Meine NSU ist 71 Jahre alt. Ich wollte mit ihr beim Auerberg Klassik antreten. Doch dann schlug das Alter zu. Bei mir, nicht bei ihr. Die Erfahrung einer Gleichmäßigkeitsfahrt wollte ich mir trotzdem nicht nehmen lassen. Auf nach Zotzenbach.

Mit einem kräftigen Ruck reiße ich am ­Lenker. In dem Moment, in dem es mir ins Kreuz schießt und ich die Sterne funkeln sehe, weiß ich: Der ­Auerberg ist gelaufen. Selbst schuld, NSU, ­Miststück! Was lässt du dich auch so scheiße aufbocken? Dabei war bis dahin alles ziemlich reibungslos gelaufen.

NSU Lux von 1952 – dem geburtenstärksten Lux-Jahrgang

Keine Selbstverständlichkeit bei einem so gut abgehangenen Bock, der immerhin erst zwanzig Jahre im Keller meiner Eltern und dann nochmal fast zehn bei mir in der Garage gestanden hatte. Die NSU von 1952 und damit aus dem geburtenstärksten Lux-Jahrgang war tatsächlich mein erstes Motorrad – und mein erstes ernsthaftes Schrauberprojekt. Doch als dann erst diese gebrauchte, dramatisch starke Güllepumpe auf dem Hof stand, ­kamen kaum noch Kilometer zusammen.

Man sieht ihm die Jahre an, dem NSU-Weltmeister-Tankdeckel, erst recht im Kontrast zu den Apple-Segnungen der Neuzeit. So ein Handy kann viel, doch, Jugend, aufgepasst! Den Tank abdichten kann auch das I-Phone nicht

Mehr als dreißig Jahre später also: Metzelers Block-C-Pneus sind ausgehärtet, der Vergaser ist verharzt, das Lenkkopflager überholungsbedürftig, der Kupplungszug gerissen, die Batterie ist sowieso platt und bei näherem Hinsehen auch die Dämpferkartuschen in der Gabel. Das ist machbar. Der TÜV auch. Und weil Zeitdruck ­Flügel verleiht, warte ich noch zu, bis es eine Woche vor Termin endlich richtig brenzlig wird.

Blaue Wolken pulsieren rhythmisch aus dem Fischschwanzschalldämpfer

Keine Probleme bei der Reifenwahl. Es gibt ihn ­immer noch, den Block C. Bald rollt das Ding auf neuen Gummis – und zwar aus eigener Kraft. Den 200-ccm-Zweitakter habe ich nicht lange bitte müssen. Tank und Benzinhahn entschlammt, Zündung eingestellt, neue Zündkerze rein, neue Batterie, Vergaser geputzt und los. Nach zehn bis fünfzehn Tritten auf den Kickstarter pulsieren die blauen Wolken rhythmisch aus dem Fischschwanzschalldämpfer und verbreiten einen heimeligen Geruch.

Der Scheinwerfer der NSU bietet zwar Platz wie eine Zweiraumwohnung, gebraucht wird der aber kaum. Die vorhandene Elektrik würde ohne Probleme in eine Zigarettenschachtel passen

Verrückte Welt. Wo heute Aktivkohlefilter die Abluft der Benzintanks von Kohlenwasserstoffen filtern, drückt man zum Start der NSU erst mal so lange auf den Schwimmerkammertupfer, bis das 1:25-Gemisch oben austritt. Acht PS sind nicht die Welt. Doch obenauf auf dem für Hintern stattlichen Kalibers gebauten Schwingsattel kommt trotzdem Freude auf. Knapp über achtzig Sachen läuft die Lux, wenn man am Startschieber spielt, kann man dem Single je nach Sauerstoffgehalt der Luft einen noch geschmeidigeren Lauf und ein paar Zusatz-km/h ent­locken. Auerberg, wir kommen. Oder eben nicht.

