Die Vorlage für folgenden Text lieferte Erbauer Christian Klein selbst. Bisschen viel Understatement für unseren Geschmack, denn sein Eigenbau mit Harley-Davidson Ironhead ist schlicht sensationell.

Das jüngste Gericht war nah und mit ihm verbunden eine extrem lustlose Phase in Christians Leben. Vor allem in Sachen Motorrad ging nichts mehr. Das jüngste Gericht bezeichnet den fünfzigsten Geburtstag des Mannes, der schon einige richtig gute Motorräder rausgehauen hat. Geschraubt rein privat und aus purer Lust – und eben jene war ihm irgendwie abhanden gekommen.

»Keinen Bock auf die Werkstatt und all die umgebauten Scheißkarren«

»Keinen Bock mehr auf Bikes, auf drehen, fräsen, schweißen. Auf die Werkstatt und all die umgebauten Scheißkarren der letzten Jahre. Was soll die brotlose Kunst, die alberne Leidenschaft Motorräder umzubauen, was soll das alles? Und eigentlich wollte ich nur noch alles verschachern und verschenken«, die Sinnkrise hatte Christian voll erwischt, mit jedem Tag, der näher an den Fünfzigsten führte wurde sie unerträglicher. Große Stütze in den schweren Zeiten der Resignation ist Christians Familie.

Der Erbauer schreibt dem Ironhead-Motor großes Potenzial zu. Mit dem Original ist der neue Antrieb allerdings kaum zu vergleichen, zu massiv sind die Veränderungen am Zweizylinder. Für den Neubau des Öltanks durfte der Ventildeckel einer BMW herhalten

Herzergreifend und einfühlsam holen sie ihn mit Sätzen wie »Reiß dich zusammen« oder »Bitte mach die Tür zu beim Weinen« auf den Boden der Tatsachen zurück, ihr merkt den Sarkasmus. Immerhin, Christian übersteht den Tag des jüngsten Gerichtes, der zum Trost mit einem 66er Mustang gekrönt wird. Eine langsame Besserung seines arg deformierten psychischen Zustandes tritt ein. Mutig nimmt er sich vor, wieder langsam und behutsam in sein altes Leben einzutauchen.

Harley-Davidson Ironhead als lächerlicher Cafe Racer?

Das zurückgelegte Budget investiert er in eine ziemlich runtergekommene Harley-Davidson Ironhead Sportster. »Ich wollte daraus bewusst einen lächerlichen Cafe Racer machen. Mit durchgesteckter Gabel, Stummellenker, Wurstreifen und so wenig Aufwand wie möglich«, erzählt er rückblickend. Doof nur, wenn man einfach mehr kann als das. Beim Blick auf die Bilder hier ist es eigentlich unnötig zu erwähnen, dass die Sache total aus dem Ruder läuft – mal wieder in Christians Schrauberleben.

Lang, flach und spartanisch präsentiert sich die Harley nach Vollendung. Die selbstgebauten Gabelbrücken setzen die Linie des Rahmens in Perfektion fort

Nach dem ersten Begutachten der in Christians Augen unerträglich hässlichen Harley auf seiner Werkbank denkt er zwar immer noch, dass mit ein bisschen Flexen und Schweißen alles getan ist, allerdings erkennt er bei genauerem Hinsehen das große Potenzial, das in dem Motor liegt. Die Maßnahmen, die auf diese Erkenntnis folgen, kann man getrost als irre bezeichnen.

Das Gehäuse des Harley-Davidson Ironhead wird umgeschweißt

Christian zerschneidet das Gehäuse und schweißt es um, er bohrt die Getriebewelle hohl, schweißt das Getriebe um, versetzt die Schaltwelle nach rechts, verpasst dem Ganzen eine hydraulische Kupplung und fertigt ein Startergehäuse an, das er mit dem Block verschweißt. Ein paar mehr »Kleinigkeiten« kommen on top, der Ironhead glänzt danach als völlig neuer Motor, kaum noch vergleichbar mit dem Original. Christian fühlt sich besser und wir staunen, denn mit dem Neubau des Motors ist es noch lange nicht getan.

Der Tank duckt unterm Oberrohr, nahezu alles ist selbstgebaut. Silber muss als Rahmenfarbe reichen, um die Wirkung des Metalls voll zu entfalten

Seinem Verständnis von Linie will der Originalrahmen nicht folgen, so bleibt am Ende von ihm nur ein kläglicher Rest des Unterzuges. Alles andere wird neu angefertigt. Die Gabelbrücken, ebenfalls eigens gebaut, setzen die Linie fort, Standrohre einer Yamaha und Räder aus V-Rod und Kawasaki LTD 440 schließen die Arbeiten am Fahrwerk ab. Reicht jetzt, oder? »Nö«, sagt Christian. Tank und Sitzbank werden aus Alu so lange gebogen und geschweißt, bis sie vor dem kritischen Auge des Erbauers bestehen.

Der Öltank ist eine Abrechnung mit BMWs Zweiventilern

Rasten, Hebeleien, Kupplungszylinder und mehr fertigt er aus Edelstahl und poliert sie auf Hochglanz. Und dann der Öltank, eine Abrechnung mit den von Christian gehassten alten Zweiventil-BMWs. »In den späten 80er-Jahren fuhren wir Königswellen-Ducati, Guzzi LM und Laverda SFC und legten damals ein Gelübde ab, bis zu unserem Lebensende niemals eine dieser Alt-Herren-Spießer-Scheißkarren zu fahren!«, Christian ist den Bayern gegenüber kompromisslos.

Der langgestreckte, flache Starrrahmen ist ein beinahe kompletter Eigenbau, lediglich ein Stück des Unterzuges stammt aus dem alten Harley-Fahrwerk. Ins Oberrohr integriert Christian das Motogadget-Instrument und verleiht dem Begriff »clean« so eine völlig neue Dimension

Als Ausdruck seines Argwohns gegen diese Kräder verwendet er deren Ventildeckel für den Bau seines Öltanks, »denn für das Sammeln von verbrauchtem, dreckigem Motorenöl sind die gerade noch zu gebrauchen.« Er fühlt sich besser, das musste mal raus. Nachdem nun der Entwurf endlich auf den Rädern steht, offenbart sich ein anderes Bike als ursprünglich geplant: Lang, flach, spartanisch und trotzdem zahllose Details – der Erbauer ist zufrieden und fast von seiner Schaffenskrise genesen.

Volle Aufmerksamkeit auf das Thema Metall

Er wählt ein eher langweiliges Silber als Rahmenfarbe, um dem Thema Metall und seiner Bearbeitung die volle Aufmerksamkeit zu lassen. Der Zusammenbau stellt sich aufgrund nicht vorhandener Plätze für die Elektrik als enorm aufwendig dar, schließlich müssen baujahresbedingt Blinker und sonstiges »überflüssige« Zeug, wie Christian es nennt, montiert werden. Trotzdem, er absolviert seine restlichen Therapiestunden – 600 sind es am Ende gesamt – bravourös.

Nicht mehr und nicht weniger als eine handwerkliche und technische Meisterleistung ist dieses Motorrad. Widerreden werden nicht geduldet!

Der psychische Zustand ist wieder stabil und Christian sich sicher, »man sollte sich überlegen, ob es nicht besser ist, seine kreative Seite, die sicher in jedem von uns steckt, zu wecken und das Ersparte in Bikes und Schraubenschlüssel zu stecken anstatt in den Couchplatz eines Doktors.«

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.