Nach 21 Jahren zerschellte die Yamaha XJR 1300 an der bösen Euro-4-Wand. Zum Abschied legte Motorrad Klein die luftgekühlte Seele des großen Four frei.
So langsam sterben sie alle weg: David Bowie, Bud Spencer, Lemmy … und Yamahas XJR. Nachdem am 1. Januar 2017 die Übergangsfrist für Bestandsfahrzeuge endete, war es das Ende von Yamahas letztem luftgekühlten Four.
Yamaha XJR 1300 – Der Niedergang hatte sich abgezeichnet
Dominik Klein, Yamaha-Händler und XJR-Veredler aus Leidenschaft, schmerzte das. Obschon sich für ihn als Mann an der Verkaufsfront der Niedergang von Yamahas Vierzylinder-Ikone schon eine Weile abzeichnete. Die konservative Kundschaft, die die XJR früher auf Händen trug, tat sich mit Neuerungen offenbar schwer.
»Der größte Schlag kam 2007 mit der Einspritzung und vor allem mit dem 4-in-1-Auspuff«, erinnert sich Dominik. »Da wandten sich viele Traditionalisten ab.« Und bei der letzten Variante? Wurde weitergemäkelt: »Zu kleine Lampe, zu großes Ofenrohr, zu langer Kennzeichenhalter, zu kleiner Tank, zu wenig Reichweite«, fasst Dominik die Kritik der Kundschaft zusammen.
Dominiks Cafe Racer gewann den Yard-Buhlt-Wettbewerb
Diese Unzulänglichkeiten zu beseitigen, gehört für ihn zum täglich Brot. Zahlreiche Umbauten der Dicken stehen in seinem Laden im saarländischen Dillingen. Auch seine Cafe-Racer-Version im Brandy-Red-Farbton der RD 350 von 1973, mit der er den Yard-Built-Wettbewerb gegen 41 XJR-Customs aus ganz Europa gewann.
Mit der hier gezeigten XJR hat er noch einen draufgesetzt und einen Einarmschwingen-Racer im weiß-blauen Speedblock-Design komponiert, der den Gipfel der bisherigen Custom-Evolution von Yamahas Vierzylinder-Ikone darstellt. Wobei das sportliche Outfit und der fahrdynamische Anspruch der Maschine sich in nichts nachstehen, denn im Serientrimm ist die XJR noch immer ein ziemlich stierer Ochse, der eher behäbig ans Gas geht und sich nur mit Nachdruck umklappen lässt.
Verstärkter Rahmen mit Over-Querstreben
In puncto Fahrwerk ist der Saarländer als Performance-Fan und Öhlins-Stützpunkthändler anspruchsvoll. Er verstärkt den Rahmen mit Over-Querstreben, zaubert eine Einarmschwinge aus Ducatis Hypermotard ins Heck und stützt diese über einen selbst zusammengesteckten Schwedendämpfer nebst Umlenkwippe ab.
Die stämmige 48er Upside-down-Gabel kommt ebenfalls von Öhlins und arbeitet normalerweise in einer Ducati Diavel. Die Gabelbrücken werden in Dillingen entworfen und als Einzelanfertigung aus dem vollen Alublock gefräst.
Den Fahrer nicht zum geknechteten Bückling degradiert
Doch genug der Technik, wie fährt sich denn das Teil nun? Schon beim Aufspringen macht die sportive, weit nach vorn gespannte Sitzposition klar, dass sich das Erlebnis primär auf den intensiven Bezug zum Vorderrad stützt, ohne den Fahrer zum geknechteten Bückling zu degradieren. Dabei stehen die Stummel des einstellbaren BKG-3D-Lenkers in ihrer höchsten Position, tiefer und härter geht also schon noch …
Wenn du vom Serienhobel kommst, öffnet dir dieses Fahrwerk auf Anhieb die Augen für dessen Defizite. Die massive Diavel-Gabel arbeitet deutlich feinfühliger als das dürre Serienpendant. Zart tastend folgt sie der Asphaltoberfläche und verleiht dem Frontend dennoch standfeste Stabilität.
Die Bremse könnte dich übers Vorderrad ins Jenseits zu schicken
Zu hart anbremsen gibts nicht, diese Gabel geht nicht auf Block. Wobei die üppig dimensionierten 320er-Scheiben mit den 484-Radialsätteln natürlich durchaus das Zeug dazu haben, dich übers Vorderrad ins Jenseits zu schicken.
Der größte Unterschied zur Serie ist die Steifigkeit des gestützten Doppelschleifenrahmens in Verbindung mit der Ducati-Schwinge im Heck. Deutlich handlicher ist die Dicke damit, vor allem das Umlegen in Wechselkurven geht mit weniger Körpereinsatz.
Um gut 50 Pfund geschrumpftes Maschinengewicht
Natürlich spielen hier auch das um gut 50 Pfund geschrumpfte Maschinengewicht und die in Richtung Handlichkeit verschobene Fahrwerksgeometrie eine entscheidende Rolle. Ein Chassis, das zwei Ligen über Serie agiert, lässt den Four gleich in ganz anderem Licht erscheinen.
Doch der darf auch frei atmen, was ihm ein deutliches Plus an Druck und Leistung bringt: »Die XJR reagiert sehr gut auf weniger restriktive Auspuffanlagen. 20 PS bringt das eigens angefertigte Titan-Töpfchen von SC-Project ganz ohne Abstimmungsarbeit.«
Eine Offenbarung aus Klangfeuerwerk, Schubkraft und Sämigkeit
Allerdings auch ohne db-Killer, was der Dicken zu einem richtig unverschämten Racing-Sound verhilft. Der luftgekühlte 1250er mit offenen Atemwegen ist eine einzige Offenbarung aus Klangfeuerwerk, Schubkraft und Sämigkeit.
Mit eingeschraubtem Dämpfer, offenen Luftfiltern und Softwareanpassung bleiben ihr höchst vitale 115 Pferdchen. So ist die XJR frei schnaufend und ordentlich abgespeckt ziemlich legal unterwegs. Und braucht sich fortan nicht mehr um irgendwelche Euro-Normen zu scheren. Es lebe der Bestandsschutz!
Info | motorradklein.de
Carsten Heil, hat die typische Zweiradkarriere der 80er-Jahre-Jugend durchgemacht: Kreidler Flory (5,3 PS), 80er-Yamaha DT und mit achtzehn dann die erste 250er Honda. Nach unzähligen Japanern über Moto Guzzi ist er dann schließlich bei Rohrrahmen-Buell gelandet. Seit 1992 mit Fotoapparat und Schreibgerät in Sachen Kradkultur unterwegs.