Günstig zu mehr Pferdchen im Twin Cam? Ein Tausch der Nockenwelle hilft. Unser Werkstattbuddy Stephan Simon sagt, wie’s geht
Bekanntlich kann man ja nie genug Power haben. Nehmen wir zum Beispiel ein Twin-Cam-Triebwerk. Das ist zwar von der Leistung her ganz okay, aber denken wir mal an die schweren Bike-Ausführungen oder das Reisen mit zwei Personen samt Gepäck. Da zieht sich der Überholvorgang schon mal in die Länge. Und nicht jeder kann und will 30 Mille für ein getuntes Screamin’-Eagle-Sondermodell an die Company abdrücken. Dann wäre da auch noch die Möglichkeit eines Big-Bore-Kits. Klar, Hubraum ist bekanntlich nur durch mehr Hubraum zu ersetzen. Aber nochmal, wir wollen eine preiswerte Möglichkeit – und daher fällt auch das Tuningkit flach.
Eine gut gewartete Karre ist Voraussetzung
Wir setzen also mal voraus, eure Karre ist gut gewartet. Der Luftdruck stimmt, Radlager und Achsen sind in Ordnung und gefettet. Der Antriebsriemen ist ordentlich gespannt und mit Poly Oil (das ist ’ne prima Paste von H-D, kleine Tube immer im Gepäck haben) gepflegt. Ihr habt gutes Öl der richtigen Viskosität in ausreichender Menge in Getriebe, Primär und Öltank. Wenn das alles auf eure Harley zutrifft, dann Glückwunsch – ihr habt schon mal keine PS unnötig verplempert.
Bleibt als spannendes Thema die Nockenwelle, und die schauen wir uns heute mal eine Spur genauer an, denn hier besteht durchaus Potential zum Nachrüsten. Das gilt vor allem für Standard-Twin-Cam-A-Modelle, also gummigelagerte, elastisch vom Fahrwerk abgekoppelte Motoren wie bei Dyna und Tourern sowie die B-Motoren der Softails. Es gibt eine Menge Anbieter und zahlreiche Ausführungen, aber wir wollen es ja einfach halten. Daher empfiehlt sich eine Nockenwelle, die keiner Überarbeitung der Köpfe oder einer Modifizierung des Gehäuses bedarf.
Schwachpunkt Ölpumpe
Bei vielen älteren Modellen der Baujahre 1999 bis 2006 ist die Ölpumpe ein Schwachpunkt und es empfiehlt sich bei beim Nockenwellen-Umbau gleich eine neue einzubauen. Und im Ernst, eine Pumpe aus dem Zubehör bringt runde 30 Prozent mehr Öl durch den Motor. Das ist eine ganze Menge und macht sich auch in der Lebenserwartung eures Bikes bemerkbar. Die Ölpumpe besteht aus der Vorlaufpumpe und der Rücklaufpumpe, die hintereinander auf dem Pinion-Shaft formschlüssig angetrieben werden. Damit das gut funktioniert, müssen die Pumpen voneinander getrennt ihre Leistung abgeben können. Das ist oft nicht der Fall.
Auch die mechanische Kettenspannung der Nockenkette dieser Jahrgänge ist Mist und verschleißt die Spannschuhe enorm. Wenn diese dann abgenutzt sind und zerbröseln, sausen die Brocken durch den Motor, spätestens dann wird’s blöd. Ihr solltet also mindestens alle 40 000 Kilometer mal einen Blick auf die Spannschuhe werfen. Bei den Motoren ab 2007 ist die Kettenspannung durch hydraulische Spanner besser gelöst. Die federn die Kettenamplitude besser ab und halten dadurch erheblich länger. Wenn es ans Wechseln der Spanner geht, könnt ihr viel Geld sparen und nur die Schleifelemente wechseln. Die kosten pro Stück 15 Euro. Oder ihr kauft den kompletten Spannschuh für je 120 Euro.
Nockenwelle – Auf die brutale Tour
Nach der Theorie kommt nun der Praxisteil, das Wechseln der Nockenwelle. Zunächst klemmt ihr die Batterie ab, dann gehts los. Es spart eine Menge Zeit, bei der ganzen Sache auf die brutale Tour vorzugehen, indem man die OEM-Stößelstangen mit dem Bolzenschneider durchtrennt und anschließend einstellbare verwendet. Das kostet einige Überwindung, geht aber problemlos. Wer die sanfte Tour bevorzugt, kann natürlich auch den Tank und die Rockerboxen abbauen sowie die Kipphebelblöcke hochheben, um die Stößelstangen zu entfernen. Dann muss aber das Topend unbedingt neu abgedichtet werden.
