Oliver Jones ist eigentlich gar kein waschechter Bikebuilder, »aber ich habe mich in das Thema eingefunden.« Sagt es und stellt uns eine in allen Belangen bemerkenswerte Harley-Davidson Shovelhead vor die Füße.

Seit knapp zehn Jahren betreibt Oliver Jones seine Bude »The Cut Rate«, die nur schwer zu finden ist, weil sie sich in einem abgeranzten Hinterhof im kalifornischen Long Beach versteckt. Bei unserer Stippvisite vor einigen Jahren hatte uns Oliver noch erklärt, dass er »The Cut Rate« in erster Linie als Klamottenlabel etablieren will, Motorräder baute er nebenbei, als Hobby und Ausgleich für sich selbst. Und weil er es mag, etwas zu designen und dann auch in die Realität umzusetzen, wie er uns erklärte.

»Ein Serienmotor ist für mich nicht interessant«

Umso erstaunter waren wir, als sein Name in der Liste der Invited Builder der Born Free Show auftauchte. Und da Oliver ein Typ ist, der irgendwie ganz schön viel Gespür für Design hat, klemmten wir uns schnell daran, zu erfahren, was er für ein Bike bauen würde. »Lasst euch überraschen«, sagte er damals, »nur soviel, ich mag den Mix aus alt und neu, ich lasse mich gerne von japanischen Bikebuildern inspirieren und ich stehe auf full speed, alles andere ist langweilig.«

Wenn schon vorne keine Bremse verbaut wurde, …

Als wir schließlich wieder in Kalifornien sind und Olivers Shovel endlich live sehen, sind wir doch erstmal sprachlos. Besser konnte er seinen eigenen Anspruch kaum umsetzen. Denn vor uns steht ein ultraschmales Bike, das an sich voll oldschool ist, allerdings mit Features aus einer anderen Zeit und einem V2-Motor, der uns beinahe erschlägt. »Tja, der Motor«, schmunzelt Oliver »für mich ist der Motor das entscheidende Teil eines Motorrades. Ein Serienmotor ist für mich nicht interessant und High Performance ein unbedingtes Muss, das man auch von außen sehen soll.«

Harley-Davidson Shovelhead aus einer ’78er FLH

Die Basis des V2 ist ein normaler FLH-Shovelhead, Baujahr 1978, allerdings aufgebohrt. Schwarze Zylinder, modifizierte Zylinderköpfe, Jims-Stößelstangen, Magneto-Zündung, modifizierter S&S-Luftfilter, ein Evo-Style Ventilsystem, Eigenbau-Auspuff, ein umgebautes FX-Vierganggetriebe, Fünffinger-Kupplung, eine Druckplatte, gefertigt von Chopperdave, offener Belt und vieles mehr setzen das schwarze Ungetüm von Motor derart in Szene, dass der Rest fast verblasst.

… dann soll es zumindest die hintere Doppel-Vierkolben-Anlage richten

Aber nur fast, denn um sein Performance-Aggregat baut Oliver ein ultraschmales Stück Motorrad und kloppt damit jede Umbauregel in die Tonne. So könnte der winzige Lenker auf jeder Oldschool-Harley arbeiten, die schwarze Lampenmaske, in der 10 LED-Lichter verbaut sind, ist einer Schweißermaske nicht unähnlich, das Rücklicht dagen ist wieder ein altes Teil. Der selbstgefertigte Öltank schmiegt sich eng ins Rahmendreieck und der Eigenbau-Tank könnte auch auf einem alten Digger funktionieren, wäre er denn bunt und flakelackiert.

Schmalen Magnesiumräder von Kimtab

Stilbrüche auch bei den Rädern, die mit ihrer Größe 21 Zoll vorne und 18 hinten zwar in den Dimensionen choppertauglich wären, aber mit ungewöhnlichem Speichendesign punkten und aus leichtem Magnesium bestehen. Ach so, eine Bremse vorne suchen wir vergebens, »dafür ist die hinten richtig gut«, grinst Oliver, der im Heck eine schwimmend gelagerte Achtkolbenbremse verbaut hat. Das komplette Bike konnte seiner Meinung nach übrigens nur eine Farbe vertragen: Schwarz.

Oliver hat beim Motor viele Teile verbaut, mit denen er nie vorher gearbeitet hatte. Dementsprechend hatte das Bike beim ersten Starten massive Probleme. Mittlerweile hat er die Kinderkrankheiten behoben, die Shovel läuft einwandfrei. Für lange Ausritte nutzt er sie freilich nicht, High Perfomane verträgt sich eben nicht unbedingt mit Oldschool-Attitude.

Oliver hat nach Vollendung seines Krachers direkt einen Klon-Auftrag bekommen. »Für einen Kunden werde ich das Bike noch einmal bauen, in Weiß. Ich stelle es mir grandios vor, wenn die beiden Karren irgendwann nebeneinander stehen. Und dann verfolgt mich da so eine Idee. Ich werde für die nächste Born Free-Show nämlich wieder ein Bike bauen. Und das wird dieses hier nochmal in den Schatten stellen, versprochen.« Er sollte Recht behalten, denn mit jenem Shovel-Chopper gewann er die Born Free-Show!

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Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.