Wie brandheißer Rennsport klingt das nicht gerade

Gleichmäßigkeitsfahrt. Mmmh, wie brandheißer Rennsport klingt das nicht gerade. Es geht darum, die­selbe Strecke mehrmals in möglichst gleicher Zeit zurückzu­legen. Das ist materialschonender für die alten Kisten – theoretisch zumindest. Es geht also nicht um Speed. Doch ich kenne mich. Ich gehöre zu den Typen, die der Hafer sticht, wenn sich das Startgatter erst mal gesenkt hat. Und ist es nicht plausibel, die Zeitdifferenz dadurch möglichst klein zu halten, dass man immer am Limit fährt?

Unser ganzer Stolz: der originale NSU-Kerzenstecker, natürlich nicht funkentstört. Wenn es im Radio also rauscht, dann könnten wir das sein

Vom 2001 gestorbenen österreichischen Motorrad- und Oldtimerjournalisten Helmut Krackowizer stammt der Satz: »Nur mit Vollgas kann man gleichmäßige Rundenzeiten zurücklegen.« Mag sein, aber nicht auf dieser NSU. Die Lux rollt auf schmalen 3-Zoll-Reifen verblüffend geschmeidig durch die Biegungen. Nach ­anfänglichem Zögern merke ich schnell, dass auch Schräglage mit dem Block C gut geht. Nicht die Reifen sind’s, das Fahrwerk ist es, das mich einbremst.

NSU Lux als rollende Hollywoodschaukel

Das mit den Dämpferkartuschen war auf die Schnelle dann doch nicht zu machen, und so wird die Lux auf unebenem ­Geläuf zu so einer Art rollender Hollywoodschaukel. Und dann diese geschobene Kurzschwinge: Beim Bremsen vorn stellt sich die Front abrupt auf, springt dir ­regelrecht entgegen. Ich habe die Wahl zwischen keiner ­Verzögerung und kaum spürbarer Verzögerung in Verbindung mit einer Männchen machenden Front. Was hättet ihr getan? Ich jedenfalls verlasse mich fortan auf die hintere Trommel. Rennen? Nein, Gleichmäßigkeitsfahrt!

Der Massenmotorisierer der 50er Jahre. Knapp 79000 Stück wurden in Neckarsulm von 1951 bis 1956 gebaut. Als das Auto erschwinglich wurde, verschwanden sie in Massen von deutschen Straßen

Einen Berg brauchen wir. Die alte Zotzenbacher Bergrennstrecke liegt im Odenwald im wahrsten Sinne des Wortes nah. Fotograf Tobse und ich verfrachten das Krad in den Transporter. Von Haustür zu Haustür ­zwischen Zuhause und Verlag hat sich die Lux bisher zwar ­wacker geschlagen, durch unnötige Langstrecke aber möchte ich die Geschichte nicht gefährden. Und tatsächlich: Der Transporter soll sich noch als segensreich erweisen.

Es gibt bessere Drogen als Benzol

Erst mal aber haben wir andere Pro­bleme. Nicht nur das Aluminium des NSU-Weltmeister-Tankdeckels ist schon ziemlich ramponiert ist. Auch dessen Dichtung hat schon bessere Tage gesehen. Und natürlich habe ich den Tank für meinen privaten Meisterschaftslauf randvoll gemacht. Und so sind Tobse und ich schon ziemlich ­bedüdelt, als wir am Fuße der Strecke ankommen. Na ja, es gibt bessere Drogen als Benzol.

Alle Versuche, den Tankdeckel halbwegs abzudichten, schlugen fehl

Ich suche mir ein Teilstück heraus, das mein Feld der Ehre werden soll. Und ­fahre es erst mal von oben runter, also bergab. Nicht weit her ist es da mit der Gleich­mäßigkeit. Ich hab noch keine Vorstellung, wie schnell die Kurven gehen. Setze ich mir für die Kurven ein 60er-Limit nach Tacho und halte mich mit der Bremse auf den ­Geraden konstant, werden die Speedausschläge nach oben und unten geringer. Flatline aber ist anders – und Bergrenn­strecken fährt man bergauf.

