Für den Jungen aus der DDR seinerzeit unerreichbar, sind die alten Ostbikes für Holger heute zur großen Leidenschaft geworden. Sein Bobber auf Basis einer MZ TS 250 ist nur eines von mehreren Projekten.

Letztendlich ist die DDR-Vergangenheit schuld«, erzählt Holger. Vor vielen Jahren war eine MZ TS 250 der Traum seines 18-jährigen Ichs, »aber für mich damals unerreichbar«, ergänzt er. Seit einigen Jahren holt er nun auf, was früher nicht ging – mit einer Simson, mehr Ruine als Moped, fing es an. Und er schraubt nicht allein an seinen Projekten, sondern baut gemeinsam mit seinem Sohn auf, restauriert, customized.

»Ich baue nichts, was nicht die Plakette bekommt.«

Sechs Simsons und drei MZs stehen im Fuhrpark der Familie Kunz, keine soll jemals verkauft werden. Auch nicht, wenn ihm für eine liebevoll aufgebaute Wettbewerbs-Enduro mal eben über 20.000 Euro geboten werden. Alle Bikes sind immer angemeldet und werden gefahren, überhaupt haben Vater und Sohn Kunz eine Prämisse bei ihren Aufbauten: »Wir bauen nichts, was wir nicht am Ende auch durch die DEKRA bekommen.« Gilt natürlich auch fürs letzte Projekt, eine MZ, die einem Sammelsurium an Teilen gleicht und doch alles über die Ostmentalität verrät: Aus dem, was man hat und wenig zusätzlichem Investment etwas machen, etwas Besonderes im Idealfall.

Der Rahmen stammt von einer MZ ES 250, der Lenkkopf wurde modifiziert, der Lenkanschlag neu geschmiedet und über originale Aufnahmen am Rahmen fixiert

»Am Ende gleichen sich die Bikes, auch in den Magazinen, doch oft«, sinniert Holger. »Entweder Harley oder Japaner oder Triumph, vielleicht mal eine BSA.« Vielleicht hat genau das den Funken entzündet, aus einer MZ einen Bobber zu bauen. 400 Arbeitsstunden später ist der Plan aufgegangen, der mit dem Rahmen einer ES 250 von 1959 begann. Wie bei wirklich allem anderen an Holgers Bike bleibt auch an ihm nichts original. Der Bereich um den Lenkkopf wird modifiziert, der Lenkanschlag neu konstruiert und geschmiedet, das Ganze über originale Tankaufnahmen am Rahmen fixiert.

MZ TS 250-Basismotor mit ETZ- und ETS-Teilen

Der Basismotor einer TS 250 wird durch Teile aus ETZ und ETS ergänzt, Freunde von Ostkrädern können sie sicher am besten zuordnen. 36 PS, gut zehn mehr als die Serie, leistet der aufgebohrte Einzylinder-Zweitakter. Gezündet wird per Powerdynamo, eine Batterie gibt es nicht. Der offene Luftfilter kommt vom Oldtimermarkt, die Kette ist verstärkt, der Hinterradantrieb läuft offen, zahllose Alu-Drehteile entstehen in der eigenen Werkstatt.

Zahllose Details wie der Fahrradtacho im »Öldeckel« auf dem Tank finden sich am gesamten Bike

Allein im Motor stecken zahllose der insgesamt über 400 Therapiestunden, wie Holger sie nennt, »Zeit, die sich lohnt, weil sie mich geistig fit hält und ich etwas mit meinen Händen erschaffe«, der Berufsschullehrer lebt sein Hobby. Noch etwas ist ihm wichtig, die Zeit mit seinem Sohn Meverick – ja, der heißt wirklich so. »Wir sehen uns fast jeden Tag. Ich genieße das und hab ihm zu danken, für die schönen Stunden in der Werkstatt mit unseren Projekten.« Diese Familie rührt, das Bike umso mehr.

Die Akront-Felge dreht auf einer Honda-Nabe

Mit den Arbeiten am Motor ist das Projekt noch nicht ansatzweise abgeschlossen, für das Frontend hat sich Holger was Besonderes überlegt. Wie hinten auch möchte er eine Akront-Felge verbauen. Gehalten wird die von einem um 180 Grad gedrehten MZ-Gabel mit zusätzlichen Zierfedern zwischen den Brücken, dazu komplett funktional restauriert. Unten dreht die Felge auf einer Honda-Nabe, die Steckachse wurde durch selbstgefertigte Buchsen angepasst, die Duplextrommel stammt ebenfalls aus der Honda.

Akront-Felge auf Honda-Nabe, Edelstahlspeichen, die Steckachse neu angepasst. Was sonst edlen Cafe Racern taugt, ist Holger nur recht

Zwei Dinge noch, bevor wir weitermachen und jemand fragt. Ja, die ostdeutsche DEKRA hat alles abgesegnet. Grundsätzlich klärt Holger seine Umbauten dort im Vorfeld ab, erbringt erforderliche Nachweise und findet nötige Kompromisse. »Einen auf harte Tour machen funktioniert da nicht, zumal mein Prüfer echt sehr genau hinschaut. Aber am Ende wurden alle meine Bikes immer zugelassen.«

MZ TS 250 – Viele Teile sind kaum noch zu bekommen

Der zweite wesentliche Punkt bei einem solch aufwendigen und detailreichen Umbau ist ein ordentlicher eigener Teilefundus. Lediglich, was neu oder gebraucht angeschafft wurde, haben wir in unserer Kostenaufstellung vermerkt. Auf anderes konnte Holger selbst zurückgreifen. »Ich habe schon vor Jahren angefangen, Teile für zukünftige Projekte zu sammeln. Zum Glück, denn viele Sachen sind mittlerweile sehr teuer geworden oder – noch schlimmer – gar nicht mehr zu bekommen.«

Das komplette Bike ist bemerkenswerter und komplett abgenommen und geprüft. Alle Arbeitsschritte wurden im Vorfeld mit der DEKRA besprochen. »ich baue nichts, was nicht die Plakette bekommt.«

Was sich dagegen nicht in Geld aufwiegen lässt, ist der unglaubliche Ide-enreichtum des Sachsen. Da finden sich Kabel verlegt in Kupferleitungen, polierte und satinierte Teile, ein Fahrradtacho im »Öleinfülldeckel« des Tanks, der gravierte Kupplungsdeckel, die Kühlerfigur eines IFA-F9-PKWs auf dem Fender und so vieles mehr. Vor solch einer Leidenschaft ziehen wir unseren Hut, ganz sauberes Ding!

 

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.