Öffentliches Schrauben? Hier wird es praktiziert, in einer Garage mitten im Mannheimer Szeneviertel Jungbusch

Transparenz ist das Zauberwort. In der Politik ist es ja weniger ein Wort der Zauberer als eines der Scharlatane, die umso mehr von Transparenz reden, je undurchsichtiger die Dinge werden. Aber wer seine Schraubereien in aller Öffentlichkeit auf zwei Stellplätzen einer Gemeinschaftsgarage vollzieht, der macht sich automatisch zum transparenten Menschen.

In der Höhle des Löwen

Es war im Jahr 1998, als Martin vom verschlafenen Bad Kreuznach ins tobende Mannheim zog. Er ließ sich gleich in der Höhle des Löwens nieder, in den sogenannten »Quadraten«, und zwar am Rande des seinerzeit noch ziemlich verrufenen Jungbusch-Viertels. Damals war das noch echtes Ghetto, die Gentrifizierung folgte erst mit der Errichtung einer »Pop-Akademie«. Das Wort Transparenz befand sich auch noch nicht im Sprachgebrauch der Politik und hinter der Onkel-Otto-Bar war es im Jungbusch einfach nur düster.

Der feine Herr Martin in seiner Werkstatt. Schraubt er mal nicht, so bleibt er trotzdem am Platz: Die Garage wird dann zum Wohnzimmer

Noch vor einer eigenen Wohnung fiel Martin glatt ein einzelner Stellplatz in dieser Gemeinschaftsgarage in den Schoß. Der Geschäftsführer seines Arbeitgebers hatte im gleichen Block Besseres gefunden, eine Einzelgarage, für keine Nachbarn zugänglich. Der nun freie Hinterhofstellplatz in einem ehemaligen Stall für die Bierkutscher der Stadt wechselte den Besitzer. Martin machte es sich bequem. Die Garage hatte Strom, weil die ganze Halle irgendwann zum Großmarkt umgebaut werden sollte. Für fünf Mark zusätzlich zur Miete gab es sogar Wasser. Und weil der Stellplatz Nummer drei daneben nicht belegt war, machte Martin sich auch darin breit. Es sollte fünfzehn Jahre dauern, bis er neben der Nummer zwei auch noch die Nummer drei ganz legal unter Vertrag nehmen durfte.

In der Garage ist immer Platz für Freunde

Es ist wie mit Regalen, die sich von alleine vollstellen. Inzwischen befinden sich auf den Stellplätzen eine BMW K 100 RS von 1986, eine BMW K 75 RT Polizei von 1996, eine BMW K 75 C von 1985, eine BMW R 65 mit RT-Verkleidung von 1981, eine BMW F 800 GT von 2014, eine Harley-Davidson Electra Glide Standard von 2000, ein Schuring DogTrailer DT1 von 2006, eine Hercules K125 Military von 1970, eine Simson Schwalbe von 1965 und an der Decke eine Simson Star von 1974.

Wie viele Motorräder passen auf zwei Stellplätze? Nachzählen zwecklos, in zweiter Reihe stehen noch mehr!

Alle ordentlich in Reihe zur Schau gestellt, mit dem Gesicht zum Betrachter. Transparent! Dazu die Werkzeugschränke, eine Sofa-Ecke und eine Menge Erinnerungsstücke des Vaters, der dem Sohn die Liebe zum Handwerk vermittelte. Ach, den Geländewagen haben wir vergessen, aber der hat ja vier Räder. Dazwischen ist immer Platz für Freunde, denn die Garage ist auch Martins Wohnzimmer. Manchmal sogar sein Schulungsraum, wenn die Kumpel seines Stammtischs einrollen und am improvisierten Kursus »Ventil-Einstellen an der K« teilnehmen.

Auch Laufpublikum kommt in die Garage

Nachbarn schneien dann auch noch vorbei, die Autobesitzer von den anderen Stellplätzen sowieso. Wie die Ventile an der K nun wirklich eingestellt werden, haben die Teilnehmer nach so einem Wochenendnachmittag vielleicht nicht gelernt, aber sie haben eine Menge zwischenmenschlicher Wärme getankt und eine Einladung fürs nächste Stadtfest mitgenommen. Da, so hat Martin dann versprochen, reißt er die Tore richtig auf, wenn Laufpublikum sich durch die Straße schiebt, das man ja auch noch in die Garage locken kann. Transparent.

Die Sichtblenden zu den benachbarten Stellplätzen verblenden die Sicht nicht wirklich. Jedes Motorrad wird ölsicher abgestellt

Künstler würden das offene Schrauben und Wohnen als Happening inszenieren. »Leute heute« würde vermelden, dass sich da jemand drei Tage hintereinander mit dem Schraubenschlüssel in der Hand oder rauchend auf dem Sofa zur Schau gestellt hätte. Nach einem weiteren Tag hätte ihn vielleicht noch das Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen.

Stellplatz Nummer 3

Da finge Martin gerade an, sich im Sofa auf Stellplatz Nummer drei eine Zigarette zu drehen und dem nächsten Besucher aus dem Jungbusch das Plätzchen neben sich anzubieten. Und käme keiner, weil es schon lange nach Mitternacht ist, so würde er den Schraubenschlüssel zur Hand nehmen und endlich jetzt die Ventile seiner Ks einstellen. Oder er würde sich zurücklehnen, den Rauch seiner Selbstgedrehten inhalieren und über neumodische Fremdwörter nachdenken, Wörter wie »Happening«, »Gentrifizierung« oder eben »Transparenz«.

 

Michael Ahlsdorf