Die acht Pferde der NSU Lux müssen schuften

Im ersten Trainingslauf bergan fahre ich, was die olle Neckarsulmerin hergibt. Viel ist’s nicht, aber es reicht, um unterwegs auf das ein oder andere Auto und ja, auch um auf eine im Vergleich megamoderne Zweiventil-BMW aufzulaufen. ­Überholen? No way! Muss das nächste Mal mehr Platz lassen, sonst versauen die mir meine Zeit. 3300 Meter bergauf geht es, keine dramatische ­Steigung. Die acht Pferde des 200er-Einzylinders müssen zwar schuften, schaffen die Steigung aber fast durchgängig im vierten Gang – von vier. Nur in einem Abschnitt muss ich in den dritten zurückschalten.

Metzelers Block C rollt. An ihm jedenfalls liegt es nicht, dass ich es in den Kurven der Zotzenbacher Bergrennstrecke etwas langsamer angehen lasse

So um die 60 Sachen läuft die Lux mit Schwung den Berg hinauf. Hört sich wenig an. Reicht aber für eine Dosis Adrenalin an manch Kurven­eingang, ich halte kurz die Luft an. Nach der zweiten Runde weiß ich einigermaßen, wo ich den ­Asphalt ­kreuzen muss, um die Schaukel möglichst ­ruhig zu halten. Okay, ­dritter und erster Wertungslauf. Ich klebe mein Handy auf den Tank – Neuzeit trifft Fossil – und strebe ­beharrlich bergan. Als ich am oberen Ende der Strecke über meine symbolische Ziellinie rolle, steht die Handy-Stoppuhr auf 4:23. Macht 46,9 km/h im Schnitt.

Nach kurzem Abkühlen läuft das Ding wieder …

Atemberaubend. Auf dem Rückweg fängt die NSU auf einmal an zu sprotzen, sprotzt, ist aus. Bitte, Gott des blauen Zweitaktqualms, hab Mitleid und lass mich das hier zu Ende bringen! Nach kurzem Abkühlen läuft das Ding wieder, als sei nichts gewesen. Zweiter Wertungslauf. Ausquetschen was geht, Schaltpunkte halten! Da vorn verschwindet der Kofferraum des Rentnerautos gerade hinter der Biegung. Lass die Oma nicht noch langsamer werden! Die letzte Kurve, die Linie, bingo! 4:22. Zufall oder Können?

Dem Euro-Bürokraten graust’s. Statt eines Aktivkohlefilters für die Tankabluft hat die Lux einen Vergasertupfer: Zum Start drücken, bis der Sprit rausläuft!

Ich werde es nie erfahren, denn plötzlich stirbt der ­Motor wieder ab. Hat offenbar was mit der Temperatur zu tun. Könnte die Zündung sein. Die Hardware ist bis auf den Kontakt ja noch original Fifties, die Zündspule eben auch. Sollte vielleicht doch mal auf eine ­kontaktlose Zündung umrüsten. Oh du schöner Allgäuer Auerberg, was hast du für ein Schwein gehabt! Aber nächstes Jahr gibt’s kein ­Pardon. Nächstes Jahr im September werden wir dich aufrollen, meine NSU und ich. Falls sie dann noch laufen sollte. Und ich auch.

Info | auerberg-klassik.de

 

Guido Kupper
Redakteur bei CUSTOMBIKE

Guido Kupper, fährt praktisch seit seiner Geburt in grauer Vorzeit Motorrad, hat mit dem Schreiben aber erst angefangen, als er schon sprechen konnte. Motorisierte Zweiräder hat er nur acht Stück zur Zeit, Keller und Garagen sind trotzdem voll. Sein letztes Ziel im Leben: Motorrad fahren und mal nicht drüber schreiben