Retro und Kawasaki? Langjähriger Beziehungsstatus: Es war kompliziert. Lange haben die wildesten aller Japaner vermeintlich tatenlos zugeschaut, wie andere die reiche Ernte einfahren. Fast hätte man sie schon aufgegeben. Doch dann wurde das berühmteste Z der Firmengeschichte reaktiviert und buhlt in Gestalt der Z900RS mit satt röchelnder Macht um die Herzen der Retro-Fans.

Mit Timing ist das ja so eine Sache. Ist man zu früh dran, kann man sich zwar im Nachhinein als seiner Zeit voraus verkaufen, das ist dann aber auch das Einzige, was man verkauft hat – marktwirtschaftlich gesprochen. Außerdem greift das Phänomen des zweiten Platzes: Daran erinnert sich leider keine Sau. Es kann aber noch schlimmer kommen: Wer zu spät kommt, den bestraft bekanntlich das Leben. Dazu kann man sich noch der Häme seiner Mitstreiter sicher sein, die einem das Versäumnis zuverlässig unter die Nase reiben.

Die W 650 war für sehr lange Zeit Kawasakis einziges Retro-Bike

Übertragen wir das auf Kawasaki und den Kosmos der heiß begehrten Retro­ware auf zwei Rädern, landet man ziemlich schnell ziemlich weit hinten im Alphabet, nämlich beim W. Gefolgt von einer 650 konnte man unter diesem Label bereits 1999 einen fabrikneuen Oldtimer erstehen, der zwar keine moderne Performance, dafür aber zeitgenössische japanische ­Zuverlässigkeit bieten konnte. Und ein Maß an vergangenheitsschwangerer Detailliebe, das seinerzeit so untypisch für japanische Motorräder war wie funktionierende Elektrik für italienische. Nur: Die Zuneigung bei den Käufern blieb aus.

Authentisch, aber nicht altbacken kommt die Z900RS daher. Grafik und Skalierung der beiden Rundinstrumente entsprechen der reichlich zitierten Z1 von anno dazumal, ein Display huldigt der Modernität

Trotz Updates und langem Festhalten an der W hat es nie für mehr als vereinzelte Clubliebe gereicht. Auch als die Hipster bereits im großen Stil die Motorradwelt übernommen hatten. Sie kam wohl … nun ja, zu früh. Das war es dann für sehr lange Zeit, was Retro aus Akashi angeht. Nun hieß es nur noch zusehen, wie die Konkurrenz sich reichlich Vintage-Butter aufs lukrative Brot schmierte.

Erst 2018 rollte die Kawasaki Z900RS endlich aus den Werkshallen

Aber kein Problem, Ende 2016 würden die Grünen mit Macht zurückkommen, schließlich war gesetzt, dass eine neue Z präsentiert würde, und dass musste doch endlich die langersehnte Retro-Wumme werden? Ähhh … nein. Wieder gab es nur Manga mit Aszendent Plastik. Die ungeliebte Rolle des Zuspätkommers, Kawasaki schien darauf ein Abo zu haben.

Es schimmert und glänzt an vielen Ecken und Enden der Retro-Z …

Aber Comebacks sind ja umso glor­reicher, je weniger mit einem gerechnet wird. Und was dann 2018 endlich in Form der Z900RS aus den Werkshallen rollte, hatte das Zeug zum Comeback des Jahres. ­Natürlich muss für ein Retrobike bei großen Hausnummern der eigenen Historie gewildert werden und mit der Z1 aus den 70er Jahren suchte man sich einen der heftigsten Einschläge der ruhmreichen grünen Geschichte raus. Eine Stilikone japanischer Kradkultur, heute bewundert, damals ­gefürchtet. Später geborene Menschen wie ich werden wohl mehr Zephyr als Z1 erkennen, beides sind lohnenswerte Perspektiven.

Es steckt viel Liebe in der Kawasaki Z900RS

Wo man auch hinschaut, die Retro-Z lädt zum Verweilen ein. Sei es der maximal authentisch geformte Tank samt peniblem Paintjob, der typische Heckbürzel mit der LED-Rückleuchte, die erfolgreich eine Glühbirne imitiert, die ausgefrästen „Kühlrippen“ oder die glanzvolle Auspuffanlage, für die laut Kawasaki ein Batal­lion emsiger Weißkittel zur ­Politur im Werk bereitsteht: Es steckt viel Liebe in der RS und das wärmt das Herz ungemein. Die Huldigung des großen Vorbilds hat dabei schon fast ­pedantische Ausmaße.

