Mehr Einzelstück geht nicht – oder kennt ihr noch eine Harley-Davidson Sportster, die sich auf 26-Zoll-Räder geschwungen hat?

Als Niels Freitag dem TÜV-Mann von seinem Plan erzählt, reagiert der recht entspannt. »Mach mal«, sagt der Prüfer, er kennt den Niels. Der schraubt nämlich schon seit 30 Jahren an Motorrädern, viele AWOs waren dabei, auch einige Harleys, die typische Schrauberkarriere eines Mannes aus dem Osten. In Kleinmachnow lebt Niels und frönt seinem Hobby: Motorräder bauen. »Klar, ich wäre gerne Kfz-Schlosser geworden, aber im Osten konntest du dir das ja nicht aussuchen.«

In den USA sieht Niels eine Big-Wheel-Sporty und ist fasziniert

Über Umwege wird Niels das, was er heute ist: Vermessungsingenieur, vermutlich ein Grund, warum der TÜV-Prüfer gelassen bleibt. Denn wenn Niels erzählt, dass er eine gewöhnliche Harley auf richtig große Räder stellen will, setzt das eine gewisse Rechenfähigkeit voraus. Die Idee kommt vor ein paar Jahren, in den USA sieht Niels eine Sporty auf eben jenen angestrebten 26-Zoll-Rädern und ist fasziniert. Er kauft ein Basismotorrrad, Ratstyle, schon ziemlich dran rumgestrickt. Aber die will zum großen Plan einfach nicht so recht passen. »Ich habe das Teil zu einem guten Kurs wieder verkauft, aber mir gleichzeitig geschworen, das Ding jetzt richtig anzugehen und durchzuziehen«, erzählt der Schrauber.

Geradeausfahrt muss man schon mögen: Die gewaltigen Kreiselkräfte der 26-Zöller sorgen für störrisches Einlenkverhalten

Er entscheidet sich für die Forty-Eight als Basis, eine Bedingung hat er, das Baujahr muss vor 2014 liegen. »Ich wusste nicht, wie das mit dem ABS funktionieren soll, wenn ich die Radgröße dermaßen ändere, daher durfte die Ausgangsbasis eben kein ABS haben«, erklärt er. Und findet schließlich eine passende Sporty, die sogar schon in Gold-Flake-Sonderlackierung glänzt. Niels will möglichst viel vom Ursprungsbike beibehalten und trotzdem die Optik krass verändern. Er montiert lediglich eine neue Auspuffanlage, der Motor bleibt original. Und dann schlägt die Stunde des Vermessungsprofis.

Harley-Davidson Sportster mit Southern-Motorcycle-Rädern

Dass die Gabel ein Rake braucht, damit die Räder frei drehen können und nicht am Motorblock scheitern, ist klar. Das Motorrad wird also exakt vermessen, mittels CAD-Technik errechnet sich Niels, dass ein Rake von fünf Grad reichen würde, um freie Fahrt zu gewährleisten. Die entsprechenden Gabelbrücken kommen von JOS, das reicht als Maßnahme. Tauch- und Standrohre dürfen auf wundersame Weise nämlich original bleiben. Danach geht es an die Beschaffung der Räder, nur eine Firma in Deutschland hat 26-Zoll im Programm, »zu einem Wahnsinnspreis«, wie Niels erklärt. Er schaut sich in den USA um und findet dort schließlich die passenden Räder und Felgen, produziert von Southern Motorcycle in Oklahoma.

Durch den vergrößerten Abrollumfang der Räder ergibt sich eine längere Endübersetzung

Die passenden Weißwandreifen muss er ebenfalls in den Staaten ordern. Dort, wo die Bagger beliebt sind, wird der Monster von VeeRubber eben auch in der riesigen Version im Oldschool-Look angeboten. Die Schwinge der Forty-Eight muss Niels aber selbstverständlich ändern, letztlich entsteht aus zwei Schwingen eine. Beide werden an je einem Ende gekürzt, mit Vollstahl ausgefüllt, neu verschweißt und gepulvert. Kurze progressive Federbeine machen das Gesamtbild perfekt. Auch hier alles abgesprochen mit dem Prüfer, ebenso wie der extrem gekürzte Heckfender, der natürlich nicht wirklich was verdeckt.

Europaweit die einzige Harley-Davidson Sportster mit 26-Zöllern

Die Bremsanlage blieb original, lediglich die Scheiben ersetzte Niels durch schwimmend gelagerte von Zodiac. Ein paar Kleinigkeiten wie Griffe, Lampen und Blinker und das Riesenrad ist fertig. Niels ist durchaus zufrieden mit seiner Konstruktion und auch wir können uns dem Bike kaum entziehen. Denn auf wundersame Weise harmoniert die ganze Geschichte, je länger man sie betrachtet, richtig gut. Damit kommt aus Kleinmachnow die wohl europaweit einzige Sportster auf 26-Zöllern, irgendwie cool.

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.