dass er sich leichter montieren lässt – eine Verbesserung, die BMW später sogar in die Serienfertigung einfließen lässt. Ein außerordentlich beliebter Dauerbrenner. »Davon haben wir seit damals ein paar tausend Stück pro Jahr gefertigt und verkauft, mittlerweile hat das dritte Werkzeug den Geist aufgegeben.« Und die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Seit vier Monaten ist eine neue Version im Angebot, schwarz seidenmatt beschichtet und mit überfrästen Kanten ein Hingucker.

Als Architekt und Ingenieur lebt Jochen Siebenrock (rechts) von Genauigkeit und Perfektion. Das merkt man seinen Produkten an

Dass der Name Siebenrock heute in Zweiventil-Fankreisen aber in aller Munde ist, verdankt Jochen einem anderen Produkt: der Entwicklung der sogenannten Siebenrock-Kits. »Früher war das Tuning des Boxers aufwendig«, erzählt Jochen, »immer mussten die Zylinderköpfe mit überarbeitet werden, was sehr hohe Kosten mit sich brachte.« Musste man für mehr Hubraum wirklich immer neue Köpfe auf den Boxer schrauben? 1997 entstand die Idee zu einer anderen Lösung.

Plug and Play mit TÜV

Deren Geheimnis ist in den Kolben versteckt: Mittels eines mehr oder weniger breiten Kragens wurde deren Boden so modifiziert, das er trotz gestiegener Bohrung unter die alten Zylinderköpfe passt. Daraus entstand eine vom TÜV zertifizierte Plug-and-Play-Lösung für vergleichsweise günstiges Geld. »Im ersten Jahr sammelten wir unsere Erfahrungen. Im Bereich des Brennraums, der über dem Kragen liegt, gab es anfangs Klingelnester. Durch ein schräges Anfräsen des Kragens konnten wir diese beseitigen. Mittlerweile laufen manche unserer Kits schon über 500 000 Kilometer, einer sogar 704 000. Bis auf einen neuen Satz Kolbenringe gibt es da nichts zu tun.«

In welche Ecke man auch blickt, überall alte Boxerschätze. Hier ist es eine R 20 aus dem Jahr 1937, einst von der Wehrmacht in einer Scheune vergessen

Mit seinen Kits war Jochen genau zum richtigen Zeitpunkt am Start. Fahrschulen mussten damals mehr Hubraum anbieten und langten hin, auch der Bundesgrenzschutz wollte seinen Bestand gerne aufrüsten, die Power-Kits für die 800er gingen wie geschnitten Brot über den Tresen. Noch heute sind die Kits ein Verkaufsschlager. Warum, das kann ich am eigenen Leib erfahren, als ich zuerst den 860-ccm-Power-Kit in einer aufgerüsteten R 65, beim zweiten Turn über die schwäbische Alb dann den 1070-ccm-Big-Bore-Kit in einer R 100 am eigenen Leib erfahren darf.

Der Twin zieht durch

Was der 860-ccm-Kit aus dem 45-PS-Boxer macht, ist aller Ehren wert. Kein unentschlossenes Schütteln nach Einrücken der Kupplung, praktisch ab Leerlaufdrehzahl zieht der Twin voll durch, nimmt dich zwischen 3000 und 5500/min mit in den Dynamikhimmel und reißt bis in den roten Bereich weiter an. Dabei läuft er laufruhig wie keine Kuh ab Werk. Rund 15 Pferde und 40 Prozent mehr Drehmoment bringt der Kit unterm Strich, der Lustgewinn fällt um einiges höher aus.

Diese R 100 leistet mit dem Big-Bore-Kit knapp 80 PS und rund 95 Newtonmeter aus 1070 Kubik. Zusammen mit der optionalen SGS2-Auspuffanlage sind sogar an die 85 PS und mehr als 100 Newtonmeter drin

Nicht ganz so ekstatisch empfinden wir den Ritt auf der 1000er, die per Big-Bore-Kit auf 1 070 Kubik aufgebohrt ist. 78 PS und 100 Newtonmeter stehen auf Siebenrocks Prüfstandskurven und somit sind auch hier die Zuwächse im Vergleich zur Serie eklatant, was beim Fahren nicht verborgen bleibt. Dieser gepimpte Boxer ist ein Bulle, ein sportlicher Reißer, seine Laufkultur aber ist nicht ganz so rund wie beim 860er-Kit. Beim Drehen wirkt er zappeliger und ein wenig angestrengter.