… und was schimmert und glänzt besteht auch tatsächlich aus Metall. Bei der Entwicklung herrschte rigorose Plastikaversion

Sogar die dreidimensionale, gepunktete Struktur im Schriftzug wurde detailgetreu aus den 70s rüberge­rettet. Herrlich. Nun war auch die selige W schon nett anzuschauen, aber die Retro-Z sollte auch zuschlagen, und zwar nicht zu knapp. Immerhin macht die famose technische Basis der RS, die Z900, ein Dynamikversprechen, das sich gewaschen hat. Und das sich trotz aller ­Liebe zur Vergangenheit mit authentischen, aber technisch gestrigen Lösungen wie Stereo-Federbeinen, Speichenfelgen und 4-in-4-Anlage nicht ein­lösen ließ.

Cremigste Laufkultur, nur schwache Vibrationen und stabiles Röhren

Fürs schnellste Serienmotorrad wie damals bei der Z1 reicht es nicht mehr ganz, gute 110 PS und 100 Newtonmeter bei moderaten Drehzahlen treiben aber auch heute noch ganz gut nach vorn. Besonders, wenn ebenso moderate 215 Kilogramm – übrigens nur fünf Kilogramm mehr als beim zackigen Genspender – bewegt werden müssen.

Man mag es kaum glauben, aber die in der Vergangenheit schwelgende Retro-Z900 war gleichzeitig die modernste und am besten ausgestattete Z900. Traktionskontrolle, LED-Scheinwerfer, radial montierte Bremsen und eine voll einstellbare Gabel gab es anfangs nur bei ihr

Ab knapp über 1 000/min schießt der Vierer mit linear steigendem Elan los, bis knapp über 10 000 Touren geht die Hatz. Immer dabei: cremigste Laufkultur, nur schwache Vibrationen und stabiles Röhren. Viel besser kann man sich einen Reihenvierer kaum vorstellen. Bis auf die Gasannahme, denn die wurde durch das umfangreiche Detuning des Antriebs ihrer Smoothness beraubt. Was beim Gasanlegen im Scheitelpunkt durchaus mal die Linie verhageln kann.

Kawasaki Z900RS – Eher stabil als handlich

Da kann sich schon mal der ein oder andere Schweißtropfen seinen Weg über die Stirn bahnen, denn Korrekturen in satter Schräglage hat sie auch nicht so gerne, die RS. Bei richtig schnellem Tempo läuft sie gern auch mal etwas weit. Generell steht sie eher auf der stabilen als auf der handlichen Seite des Lebens, was vor allem auch durch die herrlich komfortable, aber Ewigkeiten vom Vorderrad entfernte Herrenreiterposition gefördert wird. Und die starke, aber handkraftintensive Bremse aus der Z1000. Und das fein ­ansprechende, sämig gedämpfte und an der Front nun voll einstellbare Fahrwerk.

Die schärfste Farbe für die schärfste Variante: Kawas Hausfarbe »Lime Green« gab’s nur für die inzwischen eingestellte »Cafe«-Variante, die mit einer Sitzbank mit angedeutetem Höcker, Cockpitschale und flachem Lenker gefiel

Kurzum: Runder, unaufgeregter, flotter Kurvenswing passt dazu viel besser als hartes Abwinkeln und Ausloten der letzten Grade an Schräglage, wie es eine wilde Horde niemals tanken müssender Motorradredakteure halt gerne tut. Die fand ihr Glück dann womöglich in der ergonomisch leicht angeschärften »Cafe«-Variante, die sich bei uns aber nur zäh verkaufte und bereits wieder eingestellt wurde. Also einen Gang im präzisen, aber etwas knochigen Getriebe rauf, einen Gang im Oberstübchen runter, und schon kann man sich über souverän-dynamisches Big-Bike-Feeling freuen.

Wer bezahlbare Power will, muss bei den Grünen klopfen

Das dürfte dem Naturell der Liebhaber großvolumiger Retrobikes eh besser entsprechen. Die bei akuter Phobie gegenüber ­Motorrädern mit wenigen Zylindern und/oder gegen Preise über 13.000 Euro eh ­kaum Alternativen zur Z900RS haben. Wer bezahlbare Power will, muss also bei den Grünen klopfen. Ganz wie damals bei der Z1. Ganz anders als damals umarmt Kawasaki aber heute die ­Customwelt und stellt dem Retro-Z wilde Japan-Customs zur Inspiration umbau­wütiger Kunden zur Seite. Die Zeiten ändern sich …

Info | kawasaki.de

 

René Correra