Besonders beim Fahrwerk tief stapeln. Oberste Regel von Punk Kyle, der eine abgerittene Honda CB 750 zum goldenen Gral schmiedete

Der Feind des Guten ist ja nicht das Böse, wie uns der Papst und Hollywood glauben machen wollen, sondern das Bessere. Und das entsteht bekanntlich aus den Mängeln des Guten. Ist fürs Bürgerhirn natürlich heftig, denn wer möchte schon ein Guter mit Fehlern sein?

Böser Typ mit goldenem Herz

Dann doch lieber der perfekte Böse, der mit dem schwarzen Hut, dem Totenkopfring am gestreckten Mittelfinger und Tätowierungen zum Kindererschrecken. Ein harter Sohn der Anarchie, ein TV-Serienheld mit Grammy – also auch wieder irgendwie gut. Scheiße. Wer sich nun nicht in den Werbepausen des veralteten Schwarz-Weiß-Sehens à la Schorsch Doppelwhopper Bush und Kabáb al Kaida konsumgerecht verblöden lassen möchte, der reitet am besten allein in den Sonnenuntergang. Keiner für alle.

Die Welt ist so simpel wie dieser Tiefstapler: Alles kommt irgendwann wieder, es geht bevorzugt grade aus, und wenn’s nicht brummt, liegt man einfach in der Sonne. Das ist die Weltherrschaft

Kyle Morley aus New Jersey ist so einer. Ein Eigenbrötler und Künstler, der sich wie van Gogh lieber ein Ohr abschneidet als sein Ehrgefühl. Während sich die meisten Amerikaner ihr Lieblingsmotorrad im Laden kaufen und es dann mit allerlei verchromten Donuts zum Custombike pimpen, zog Kyle sich eine runtergerittene 1979er Honda an Land. Kaum das Richtige zum Angeben, und voll unpatriotisch. Dafür ganz auf seiner Linie als früherer Punkrocker.

Honda CB 750 – Originalheimer müssen ganz stark bleiben

Kyle zerrte also die Japanerin in seine Garage und riss ihr allen unnützen Klimbim vom Leib, um sie im Netzhemd mit Goldkante wieder auferstehen zu lassen. Der original Rahmen ist abgeschnitten, mit verlängertem und gerecktem Lenkkopf. Bei der Gelegenheit wurde gleich ein Einzelsattel angehängt und die Schwinge um gut 15 Zentimeter verlängert, mit verschweißtem Schutzblech.

»Für Kyle war die CB 750 kaum das Richtige zum Angeben. Außerdem voll unpatriotisch. Dafür ganz auf seiner Linie als früherer Punkrocker«

Erst geteilt und dann mit eingezogenem Falz wieder zusammengefügt, zeigt es nun Rückgrat, das sich im alten Sportster-Tank aus der Krabbelkiste fortsetzt. Stummellenker an die Seriengabel, Traktorlampe montiert – und schon ist die Linienführung vollständig. Wer braucht mehr fürs Ego?

Luftfederung fürs Heck

Kyle findet nicht mal die damaligen ComStar-Räder, aus gepresstem und verschraubtem Blech, seiner unwürdig. Seidenmatt geschwärzt, wie Motor und Tauchrohre, und schon hat’s mehr Hot Rod Spirit als jede künstlich auf Old School getrimmte Katalogware. Ins Fahrwerk investiert hat er an anderer Stelle: beim Scott’s Lenkungsdämpfer und der hinteren Luftfederung. Die hat Kyle selbst konstruiert, unter Verwendung zweier Minikompressoren, verbunden mit einem eigenen Druckluftzylinder.

Die mehrteiligen ComStar-Räder stammen vom Original

Gespart hat der US-Boy dafür wieder am Auspuff. Vier glatte Rohre für vier Zylinder, einfache Rechnung. Etwas mehr Arithmetik enthält der Einlass, mit jetzt zwei dicken Mikunis und Gabelung zu je zwei Zylindern. Ansonsten ist das 750er-Aggregat mit zwei obenliegenden Nockenwellen innerlich unverändert, sowieso kräftiger und zuverlässiger als jede AME-Harley jener Tage.

Honda CB 750 in Gold

Geschaltet und eingebremst werden die 75 Pferde über eine Pedalerie aus Messing. Deren matter Glanz findet sich in den Pinstripes wieder, die sich über das glitzernde Farbkleid der Honda legen. Angezogen hat ihr das alles natürlich alleine Kyle, handgewebt im Grundton Pagan Gold Candy.

Drehfreudig und zuverlässig: Als kleiner Bruder des Bol d‘Or-Motors verfügt der Doppelnocken-Vierzylinder der CB 750F über vergleichbare Qualitäten

Abschließend verziert mit der Symbolik seiner Lebensphilosophie auf düsterem Seidenmatt, hat er so seinen ganz persönlichen goldenen Gral gefunden. Ein wirklicher Son of Anarchy, dieser Punk aus New Jersey, der keine Herrschaft akzeptiert, nicht mal die eines dominierenden Stils, geschweige denn die eines Club-Präsers. Und so gibt Kyle abschließend klar zu verstehen: »I want to thank no one.«

 

Stephan H. Schneider