Nachts fällt die Blickführung besonders schwer. Geben wir uns tagsüber redlich Mühe, nicht direkt vors Vorderrad zu starren, wirft herkömmliches Abblendlicht im Dunkeln genau dort seinen Lichtkegel auf die Straße. Diese beiden Zubehör-Scheinwerfer wagen sich an die Lösung des Problems. Motorrad Kurvenlicht zum Nachrüsten …

Der Automobilhersteller Cadillac war es, der 1918 an seinem Typ 57 die ersten mitschwenkenden Scheinwerfer für die nächtliche Kurvenfahrt anbot. Offenbar mit Erfolg. 1926 wurde das System zum Patent angemeldet und – montiert auf einer zusätzlichen Stange vor dem Kühler – als lenkbarer Einzel- oder Doppelscheinwerfer sowohl in den Aufpreislisten vieler anderer Automobilhersteller als auch zur Nachrüstung angeboten. Denkbar einfach war die Funktionsweise: Ein Drehgelenk am Scheinwerferfuß und zwei Seilzüge, die mit der Mechanik der Lenkung verbunden ­waren, reichten aus. Platzbedarf und Gewicht spielten damals ohnehin noch keine Rolle.

Motorrad Kurvenlicht ist technisch anspruchsvoll

Dass die clevere Idee nicht zur selben Zeit auch aufs Motorrad übertragen wurde, liegt an dessen vergleichsweise komplizierter Fahrphysik. Ein direkter Zusammenhang von Lenkeinschlag zu Kurvenradius ist hier nicht gegeben. Ein echtes Problem, da der abgeschnittene Lichtkegel des Abblendlichts dem Fahrer mit zunehmender Schräglage den Blick auf den Fahrbahnverlauf nimmt. Um diesen Effekt per Steuerung ausgleichen zu können, muss fort­laufend die Schräglage gemessen werden, was sich nur über ein aufwendiges Kreiselsystem realisieren lässt.

Serie: Der ausgeleuchtete Bereich des Abblendlichts ist hell, aber im Vergleich zu dem, was die Kurvenlichter ausleuchten, relativ klein

BMW stellte ein derartiges System erstmals auf der Intermot 2010 im Luxustourer K 1600 GT vor. Per Spiegel wird hier der Lichtkegel des Xenonscheinwerfers um bis zu 25 Grad geschwenkt. Seit 2016 ist auch in den Topmodellen von Yamahas FJR 1300 ein adaptives Kurvenlicht erhältlich, hier jedoch mit LED-Technik. Doch mittlerweile – mit rund hundert Jahren Verspätung zum Automobil also – bleibt die aufwendige Technik nicht länger feisten Tourern vorbehalten. Selbst für Mittelklasse-Modelle wird seit ein, zwei Jahren ­optionales Kurvenlicht angeboten und in den Reihen von Harley-Davidson sind seit 2020 Modelle mit entsprechendem Häkchen in der Ausstattungsliste zu finden.

Universelle Nachrüstlösungen für Motorrad Kurvenlicht

Doch auch Liebhaber alter Eisen müssen auf dieses Sicherheitsplus nicht zwingend verzichten. Mit Modellen wie von High­sider und J.W. Speaker sind mittlerweile universelle Nachrüstlösungen auf dem Markt. Beide Systeme unterzogen wir einer nächtlichen Praxisprüfung. Dazu machten wir vom Stativ aus Fotos, um aus immer gleicher Perspektive vergleichbare Aufnahmen zu erhalten. ­Zunächst bannten wir bei beiden Scheinwerfern den Lichtkegel des Abblendlichts auf die Speicherkarte. Dann neigten wir die Scheinwerfer so weit, bis sich das volle Kurvenlicht zuschaltete.

Mit Kurvenlicht ist der Verlauf des Feldwegs ­deutlich besser erkennbar

Den Anfang macht der knapp 530 Euro teure Komplettscheinwerfer von Highsider, der 40 Euro günstiger auch als Scheinwerfereinsatz erhältlich ist. Im milchi­gen Ring an seinem Außenrand versteckt sich ein Tagfahrlicht, das sich durch Halten der Lichthupentaste ­ ein- und ausschalten lässt. Mittig sitzt je eine Ellipsoid-LED-Linse für Abblend- und Fernlicht. Das Kurvenlicht zwischen Linsen und Tagfahrlicht füllt den verbleibenden Raum. Ab einer gewissen Neigung wird es durch ­einen Schräglagensensor zu- oder abgeschaltet.

Ein echter Zugewinn an Sicherheit

Unsere Bilder zeigen eine deutliche Zunahme der Sichtweite unter Kurvenlicht. Zwar ist die Fahrbahn nicht komplett ausgeleuchtet, das blendfreie Kurvenlicht lässt aber deren Verlauf erkennen, ohne dafür aufblenden zu müssen. Bereiche, die unter herkömmli­chem Abblendlicht finster bleiben würden, werden somit sichtbar. Ein echter Zugewinn an Sicherheit.

