Kein Profischrauber, sondern Klempner, leidenschaftlicher Motorradfan sowieso. In seiner Freizeit baut Sebastien sich eine Yamaha XS 650 zum Bratstyle-Bobber um.
In Japan bestimmen zwei Extreme die Customszene. Viele Profis überzeugen dort mit teils unfassbaren Umbauten, absolut perfekt in Technik und Optik, aufgrund spezieller Geometrie aber oft nur bedingt gut fahrbar, dazu unerschwinglich für den Durchschnittsbiker des Landes.
Kompakte, wendige Bikes auf günstiger Basis
Die andere Richtung bezeichnen wir gern als Bratstyle, der Name des Stils geht auf die gleichnamige Werkstatt von Go Takamine zurück. Er baute früh kompakte, wendige Bikes auf günstiger Basis, gedacht für den wilden Stadtverkehr in der Peripherie Tokios.
Während sich der Stil in Japan hauptsächlich auf Bikes bis maximal 400 Kubik beschränkt – bedingt durch die japanische Führerscheinregelung und deren Einteilung in Hubraumklassen –, ist man im Rest der Welt weniger strikt.
Yamaha XS 650 – Beste Brat-Bobber-Basis
Nur die japanische Basis ist fast Pflicht, weshalb Yamahas XS-Modelle gern genommen werden. Im Fall dieses Brat-Bobbers das 650er-Modell, ungebrochen beliebt und gut, wie auch der Franzose Sebastien Vernaison meint.
Im Sommer 2018 kauft er die Yamaha, sechs Monate später möchte er sie auf einer Bikeshow ausstellen. Untypisch kümmert sich der Franzose um den Motor zuletzt, vorher stehen die Arbeiten am Fahrwerk an. Den Heckrahmen kürzt er, entfernt alle überflüssigen Halterungen.
Die Kiste ist rigid – die vermeintlichen Stoßdämpfer sind starr
Was wie Stoßdämpfer aussieht, sind keine. Die entsprechenden Aluminium-Streben sind starr konstruiert und selbstgebaut. Die Originalgabel wird um zehn Zentimeter gekürzt, die Stütze des vorderen Kotflügels entfernt, die Hülsen bearbeitet.
Eine Bremsscheibe samt Sattel entfernt Sebastien, »das bremst auch so gut genug«. Bei seinen Rädern setzt der Schrauber aus Budgetgründen aufs Original, in Sebastiens Fall sind das die Leichtmetall-Gussfelgen der späteren XS-Modelle.
Yamaha XS 650 – Comichelden bewachen den Bobber
Mit dem Mini-Bates-Scheinwerfer, einem Lenker mit halbhohem Apehanger und LED-Blinkern wird die Front komplettiert. Auf der linken Seite sitzt übrigens Pikachu stolz auf der Kupplungshebelhalterung – nicht der einzige Comicheld, der über den Bobber wacht.
Maßgeblich für die hintere Linie des Bobbers ist der Tank einer belgischen »Flandria SP«. Zwar dürfte der Name Flandria hierzulande nur eingefleischten Mofafans ein Begriff sein, aber ehrlich, der Tank passt nach den Modifikationen ziemlich gut zur Yamaha.
Die Sitzplatte wird mit dem Cordstoff einer alten Hose bezogen
Findet auch Sebastien, der die dadurch vorgegebene Linie nach hinten fortsetzt. Eine schmale Stahlsitzplatte entsteht, sie wird mit dem Cordstoff einer alten Hose bezogen. In der Box untendrunter ist die minimale Elektrik untergebracht. Die Batterie sitzt gut versteckt unter der Schwinge. Der Heckfender ist verboten kurz und mit dem Rahmen verschweißt.
Nachdem die optischen Arbeiten abgeschlossen sind, werden Rahmen, Gabel und Räder mit schwarzer Epoxidfarbe beschichtet. Zeit, sich um den Motor zu kümmern. Den Paralleltwin überarbeitet Sebastien komplett, spendiert eine elektronische Zündung, entfernt den Luftfilterkasten und ersetzt den Filter durch eine Racing-Variante.
Yamaha XS 650 im grauen Lamborghini-Lack
Für den Auspuff werden die Originalrohre gekürzt, umwickelt und mit markanten Fishtails versehen, fertig. Bleibt noch, dem Bike eine markante Lackierung zu verpassen. Sebastiens Frau fertigt die entsprechenden Skizzen im Comicstyle an, beim »L’Atelier de So« wird das Dekor per Hand auf den grauen Lamborghini-Lack gemalt.
Nach insgesamt sechs Monaten ist die Yamaha des Klempners fertig. Und der hat bis heute einfach nur Spaß an seinem Bike, mag die positiven Reaktionen von Besuchern, die es auf diversen Bikeshows hervorgebracht hat.
Yamaha XS 650 – »Irgendwie cool«
Und tatsächlich, obwohl Sebastiens Umbau ein einfacher, ehrlicher und nachvollziehbarer ist, entsprang auch uns ein »irgendwie cool«, als wir die Kiste das erste Mal gesehen haben.
Info | Seb Kustom Motorcycle
Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.