Kyle Edgars filigraner Chopper leuchtet in der Wüste wie ein in Staniolpapier verpacktes Bonbon in Omas Süßwarenschublade. Kaum verwunderlich, dass bei dieser Triumph Thunderbird auch eine Frau ihre Finger im Spiel hatte.

Queens, New York, die siebziger Jahre: Wenn Kyle Edgar an seine Kindheit denkt, denkt er an den Sound eines Motorrades. Es war das einzige Fortbewegungsmittel, das Kyles Familie besaß. »Meine frühesten Erinnerungen sind die an Motorräder«, sagt Kyle heute. »Und ich sehe meinen Vater und meinen Großvater durch die Straßen ziehen, immer auf der Suche nach altem Metall oder etwas, was sie noch verwerten konnten.«

Kaputte Dinge wurden grundsätzlich repariert

Neue Dinge zu kaufen, konnte sich die Familie nicht leisten, also wurde aus dem Schrott der anderen etwas gemacht und kaputte Dinge grundsätzlich repariert. Später zog Kyle mit seinem Vater los, weggeworfene Schätze zu finden. Oft war es mühsam und Einfallsreichtum gefragt, sie waren nicht die Einzigen, die scharf auf den Müll waren. »Und manchmal mussten wir rennen, nur mit ein bisschen Aluschrott und einem alten Zigarettenanzünder in der Hand«, erinnert sich der heutige Customizer.

Die Herkunft des verwendeten Rahmens kann Kyle nicht genau bestimmen, zumindest scheint er aus dem Haus Triumph zu kommen und einige Jahre auf dem Buckel zu haben. Ansehen tut man ihm das nicht, auch weil sich der Customizer für eine komplette Chromschicht entschied

Kyles Vater war ein König des Recyclings und gab seinem Sohn vor allem eines mit auf den Weg: »Wenn Dinge nicht kaputtgehen würden, könnte man nie lernen, wie man sie repariert.« Der Junge verinnerlichte es, »das Reparieren wurde für mich zur Erfahrung und Herausforderung, bis heute.« Kyles erstes eigenes Motorrad wird eine 65er Triumph, die »viele Möglichkeiten der Fortbildung bot«, wie er schmunzelnd sagt. Gemeinsam bauten Vater und Sohn das Motorrad auf, die letzten gemeinsamen Momente der beiden und die Initialzündung für das Leben als Schrauber.

Kyle lernte den Job in einer Custom-Werkstatt in Florida

Kyle zieht nach Florida, bekommt einen Job in einer Custom-Werkstatt, lernt das Handwerk von der Pieke auf. 2004 zieht es ihn zurück in den Upstate New York, er eröffnet seinen Lead Fist Shop (heute Leadfist Cycles), nimmt erste Aufträge an, arbeitet viel an Autos und spezialisiert sich später auf Motorräder.

Der Öltank ist ein Eigenbau, ebenfalls komplett verchromt. Die fein geschwungenen Linien, die ihn schmücken, finden sich auch am Rest des Motorrades wie den Lampenabdeckungen wieder

»Wenn ich heute beginne, ein Bike auf- und umzubauen, bleibe ich den Wurzeln meiner Kindheit treu.« Das bedeutet volle Konzentration auf schon vorhandene Teile, Einfachheit, Sauberkeit und das Weglassen von allem, was nicht unbedingt nötig ist. Normalerweise sind Kyles Motorräder sehr traditionell, beim Aufbau der 52er Triumph Thunderbird aber wollte er ausnahmsweise mal in die Vollen gehen, nicht nur handwerklich, sondern auch optisch. Ihm schwebte ein Chopper-Design aus den sechziger Jahren vor, mit radikalen Linien, interessanten Räumen, dem Spiel von Licht und Schatten und fast vollständig verchromt.

Triumph Thunderbird mit unbekannter Herkunft

Und weil Kyle nichts ohne sein Mädchen wäre, durfte das beim Designprozess entscheidend mitwirken. Freilich, den Motor baute Kyle komplett neu und sauber auf, denn schließlich »muss ein Motorrad nicht nur gut aussehen, sondern auch gut fahren.« Der Rahmen fürs Objekt stammt wohl aus einer Triumph, seine genaue Herkunft oder Geschichte kennt Kyle allerdings nicht.

Geboren in den 50er Jahren als Sportler und Rebell wird der Paralleltwin der 750er Triumph hier das Herzstück eines Motorrades, so luftig, leicht und verspielt wie ein Hauch von Sommerwind an einem trüben Tag

Er wird gekürzt und von überflüssigen Halterungen befreit, anschließend komplett verchromt. Die 32-Zoll-Springergabel ist geschmälert und ebenfalls gekürzt, sie dreht ein 21-Zoll-Rad, Bremse überflüssig. Den halbhohen Lenker biegt Kyle selbst, Instrumente braucht er kaum, ist ja nicht viel dran. Und für die Optik würde seine Freundin schon mit sorgen. Brandi ist Künstlerin, Freigeist, Designerin und die starke Frau hinter Kyle. Gemeinsam entwarfen die beiden ein Umbaukonzept, das mit räumlichen Aspekten spielt.

Triumph Thunderbird – Der Auspuff zeigt fast senkrecht nach oben

Vor allem am selbstgefertigten Tank wird das deutlich, ungewöhnlich und intim, wenn sich Linien, Öffnungen und Aussparungen zeigen, die das Spritgefäß mit Minimalvolumen umspielen. Auch der verchromte Öltank weist Spielereien auf, sanfte geschwungene Linien sind ins Metall »gezeichnet«. Der Auspuff läuft chopperlike straight nach hinten zum Heck und zeigt fast senkrecht nach oben. Auch hier erledigt Chrom das Finish. Und dann der Recycling-Gedanke bei den ungewöhnlichen Scheinwerfern. Drei Augen aus Glas blinzeln unter knappen Verkleidungen, fluoreszierend in Pastellfarben, selbst gegossen und mehr Hingucker denn Lichtquelle, »hier steht die Funktion weit hinterm Design«, gibt auch Kyle zu.

Macht kaum Licht, sieht aber lustig aus. Die drei kleinen Funzeln entstanden aus buntem Glas, selbst gegossen und mit knappen Abdeckungen versehen. Ihre Farben spiegeln sich im Lack wider, der den ungewöhnlichen Tank krönt

Die Farben des Glases geben den Ausschlag für die Farbe des Motorrades. Das zarte Altrosa nimmt die fließenden Farbverläufe in den Scheinwerfern auf. »Es ist meine ultimative Hoffnung, dass das Endergebnis dem Betrachter die Freude an meiner Arbeit vermitteln kann«, wünscht sich Kyle. Uns zumindest hat sein subtiler Chopper erreicht.

Info | Instagram: @leadfistcycles

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.