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Als sich die Sonne schließlich gen Horizont senkt, reift ein Plan: eine olle R 45 kaufen, den 860-ccm-Kit draufpropfen – ja, der passt auch auf die Kleine (!) – und alles drumherum ein bisschen schick machen. Doch schon der erste Blick ins Netz zeigt unmissverständlich: Auch die Kleinen sind mittlerweile richtig teuer. Dass daran auch Jochen Siebenrock nicht ganz unschuldig ist, dessen sind wir uns nach diesem Tag gewiss.   

 

Die Kits von Siebenrock gibt es in vier Versionen. Sie werden mit allen notwendigen Teilen geliefert, die für die Umrüstung des Serienmotors notwendig sind. Auf Wunsch wird vor Ort in Wendlingen natürlich auch die Umrüstung übernommen.

Alle Kits beinhalten nikasilbeschichtete Zylinder mit eingepressten Schutzrohren aus Edelstahl, Schmiedekolben, Kolbenringe, Bolzen und Sicherungen, TÜV-Gutachten und Montageanleitung. Beim Big-Bore-Kit sind zudem andere Pleuel und eine andere Nockenwelle nötig, was sich im Preis deutlich niederschlägt.

Power Kit 860cc
Preis:
950 bis 989 Euro
Details: Die Kraftkur für die kleinen Boxer. Zylinder mit 94 mm Bohrung. Es gibt eine Version für die 27-PS-Modelle (R 45, R 65) und eine weitere für die R-65-Modelle mit 45, 48 und 50 PS. Leistung rund 60 PS und 80 Nm bei der R 65, 45 PS und 80 Nm bei der R 45 (siehe Leistungsdiagramm)

Leistungsdiagramm R 65

Power Kit 1000cc
Preis:
899 bis um die 1000 Euro
Details: Aufrüstsatz für die 800er-Modelle auf 1 000 ccm, Zylinder mit 94 mm Bohrung. Von diesem Kit gibt es drei Versionen, eine für alle R-80-Modelle ab 1981, eine für R-75-, R-80- und R-90-Modelle von Baujahr 1976 bis 1980. Version drei passt für die /5- und /6-Modelle bis Baujahr 1975. Leistungsausbeute bei R 80 64 PS und 72 Newtonmeter.

Replacement Kit 1 000cc
Preis:
915 bis 1130 Euro
Details: Leistungsspritze für alle R-100-Modelle, Zylinder mit 94 mm Bohrung. Version eins passt für alle 1 000er-Modelle bis Baujahr 1980, Version zwei für alle ab 1980. Die Leistungsausbeute liegt bei bis zu 67 PS und mehr als 85 Newtonmetern.

Leistungsdiagramm R 100

Big Bore Kit 1 070cc
Preis:
2.198 bis 2.285 Euro
Details: Das Kraftwerk für den Einliter-Zweiventilboxer: Die Bohrung steigt von 94 auf 98 Millimeter, zusätzlich zum Normalumfang aller Kits sind zwei neue Pleuel und eine neue Nockenwelle enthalten. Die Leistungsausbeute damit liegt bei knapp 80 PS und 95 Newtonmetern (siehe Leistungsdiagramm). Kommt statt einer Auspuffanlage in Original-optik die SGS2-Anlage hinzu, erhöht sich die Ausbeute auf rund 85 PS und mehr als 100 Newtonmeter.

Das größte Teilepuzzle in der Siebenrock-Kit-Wundertüte: Der Big-Bore-Kit für die Aufrüstung der R-100-Modelle auf 1070 Kubik. Zum Normalumfang gesellen sich hier zwei Pleuel und eine Nockenwelle

 

Guido Kupper
Redakteur bei CUSTOMBIKE

Guido Kupper, fährt praktisch seit seiner Geburt in grauer Vorzeit Motorrad, hat mit dem Schreiben aber erst angefangen, als er schon sprechen konnte. Motorisierte Zweiräder hat er nur acht Stück zur Zeit, Keller und Garagen sind trotzdem voll. Sein letztes Ziel im Leben: Motorrad fahren und mal nicht drüber schreiben