Selbst die Harley-Chefs waren sich nicht ganz sicher, was da vor ihnen stand. Wir klären auf: Harley-Davidson Fat Bob, Modell 2018, fährt auf Vergaser. Hooligan-Oberklasse!

Harley-Davidson musste nach der Vorstellung der neuen Softail-Generation vor drei Jahren einiges einstecken. Wie immer, wenn eine neue Motorengeneration an den Start geht, was allerdings auch nur etwa alle 15 Jahre passiert.

Harleys aktuelle Softail-Generation überzeugt

Die gute Nachricht für Harley: Das laute Gestöhne über die Modelle hat sich längst zu einem kaum hörbaren Plätschern verflacht. Und das liegt am Ende auch daran, dass Harley mit dem neuen Softail-Fahrwerk und insbesondere dem überzeugenden Milwaukee-Eight als Antrieb vieles richtig gemacht hat.

Brandon Holstein ist der schraubende Teil von The Speed Merchant, einer Firma, die 2011 von drei Freunden gegründet wurde. Die Harley- und Triumph-Teile der Manufaktur aus Long Beach haben sich ängst internationalen Ruf erarbeitet, nach wie vor fließt ein Großteil der erzielten Gewinne direkt wieder in die Entwicklung neuer Parts

Allein, es gibt Menschen, denen kann man es nie ganz recht machen, die wollen immer noch ein bisschen mehr. Für Brandon Holstein, schraubende Seele von The Speed Merchant in Long Beach, war klar: Das geht noch besser.

Harley-Davidson Fat Bob – Show the Technik

Zumal er die optische Verdeckung der Mono-Dämpfung im Heck kaum ertragen konnte, »solche Technik muss man doch zeigen.« Er mag es durchaus nackt, der Brandon. Was er schon mit mehreren Umbauten, auch in enger Zusammenarbeit mit Harley-Davidson, bewiesen hat. Seine Arbeit auf Basis der öden Harley Street ist zum Beispiel legendär. Für diesen Aufbau entscheidet er sich für die Fat Bob als Basis.

Ein echter Brocken, die gefräste Aluschwinge, die das 17-Zoll-Rad fest im Griff hat

»Ich hatte die Möglichkeit, die Softails seinerzeit vor dem Launch zu fahren. Ich fand sie wirklich besser als ihre Vorgänger, vor allem beim Handling in Kurven und mit höherer Geschwindigkeit. Aber was mir fehlte, war die offene Präsentation des Designs.

Mono-Shocks sind für Harley eben schon was Neues

Mono-Shocks sind ja nun nichts Neues für die Motorradindustrie, aber für Harley eben schon. Dass wir hier nicht mehr von den Softails unserer Väter, sondern tatsächlich einer völlig neuen Generation von Harleys sprechen, das fehlte mir optisch.

Man wirft den Amis oft vor, nicht ganz sauber und eher lässig zu schrauben. Bei The Speed Merchant liegt der Fall anders. High-End-Parts, die direkt am Objekt entwickelt werden – tolles, eigenständiges Design obendrauf. Daumen sowas von hoch

Und in diesem Sinne habe ich mit der Fat Bob angefangen.« Die wählt Brandon übrigens, weil sie das aggressivste der aktuellen Softail-Modelle ist. »28 Grad Rake und kein Bullshit-Look, ich wollte genau dieses Design noch weiter treiben.«

Harley-Davidson Fat Bob – Weg mit der Einspritzung

Um den großen Wunsch nach dem sichtbaren Dämpfer zu erfüllen, geht Brandon in Sachen Motor massiv vor. »Die gesamte Elektronik und ja, auch die Einspritzung mussten dafür weg«, damit offenbart er den großen Aha-Effekt, den seine Softail auf den zweiten Blick hervorruft.

Die Mid Controls liegen etwas höher und deutlich weiter hinten als das Original, in Verbindung mit den hohen Risern ergibt das eine gute Sitzposition, wovon wir uns live überzeugen konnten

Denn der Milwaukee-Eight ist auf Vergaser umgerüstet. Dafür wurde ein Aluminiumverteiler für einen Mikuni modifiziert und mit einem neuen Luftfilter kombiniert. Die Tuning-Arbeiten sind übrigens auch nach unserem Fototermin, bei dem sich das Bike auf der Straße ganz hervorragend schlug, noch nicht abgeschlossen.

Mehr Power für den Milwaukee-Eight

Neue Köpfe sind schon entworfen, die Bohrung soll vergrößert werden, neue Nockenwellen sind ebenfalls angedacht. »Wir werden noch mehr Power aus dem M8 holen«, ist sich Brandon sicher.

Hightech wiederum gibt es unter der Sitzbank. Das offen sichtbare, voll einstellbare Federbein war Brandons Herzenswunsch, gerade weil Harley die Technik der Monofederung zwar nutzt, aber in Serie von außen unsichtbar belässt

Tatsächlich ist, wie motorseitig gesehen, auch das Design der SM-Softail reine Prototyp-Arbeit. The Speed Merchant ist kein klassischer Custombetrieb, sondern die vielleicht lässigste Teilemanufaktur der USA. Und entwickelt wurde hier noch immer am fahrenden Objekt.

Harley-Davidson Fat Bob wird sportlich

Eines der ersten Dinge, die geändert wurden, waren die Fußrasten. Brandon und sein Partner Dan entwickelten ein Mid-Control-Setup, etwas höher und deutlich weiter hinten als das Original, so dass man eher von zurückverlegten Rasten sprechen muss.

Nicht nur für Brandon Holstein ist die Fat Bob das interessanteste aktuelle Harley-Modell

Auch bei den Rädern besserte Brandon nach, »auch wenn ich die originalen Räder an sich ganz cool finde.« Aber er wollte mehr Auswahl bei den Reifen haben. Am Ende entscheiden sie sich mit Zulieferer Lyndall für 19 x 3 vorn und 17 x 5,5 hinten, die Gabel bleibt vorerst original.

Gabelbrücke aus eigenem Haus

Allerdings gibt es eine neue Gabelbrücke aus eigenem Haus, die besser mit der schmaleren Front harmoniert. Auch einen Gabelstabilisator verbauen sie. »Dazu haben wir einen Halter entwickelt, der die Position des Risers nutzt, um den Gabelstabi zu montieren.«

Fürs Heck wurde eine komplett neue Schwinge aus Billet-Aluminium gebaut, sie besteht im Kern aus neun Teilen, die zusammengesteckt, verschraubt und dann zugeschweißt wurden. Ein paar Pfund Gewicht konnten durch das neue Heck auch gespart werden.

Voll einstellbarer Monodämpfer von Gar Racing

Der Monodämpfer, jetzt perfekt sichtbar, kommt von Gears Racing und ist für Zugstufe, Vorspannung und Kompression voll einstellbar. Bei den Blecharbeiten legte Brandon Wert drauf, dem Originalbike gerecht zu werden.

Das Heck wurde aus Alu handgefertigt und ist die Replika eines Teils, das Brandon schon ewig rumliegen hat, es passte perfekt. Eine Sitzbank-Einzelanfertigung, ein kleiner Tacho – am Ende lagen nur noch wenige Dinge auf dem Weg zum fertigen Motorrad.

Selbst Harley-Ingenieure wussten nicht, was sie da sahen

Und das erstaunte selbst die Experten. Wir waren dabei, als sogar gestandene Harley-Ingenieure nicht wussten, was sie da sahen. Und sich sicher dachten, »ach hätten wir mal.«

Info |  thespeedmerchant.net

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.