Zum Entnehmen der Nockenwellenplatte stellt ihr die Antriebsräder der Steuerkette auf Markierung. Dann wird der Punkt vom großen Rad auf den angegossenen Strich auf der Platte gestellt. Die Markierung vom kleinen Rad kommt erst zum Vorschein, wenn die Schraube und Scheibe runter sind. Nun den Kettenspanner zurückhebeln und mit einem Pin oder kleinem Inbus-Schlüssel fixieren. In dieser Stellung nehmt ihr alle weiteren Arbeitsgänge vor, der Motor wird nicht mehr gedreht. Nun dreht ihr vorsichtig alle Schrauben der Nockenwellen-Platte aus. Verwendet dafür einen Inbus 3/16“ und ja nicht ein in etwa passendes Werkzeug aus der metrischen Kiste, verstanden? Merkt euch beim ersten Blick ins Herz eurer Lady genau, wie und wo alles war, ein Foto mit dem Smartphone kann da sehr hilfreich sein.
Augen auf im Nockenraum
Wenn die Platte raus ist, setzt ihr den zweiten Pin für die Entspannung des hinteren Kettenspanners. Schaut euch die Spanner genau an. Sollte ein Teil des Plastikspanners fehlen, so müsst ihr es unbedingt wiederfinden. Meistens liegt es in einem solchen Fall irgendwo im Nockenraum. Nun könnt ihr die Nockenwellen entnehmen und neue Lager in die Platte einsetzen. Dann entspannt ihr die Schleifschuhe und entfernt den Seegerring. Der ist schwer zu finden, also aufgepasst.
Nun setzt ihr neues Plastik ein und verstemmt es vorsichtig, so dass es sich noch leicht bewegen kann. Beim Einsetzen der neuen, geileren Nockenwellen beachtet bitte, dass die Markierungen horizontal stimmen, und zwar in derselben Art und Weise, wie es bei den alten Nocken zu sehen war. Nun die Ölpumpe nach Anleitung ölen und locker auf die Platte setzen. Vergesst auch nicht, neue O-Ringe im Gehäuse und auf der neuen Pumpe. Jetzt könnt ihr die Platte einbauen. Dazu setzt ihr am besten erst die Pumpe auf die Welle und verschraubt sie dann locker mit der Platte.
Nockenwelle –Job erledigt!
Jetzt den Motor ein paar mal durchdrehen, damit sich die Pumpe auf der Kurbelwelle zentriert und wieder auf die Markierungen der Nocken horizontal einstellen. Anschließend die Platte und die Pumpe über kreuz festziehen und dabei die Drehmomente beachten. Nun kann die Steuerkette auf Markierung eingebaut und festgezogen werden. Noch einmal einen schönen Rundumblick auf alles werfen und den Deckel drauf, der Nockenjob ist erledigt.
Die einstellbaren Stößelstangen baut ihr nach Anleitung ein und klemmt die Batterie wieder fest. Da bei dem Job ein Ölwechsel sowieso mit fällig ist, könnt ihr gleich den Ölfilter abschrauben und den Motor mit dem Anlasser durchleiern. Das Ganze passiert ohne Kerzen, ihr schaut aber genau, ob die Pumpe auch fördert. Wenn alles nach eurer Zufriedenheit läuft, könnt ihr den Rest wieder zusammenbauen. Und dann ein Bier öffnen und euch auf die fällige Probefahrt freuen.
Ohne Verstand läuft es nicht
Das Ganze ist natürlich eine recht grobe Anleitung. Ernsthaftes Motorradschrauben läuft nicht, ohne sich die Dinge genau anzuschauen, sie zu verstehen oder sich entsprechend einzulesen. Wer das nicht kann oder will, der geht zum Customizer, bezahlt einen fairen Preis für eine saubere Arbeit und freut sich danach, dass alles läuft. So oder so, viel Spaß on the road und Grüße aus der Werkstatt.
Info | Simons Custom