Die Siegerbikes der Born Free Motorcycle Show in Kalifornien sind immer outstanding. So wie diese Harley-Davidson Shovelhead, aufgebaut bei »The Cut Rate« in Long Beach – Schubladendenken strikt verboten.

Es ist nicht ganz einfach, Oliver Jones’ Bike zu bewerten, noch zu frisch sind die Bilder der Show und das Wissen darum, das dort viele, sehr viele gute Bikes standen. Und Olivers Shovel? Nun, sie will nicht ganz ins Bild der perfekten Chopper passen, die es bei der Born Free zuhauf zu sehen gab. Es ist ein gewöhnungsbedürftiges Motorrad, keine Frage. Aber Oliver Jones gewann mit eben jenem Bike zwei Tage vor unserem Shooting den »Best of Show«-Pokal in Silverado, gewählt von den Mitkonkurrenten, den »Invited Builders«. Und diese Entscheidung gilt es zu respektieren. 

Harley-Davidson Shovelhead – Jede Menge Anarchie

Ihr merkt schon, wir sind uns in unserer Redaktionsstube nicht ganz einig, wie wir dieses Siegerbike finden sollen. Unsere Redakteure wurden nicht ganz warm damit, der Layouter dagegen fand es richtig cool. Ein klarer Fall von Geschmackssache und mal wieder der Beweis für eine Szene, die bunt und wild ist, denn selten wurden Stile und Komponenten wilder zusammengewürfelt als bei dem Aufbau, den Oliver in seiner Werkstatt »The Cut Rate« in Long Beach in den letzten Monaten zur Vollendung getrieben hatte. »Da ist schon jede Menge Anarchie im Spiel«, gibt er auch direkt zu. 

Auf der Born Free Show war es als klarer Trend zu erkennen. Immer mehr Bikebuilder setzen nicht nur auf Optik, sondern auch auf besondere Motoren. Oliver Jones entschied sich, Technik durch Plexiglas sichtbarer zu machen

Es scheint, als wäre Oliver derzeit der Punkrocker unter den amerikanischen Bikebuilder, einer, der auf traditionelle Umbauregeln pfeift. Wie schon bei seinem vormaligen Invited Bike, setzte er auch hier auf einen extrem bearbeiteten Shovel-Motor als Antrieb, Serienmotoren interessieren Oliver nicht. Das Generator-Aggregat ist ursprünglich Baujahr 1969, wurde aber bei »Milwaukee Ghost« komplett neu aufgebaut und würde jedem Dragster gerecht werden. Kolben und Zylinder kommen von Sorensen aus Kanada, die Zündung von Zippers, die Kurbelwelle von Ultima – und das ist nur ein Teil der verbauten Teile am V2. 

Harley-Davidson Shovelhead »Milwaukee Ghost«

Um seinem Herzstück zusätzlich noch mehr optisches Gewicht zu verleihen, hat Oliver die Abdeckung der Rockerboxen aus Plexiglas gebaut. Offene Technik, ein weiterer Trend, den wir derzeit häufig beobachten und der sich auch an anderen Stellen der Generator-Shovel wiederfindet. So ist auch der Primärkasten durchsichtig. Neben dem Plexiglas konzentrierte sich Oliver auf ein weiteres modernes Material: Carbon. Was eigentlich meist extrem sportlichen Rennbikes oder Dragstern vorbehalten ist, wollte er auf seinen Chopper adaptieren.

Der Motor als Herzstück …

Ursprünglich hatte er gar vor, den kompletten Tank aus Carbon zu fertigen – und scheiterte daran grandios. So entschied sich Oliver zumindest einige Teile in Carbon zu verpacken. An Tank, Öltank und dem hinteren Fender kam das leichte Material zum Einsatz. Und wie zum Trotz verpasste Oliver dem Eigenbau-Tank später ein Airbrush, das durchaus aus den Seventies kommen könnte, ein krasser Gegensatz zur Carbonoptik. Ein weiterer Hingucker sind die Räder, als Einzelstücke konzipiert und bei »Rotiform« aus Compton in Kalifornien – eigentlich spezialisiert auf Autofelgen – gebaut.

»Es sind die japanischen Customizer, die mich faszinieren«

Diese absolut modernen Räder finden sich jetzt in einem ultraschmalen Rahmen wieder, den Oliver Jones selbst gebaut hat und später, weil er ihm nicht schmal genug war, noch weiter verengte. Und wenn wir dann über die lange Gabel nach unten schauen, wissen wir auch, wo der Punkbuilder sich seine Inspiration holt. »Es sind die japanischen Customizer und Schrauber, die mich faszinieren. Ihre extremen Motorräder, die Highnecker, die eigentlich unfahrbar erscheinenden Maschinen«, erzählt Oliver. Unter diesem Einfluss wird seine extreme Gabel klar, satte 22 Grad Rake verpasste er ihr.

… wichtige Teile wie Tank, Öltank oder Fender in Carbon gehüllt

Steil steht sie am Motorrad und gibt ihm die Linie, die manche als störend, andere als gelungen bezeichnen würden. Eine Vorderbremse braucht sie chopperlike nicht, der megaschmale Lenker thront hoch auf der Eigenbau-Brücke. Die rote Lampe setzt ihr Finish, sie tat früher ihren Dienst als Stopplicht einer Polizeikelle, ein grandioses Detail. Letztlich schließen auch wir unseren Frieden mit Olivers Showsieger. Denn sind es nicht gerade die Schubladen, denen wir immer zu entfliehen versuchen. In dem Sinne hat Oliver Jones verdammt viel richtig gemacht, denn selten hat ein Showwinner mehr polarisiert als dieser.

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Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.