Frischer Wind aus Nordosten weht auf die Netzhaut, wenn Meister-S den Schraubenschlüssel schwingt und die Jury zu Tränen rührt, ohne die Retro-Drüse zu drücken. Wie aus einem Studienabbrecher ein Siegertyp wird, erfahren wir anhand dieses BMW R 100 Cafe Racers.

Mecklenburgs Marketing zeigt schwarzen ­Humor: »Kein schöner Ort zum Sterben«, warnen Plakate neben der Landstraße. Ob das den Seniorengruppen gilt, die in Reise­bussen zur Müritz pilgern? Unfreiwillig ­komisch … Als Teil der Deutschen Alleenstraße brummt die B 198 unter den Avon Distanzia, die Sonne weckt die Lebensgeister, vor mir breites Panorama bis zum Horizont. Und hinterm Horizont gehts weiter. Für Roadster ein ideales Geläuf, das Mensch und Maschine frei atmen lässt. Doch wer zu spät bremst, den bestraft das botanische ­Leben. So eine hundertjährige Eiche kontert härter als der dickste Voll-SUV, und auf dem nächsten Level spielst du dann mit Harfe. Als Instruktor der Shell Racing ­Academy lehrt Meister S deshalb souveräne Schnelligkeit.

BMW R 100 GS als halbgares Fragment

2001 fuhr er in Oschersleben bei der Langstrecken-WM mit. Als Motorradhändler machte Axel Siemoneit, so sein bürgerlicher Name, seinen Meister 1995 und eröffnete drei Jahre später die Werkstatt, in der Umbauten aller Art entstehen, ob Fighter, Bobber oder Cafe Racer. So hatte diese BMW R 100 GS eigentlich als Kundenauftrag an seine Tür geklopft. »Das Ding war halbgar«, erinnert sich der Mecklenburger. »Der Besitzer hatte schon angefangen, kam dann nicht weiter und legte das Fragment in meine Hände.« Neben technischen Faktoren mussten zusätzlich finanzielle synchronisiert werden: »Nach einer Weile stornierte der Kunde den Auftrag. Da hab’ ich ihm angeboten, das Ding einfach zu übernehmen.« So wurde der eine flüssiger und der andere freier.

Deutschlands Topmodel BMW GS eine Nase zu drehen, scheint frech. Doch kommt das Bikini-Körbchen nicht besser als ein Entenschnabel? ­Beweg das Ding, mach es einfach, wie ein Mann, los geht’s: 1, 2, 3, …

Der Meister bevorzugt nämlich die frontorientierte ­Linie mit luftigem Heck, inklusive ­traditioneller Elemente, aber ­ohne Retro-Tränen. »Die ­Boxer sind eigentlich nicht meine Welt«, gesteht er. »Das ist mein erster BMW-Umbau, und er sollte vor ­allem nicht mehr so nach BMW aussehen.« Deshalb nutzt er den längeren Behälter einer Honda Bol d’Or und die Höckerbank aus dem eigenen Zubehörangebot. ­»Inspiriert hat mich die Studie von Roland Sands zur 9T«, erklärt er die geduckte Haltung mit der tief montierten Cockpitmaske. Dabei passt der Honda-Tank natürlich nicht von selbst auf den BMW-Rahmen, so wenig wie die Sitzbank zu beidem. »Der Tanktunnel ist heftig vergrößert, der Sitz nach vorn auf Tankmaß verbreitert und der originale Heckrahmen komplett durch eine Eigen­konstruktion ersetzt.«

»Klar ist das nix für die Renne, dort bist du mit 60 PS eh falsch beraten«

Auch in der Fußrastenanlage einer Suzi Gixxer steckt Hausarbeit, damit sie im BMW-Umfeld funktioniert. Von der Schwester SV 1000 stammt die Gabel samt Lenker und einer Bremsscheibe: »Die Stummel sind umgedreht, damit sie ­tiefer kommen, ­Hebel und Schalter noch original BMW. Und statt der Doppelscheibe genügt hier eine einzelne, der Gabelholm auf der rechten Seite ist jetzt natürlich geglättet.« Während sich hinten in der serienmäßigen Einarmschwinge weiter das BMW-Rad dreht, bestimmt nun vorn das modi­fizierte Implantat einer KTM Supermoto die Richtung, und der erwähnte Avon Distanzia gibt Gummi. Entfernungen prägen eben diese Region, genauso wie markant profilierte Reifen die Custombikes von Meister-S. »Klar ist das nix für die Renne, aber dort wärst du ja mit den 60 PS sowieso falsch beraten.«

Markenzeichen: Luftiges Heck und markante Pellen sind des Meisters Pflicht, die Kür bildet der RR-Auspuff. Den Blick nach vorn stören ­weder Rücklicht noch Blinker – dank moderner LED-Winzlinge

Vielmehr soll der Tiefflieger schon optisch Spaß machen, und für Freude am Fahren taugt der Zweizylinder lässig. Mit rund 40 000 km auf dem Buckel hängt der Boxer schließlich noch nicht in den Seilen und geht nunmehr in die nächste Runde. Lediglich die Luftfilterbox weicht dem neu platzierten Lithium-Ionen-Akku, bewährtes Ölgewebe sorgt für reine Ansaugluft und das Rohr der super­sportlichen BMW S 1000 RR für gedämpften Schall. Dieser Oval­kegel schmiegt sich perfekt neben das Hinterrad: schlank, kurz, knackig. Die getrimmte Linie bis ins ­Detail wahrt heutzutage winzige LED-Technik für Rücklicht oder Blinker, bei Bedarf dennoch heller als jede originale Funzel. Schöne neue Welt. Ihren symbolischen Ausdruck findet die verdrehte BMW-Enduro dann im gedrehten Logo am Tankabschluss.

BMW R 100 mit umgedrehtem Schaltschema

Mein Weg führt aus der angedrohten Todesgefahr ­mecklenburgischer Alleen zurück zu des Meisters Werkstatt, von der Bundesstraße in die Parchimer Bahnhofstraße. Eine sportliche Landpartie, mit weit zurückverlegten Rasten, schätze ich seit früher Jugend. Auch das umgedrehte Schaltschema mit dem Ersten oben, hier bedingt durch den Umbau, gehört seit jeher an englische oder Italorenner und kann einer Bayrischen bloß gut tun. Beim ersten Aufsitzen fühlte ich mich für die tiefen Stummel zwar etwas zu steif, nach ein paar Minuten aber wirken sie fast wie ein Jungbrunnen. Nur die ungepolsterte Sitzbankkante hinterlässt bei mir einen zu tiefen Eindruck, von Parchim nach Paris? Nee, damit nicht. Doch ’ne lebhafte Runde um den See oder das Ace Cafe fegen – jederzeit!

Info | meister-s.com

 

Stephan H. Schneider