Meist sind die Motorräder die interessantesten, die eine Geschichte erzählen. So baut Victor diesen Cafe Racer aus der Kawasaki 350 S2, die er bereits als Kind abseits befestigter Straßen fuhr.

»Als junger Bursche half ich oft unserem Nachbarn. Seine Farm war von meinem Elternhaus aus zu Fuß erreichbar und es gab allerhand Motorradteile, die dort in einem Bretterschuppen herum lagen. Der jüngste Sohn des Farmers war einst ein fanatischer Off-Road-Fan und als er sein Hobby irgendwann an den Nagel hängte, wurden all die Motorräder und Teile in diese Scheune gestopft. Alles lag danach jahrelang nutzlos herum, bis ich kam und herumschnüffelte.«

Die Kawasaki 350 S2 ist ein echter Scheunenfund

Er muss lachen und erzählt weiter: »Zu der Zeit war ich noch total fasziniert von Mopeds. Sie wurden immer lauter und schneller. In der Scheune der Farm fand ich wunderbare Teile, um die Motoren zu frisieren. Eines Tages, auf Schatzsuche in einer dunklen Ecke, fiel mein Blick auf eine Kawasaki 350 S2, die mich aus ihrem staubigen Versteck anblinzelte. Ich war sofort wie gebannt. Das war ein richtiges Motorrad.«

Weil beim Thema Kawasaki jeder automatisch an Grün als Farbe denkt, entschied sich Victor, zumindest grüne Benzinschläuche zu verwenden

Es vergingen noch einige Jahre, bis der Nachbar eines Abends unerwartet vor der Tür stand. »Er sagte nur, ich solle sofort mitkommen, er hätte was ganz Besonderes für mich. Nach einem Fußmarsch durch die Wiesen standen wir vor eben jener Scheune, die ich natürlich ganz genau kannte. Und da war sie: die Kawasaki!« Der Nachbar schenkte sie dem Jungen. Der war 15 Jahre alt und durfte nicht einmal Mopeds fahren, geschweige denn ein echtes Motorrad.

Leider hatte die Kawasaki 350 S2 keine Papiere

Den Feldweg hoch und runter, in die örtliche Sandgrube, mehr war nicht drin. Eines Abends beschließt er heimlich und gegen das Verbot der Eltern ins Dorf zu fahren. Als er nach Hause kommt, empfängt ihn seine Mutter: »Du darfst nicht mehr Motorrad fahren.« Ab diesem Tag steht die Kawa ungenutzt im elterlichen Schuppen.

Victor wollte bei seiner Kawa zwar optische Zeichen setzen, aber möglichst viele Originalteile verwenden. So blieben Armaturen, Hebel und Scheinwerfer Serienware, lediglich der Abstand zwischen Lampe und Lenker wurde verkürzt

Victor wird älter, nimmt einen Job in einer Werkstatt an, die Rollstühle repariert. Einer seiner Kollegen ist ein ehemaliger Customizer. Victor wird abermals infiziert, Umbauvirus heißt die Diagnose. Er baut eine Honda Hawk zum Streetfighter um. Trotzdem, immer wieder sprechen ihn Freunde auf die alte Kawa an. Jetzt oder nie, Vistor zieht die alte Kiste aus dem Schuppen und kümmert sich erstmal um Papiere für das Moped.

Runde Formen, kombiniert mit kantigem Design

Er kommt nicht weit, das Kennzeichen wurde aufgrund der Standzeit aus allen Registern gelöscht und die Rahmennummer ist nicht mehr leserlich. Er findet Ersatz und beginnt, sich von anderen Umbauten inspirieren zu lassen. Victor entscheidet, die altbackenen Lackteile durch solche aus Aluminium zu ersetzen. Den passenden Ansprechpartner hierfür findet er in Marcel van der Stelt, der auf traditionelle Weise Aluminiumtanks herstellt. Zusammen erarbeiten die beiden ein Konzept für die Kawa.

Alles andere bleibt Silber, wie Tank und Höcker, gebaut vom Spezialist für Alu-Arbeiten, Marcel van der Stelt

»Ich wollte die klassischen Cafe-Racer-Linien, aber mit einem modernen Touch. Runde Formen, kombiniert mit kantigem Design sozusagen. Obendrein wollte ich den kleinen Motor optisch stärker herausstellen, also konnte der Tank nicht zu groß ausfallen. Trotzdem sollte genug Tankvolumen und ein breiter Tankabschluss für den Sitz übrig bleiben, um komfortabel damit fahren zu können«, erzählt Victor. Mit diesen Vorgaben macht sich Marcel an die Arbeit. Auch Victor ist nun fast täglich in der Scheune der Eltern. Er will so viele Originalteile wie möglich wiederverwenden, wenn auch in modifizierter Form.

Die Auspuffanlage wird zu einer 3-in-1-Version umgebaut

Armaturen, Hebel und Scheinwerfer sind Beispiele dafür. Die Auspuffanlage wird zu einer 3-in-1-Version umgebaut und die Zweitaktbirne so geändert, dass die Fußrastenanlage Platz hat. In der Summe kostet das den sensiblen Zweitakter um die fünf PS, aber der dabei entstandene, röhrende Sound macht das wieder wett. Die Teile für die Fußrastenanlage sind Eigenbauten aus Edelstahl, ebenso der Tachohalter. Nach Abschluss der Arbeiten bilden Tacho, Tankstutzen und Steuerkopf eine schöne Linie.

Der Tacho wurde in ein neues Gehäuse gepflanzt

Der Motor wird komplett auseinandergenommen, dabei offenbart er einen erstaunlich guten Zustand. Trotzdem erneuert Victor sämtliche Lager und Buchsen und reinigt und lackiert alle restlichen Teile sorgfältig. Die Vergaser haben ihre besten Zeiten bereits hinter sich und das oxidierte Aluminium blüht überall. Jetzt sind sie wieder frisch und sauber und haben ein neues Innenleben in Form von Nadeln und angepassten Düsen bekommen.

»Ich wollte sichtbar machen, dass es ein Dreizylinder ist«

Das wurde ohnehin nötig, um sie auf die Luftfilter abzustimmen. »Ich wollte sichtbar machen, dass es ein Dreizylinder ist. Deshalb hat sie diese chromblitzenden Einzelfilter bekommen. Die sehen einfach großartig aus«, erklärt Victor. Aber nicht alles an seinem Umbau läuft auf Anhieb wie geschmiert. So muss er feststellen, dass der neu angefertigte Tank es unmöglich macht, den Benzinhahn zu bedienen.

Was lange währt, wird endlich gut? Im Fall von Victor trifft das jedenfalls zu: »Der Motor läuft großartig und klingt beinahe noch stärker, als er ist! Zusammen mit dem geringen Gewicht ist es wie der Ritt auf der Kanonenkugel, mit dem maximalen Drehmoment ganz oben in der Nähe der Spitzenleistung. Dieser knatternde Sound und die schöne blaue Fahne, unter der vor allem die Leute hinter mir leiden, macht ihn zu einem Sonderling in den Reihen der Cafe-Racer-Szene und das steigert den Spaß nur noch mehr!«

Als Lösung feilt er aus einem Rohr eine Verlängerung und verpasst dem nagelneuen Tank eine Aussparung an der Unterseite. Außerdem fordert die neue Linie eine neue Position für den unverzichtbaren Öltank, denn der Zweitakter läuft mit Getrenntschmierung. Unter der Sitzbank findet sich der passende Platz. Mehr als zwanzig Jahre nach Victors erstem Ritt auf der Kawa haben die beiden ihr Happy End gefunden.

 

Floris Velthuis