Ende 1968 schockierte Team Green die Motorradwelt mit einem kaum gezähmten Rennmotor. Ein Erlebnisbericht mit der Kawasaki H1 500.

Es fühlt sich an, als würde ich in einen Eimer Mc Flurry stapfen. Knietief. Einmal, zweimal, dreimal trete ich das Kickerpedal gegen einen gummiartigen Widerstand. Dann feuern die ersten drei Zündungen aus den drei asymmetrisch angeordneten Schalldämpfern. Noch einmal trample ich mit voller Wucht: Teng – Teng – Teng. Tangtangtang – Tatang. Aggressiv pustet die Kawasaki H1 massive Rauchschwaden in den Hinterhof.

Die Kawa lässt den Hinterhof im dichten Rauch zurück

Die ersten Gesichter zeigen sich hinter den Scheiben des Wohnblocks. Weil der leidlich domestizierte Rennmotor erst einmal warmlaufen muss, bevor er sauber Gas annimmt, lasse ich den Dreizylinder weiter im Stand knallen. Standgas kennt er in dieser Phase nicht. Gas auf, Gas zu. Auf, zu. Ein rotgesichtiger Mitsechziger öffnet das Fenster und lamentiert irgendetwas. Ich verstehe nichts. Nach einer gefühlten Viertelstunde greife ich zur Kupplung, zerre mit aller Macht an dem zierlichen Hebel, bis dieser gegen massiven Widerstand in Richtung Lenker klappt.

Das Simple Fahrwerk hält mit der explosiven Motor-Charakteristik nicht mit. Mehr Terror geht nicht.

Ich drehe den Motor scheppernd auf 4000 Umdrehungen und lasse die Brutalokupplung langsam kommen. Möööööp – nichts passiert. Kurz vor dem Absterben ziehe ich die Kupplung erneut. Zum Glück kann ich den Rotnasigen vor lauter Nebel nicht mehr sehen. Noch einmal mit 5000 Touren – neben mir schlägt klirrend eine Blumenampel ein – einschleifen und nach einem kurzen Verschnaufer lässt die Kawa den Hinterhof im dichten Rauch zurück.

Kawasaki H1 500 – Nur nicht zu viel Gas geben

Blitzschnell ist der rote Bereich erreicht, schalten – 1 – 2 – schalten. In dem kleinen Leistungsfenster nur nicht zu viel Gas geben, hatte mich Kawabesitzer Cord gewarnt, sonst steigt die heißblütige 500er sofort gen Frühjahrshimmel. Wie fährt man eigentlich einen solchen Motor warm? Im stetigen Kampf, die richtige Drehzahl zu treffen und nicht zu wenig und zu viel Gas zu geben, schlängle ich mich rauchend und lärmend durch den Stadtverkehr.

Kontaktlose Zündanlage – Der schlitzgesteuerte Zweitakter darf schon elektronisch zünden

Ich changiere zwischen Sehnenscheidenentzündung, Atemnot und finalem Herzrasen und ich erfahre, dass die ersten H1 die schärfsten Steuerzeiten und damit die höchste Leistung hatten. 60 PS und ein nutzbares Drehzahlband von vielleicht 2500 Umdrehungen. Nach und nach hatte Kawasaki ein Einsehen und zähmte den Zweitakter ein wenig. Den Ruf des Witwenmachers verband man da allerdings längst mit der kompakten 500er.

Bei hohen Geschwindigkeiten neigt das Biest dazu sich aufzuschaukeln

Das simple Fahrwerk hält mit der explosiven Motorcharakteristik nicht Schritt. Die H1 setzt in Kurven auf, wackelt und steigt ständig. Und bei hohen Geschwindigkeiten neigt das Biest dazu sich aufzuschaukeln, hatte mir Cord erzählt und auf die dürre 36er-Gabel seiner frühen 1968er – eine der ersten – H1 gezeigt. BT45-Bereifung, Ikon-Stoßdämpfer und Wirth-Federn versuchen die Fahrwerkschwächen ein wenig zu kurieren und sind die einzigen Abweichungen der perfekten H1 des Hamburgers zum Serienzustand. Freund Locke hatte das Bike vor Jahren restauriert und dabei selbst im Detail auf Originalität Wert gelegt.

Selbst bei normaler Fahrt wird der Drehzahlmesser zum lebenswichtigen Instrument

Ich rolle auf eine rote Ampel zu, zerre am Kupplungshebel und halte den giftigen Triple mit kurzen Gasstößen am Leben. Bäääng, Tangtang. Mehr Terror geht nicht. Keine noch so dumpf ballernde Harley vermag die Umwelt so zu nerven, wie diese kleine weiße Kawa. Das Fenster des neben mir stehenden Opel Astra surrt nach oben. Die Fahrerin schüttelt demonstrativ den Kopf. Bäääng!

 

Dirk Mangartz