529,95 Euro kostet der Highsider-Scheinwerfer. Fünf verschiedene Varianten gibt es, jede von ihnen in Schwarz oder verchromt lieferbar. ­Allen gemeinsam ist die Größe von 7 Zoll

Noch besser kann das der Scheinwerfer von J.W. Speaker. Der amerikanische Hersteller ist Pionier im Bereich des Kurvenlichts an Motorrädern und lieferte bis zur Markteinführung der Alternative wie Highsider die einzig nachrüstbare Lösung. Eine ganze Palette runder Scheinwerfereinsätze in 5-3/4 und 7 Zoll hat J.W. Speaker im Programm. Bei Bedarf von Adapterringen und CAN-Bus-Eliminatoren ergänzt, können damit viele Motorradmodelle bestückt werden. Die Kosten für dieses Zubehör kommen dann allerdings noch auf den happigen Kaufpreis von rund 750 Euro obendrauf.

Dank Adapterringen und CAN-Bus-Eliminatoren für viele Bikes passend

Sollte die eigene Maschine nicht gelistet sein, gibt es ihn übrigens auch als Komplettscheinwerfer zum universellen Anbau. Wer jetzt nicht mehr durchblickt, kann die Montage auch einem zertifizierten Händler überlassen, den man über die Suche der Parts-Europe-Homepage findet. Beim Kauf können wir ohnehin nur jedem raten, diesen Weg zu gehen, will man nicht einem der Plagiate aufsitzen, die zu verdächtig günstigen Preisen bei manchen Online-­Händlern angeboten werden.

Der getestete J.W. ­Speaker vom Typ „8690 Adaptive 2“ kostet aktuell etwa 750 Euro. Aber auch viele weitere Modelle in 5-3/4 und 7 Zoll, ob als Komplettscheinwerfer oder losen Einsatz, bietet J.W. Speaker zu Preisen von teils mehr als 1.000 Euro an

Hat man sein Original dann verbaut, beeindruckt der J.W. Speaker auf ganzer Linie. Da das Abblendlicht ­immer brennt – auch beim Aufblenden – reicht der Spot des Fernlichts bis zu 450 Meter weit voraus, während Abblend- und Kurvenlicht die Straßengräben fluten. Das für unsere Fotos wegen der Vergleichbarkeit nicht zugeschaltete Fernlicht kommt also noch on top, doch auch Abblend- und Kurvenlicht alleine liefern zusammen absolut überzeugend ab.

Alle nötigen Sensoren sind im Scheinwerfer­einsatz integriert

Charakteristisch für den J.W. Speaker sind die gezackten Randbereiche des Lichtkegels, die durch die einzelnen LEDs des Kurvenlichts entstehen. Je nach Neigung und Geschwindigkeit des Fahrzeugs werden beim 5-3/4-Zoll-Scheinwerfer auf der Kurveninnenseite bis zu vier LEDs zugeschaltet, bei der 7-Zoll-Version sind es sogar fünf. Sie verschieben den Verlauf der Hell-Dunkel-Grenze mit zunehmender Schräglage immer weiter nach oben.

Am linken Rand des Lichtkegels zeichnet sich der Fächer der vier Kurvenlicht-LEDs ab. Ohne, im kleinen Bild darunter, wird die Linkskurve vom Kegel des Abblendlichts nicht erfasst

Alle nötigen Sensoren hierfür sind, wie beim Modell von Highsider, bereits im Scheinwerfer­einsatz integriert. Auch die Frage der Stromversorgung beantworten beide Hersteller gleich: Die Stecker passen auf den Anschluss der alten H4-Birne, sodass am Kabelbaum der Maschine nichts geändert werden muss. Lediglich fürs Standlicht baumelt am Gehäuse des J.W.Speaker ein einzelnes Kabel, um es separat schalten zu können.

Der J.W. Speaker bietet eine beeindruckende Ausleuchtung

Unser nächtlicher Vergleich liefert also unterm Strich zwei Sieger, denn beide Scheinwerfer ermöglichen auch dort noch den Blick auf die Straße, wo herkömmliches Abblendlicht aufgibt. Die günstigste Alternative bietet derzeit Highsider an. Schon dieses relativ simple, einstufige System ist ein echter Zugewinn an Sicherheit. Seit J.W. Speaker mit seiner Idee nicht mehr allein auf dem Markt ist, wurden auch deren Preise merklich nach unten korrigiert. Auch, wenn der Scheinwerfer noch immer kein Schnäppchen ist: Die elegante mehrstufige Steuerung und die beeindruckende Ausleuchtung des J.W. Speaker sind den Aufpreis durchaus wert.   

 

 

Thomas Kryschan
Redakteur bei CUSTOMBIKE

Thomas Kryschan, fährt ab seinem vierten Lebensjahr zunächst Zweitakter jeden Hubraums, bevor er für anderthalb Jahrzehnte in die vierzylindrige Streetfighterszene abtaucht. Beseelt vom Umbauvirus, identifiziert er Spender und Baujahr jedes Anbauteils. Erst beim Huber Verlag tauscht er seine Schraubenschlüssel zeitweilig gegen Schreibgerät.