Eigentlich mag Stephan Simon Trikes nicht unbedingt. Auch nicht, als die Idee, eines zu bauen, konkret wird. Unter dem Einfluss von reichlich Heidelbeerwein stimmt er dem Vorhaben trotzdem zu – es hat sich gelohnt. Vorhang auf für den Harley-Davidson Flathead im KH55-Trike.
Als die Idee das erste Mal – im wahrsten Sinne des Wortes – auf den Tisch kam, war Simon nicht begeistert. Es war im Sommer 2016, als er sich mit Freunden, darunter Lackierer und Pinstriper Chiko, am Fuße des Schwarzwaldes traf, um in Richtung Hochmoor zur Grünhütte aufzusteigen.
Heidelbeerwein sorgt für merkwürdige Eingebungen
Mit letzter Kraft in der Hütte angekommen, erlag die Truppe sofort eingangs erwähntem Heidelbeerwein und das Thema Trike war plötzlich das präsenteste in der Runde. Chiko, alter Rat-Fink-Pinsler und großer Fan von Big Daddy Ed Roth, hatte, vom Wein enthemmt, die Eingebung, ein Trike haben zu wollen.
Bauen sollte es ihm Simon, der anerkannte Bikebuilder. »Natürlich keines, wie man es von so Latzhosen-Strohhut-Typen kennt, sondern einen Chopper im Stil von Ed Roth«, erinnert der sich. Nach noch mehr Wein und ein paar Maultaschen wurden die ersten Entwürfe mit dem Fingernagel in den Biertisch geritzt, der Gehirnwurm war aktiviert. Der Abstieg von der Hütte erfolgte übrigens mit der Seilbahn – Kräfte schonen, denn es würde noch anstrengend werden.
Gut, wenn man die gegenseitigen Vorlieben kennt
Schon früher hatten Simon und Chiko mit dem »Mr. Crowley Chopper« ein gemeinsames Projekt zu Ende gebracht, man kannte die gegenseitigen Vorlieben und war deshalb positiv gestimmt. Es dauerte trotzdem noch viele Monate, bis die Gedanken echte Formen annahmen und ein reales Bild, zumindest im Kopf, entstanden war.
Erst im Dezember 2017 begannen die eigentlichen Arbeiten. Als Antrieb fiel den Männern der Motor eines Harley-KH-Modells von 1955 in die Hände, den ihr gemeinsamer Freund Andy Nieminen von Flying Choppers aus Finnland noch in seinem Schuppen stehen hatte.
Harley-Davidson Flathead – 900 Kubik und reichlich Hub
Die KH mit seitengesteuertem Flathead und knapp 900 Kubik ist ein fast vergessenes Modell der Company und taucht in der heutigen Customszene kaum noch auf. Zwar ist der Vorläufer der heutigen Sportster ein unscheinbares Motorrad, allerdings geht es mit dem längsten Hub, den Harley je serienmäßig gebaut hat und viel Drehmoment voran.
Zu den finnischen Kontakten gesellten sich holländische, um das Grundmaterial zu vervollständigen. Guus Hoogland von VG Motorcycles baute einen Rahmen nach den Vorstellungen, die Simon und Chiko ihm durchgaben. Auch die schmale Achse, die die zwei benötigen würden, lieferte er. Und er schmälerte die originale Harley-Springergabel auf ein Innenmaß von neun Zentimetern.
Harley-Davidson Flathead – Harter Weg bis zum Trike
Bis zur »Art & Wheels« in Basel, wo das Trike im das erste Mal gezeigt werden sollte, waren es zu diesem Zeitpunkt nur noch drei Monate. »Wer sowas noch nie gemacht hat, kann sich kaum vorstellen, was das für eine Arbeit ist«, erklärt Simon, »vom ersten Blick ins Röhrenlager zum fertigen Fahrzeug ist es ein harter Weg, der vollen Einsatz erfordert.
Jeder Schritt will wohl überlegt sein, wenn das Design am Ende stimmig und die Funktionen mit dem Fahrer harmonieren sollen.« Drei Wochen vor der Show stand das komplette Fahrgestell und der Motor war fertig überholt. Die Gabel war eingebaut, der Tank zerschnitten und flacher geworden.
Harley-Davidson Flathead – Harte Auspuff-Nuss
Als besonders harte Nuss erwies sich der Auspuff, der vorn die originale 2-1 Version behielt und unauffällig nach hinten laufen, im Aufbau verschwinden und über die Achse wieder ins Freie führen sollte. Was bei den Plänen allerdings nicht beachtet wurde – beim Anpassen der Rohbogen im offenen Fahrgestell war keine Blechverkleidung vorhanden. Wie sich später herausstellte, konnte das einteilige Stück nach Anbringung der Blechverkleidung nicht montiert werden. Ein Tag Arbeit für die Katz, nachbessern notwendig.
Wie der Bau der Auspuffanlage war auch der des Lenkers aus Ein-Zoll-Rohr eine Arbeit, die in Simons Werkstatt ganz oldschool und ohne Hilfe von Maschinen ausgeführt wurde. Zunächst wurde dazu ein Modell aus Draht angefertigt, das die neutrale Phase simuliert.
Den Lenker mit Quarzsand gefüllt und glühend gebogen
Dann wurden die Winkel und Geraden festgelegt sowie die Rohrlängen ermittelt. Die beiden Rohrstücke wurden mit Quarzsand gefüllt und glühend über einer einfachen Vorrichtung gebogen. Augenmaß ist bei diesem Job alles. Und gute Freunde wie Volker, der Stephan beim Bau des Lenkers half. »Allein ist das nicht zu schaffen«, ist der Bikebuilder dankbar.
Auch diese Aktion hatte einen kompletten Arbeitstag in Anspruch genommen – es wurde immer knapper und bis zu diesem Zeitpunkt war noch kein Stück Blech im Aufbau. Und GFK kommt für einen wie Stephan nicht in Frage. Auch die Blecharbeiten führte er von Hand aus, mit Trennschleifern und Blechhämmern. Der Zuschnitt der Bleche erfolgte nach Papiervorlagen und der Formgebung direkt am Fahrzeug.
Customflash – Sechs Flaschen Argon 4,6 in drei Tagen durchgezogen
Danach wurde alles verschweißt. Simon versucht zu erklären: »Wer schon mal sechs Flaschen Argon 4,6 in drei Tagen durchgezogen hat, der weiß von was ich rede. Wenn du dann nachts am TIG-Gerät sitzt und eine Stange Schweißzusatz nach der anderen verbrauchst, es ist still und du arbeitest konzentriert, da stellt sich so was ein wie, ich nenne es mal Customflash. Du versinkst in Zufriedenheit und Glück.« Für die Lackierung und Endmontage bleiben noch zwölf Tage Zeit.
Chiko saß bereits auf glühenden Kohlen, bis Simon ihm das Fahrgestell endlich brachte. Sofort wurde losgelegt. Der verschmälerte Tank wurde direkt auf den Rahmen geschweißt und verzinnt, um eine klare Linie ohne Übergänge zwischen Rahmen und Tank zu erreichen. In unglaublichen sechs Tagen war alles geschafft und Chiko hatte die Lackierarbeiten abgeschlossen.
Harley-Davidson Flathead – Just in time
Sogar die Zeit, um zwischendurch eine Sitzplatte anzufertigen, fand er. Die passende Polsterung kam aus der Werkstatt von Clare von Stitch. Zurück im Schrauberquartier, noch sechs Tage, Simon erinnert sich ein letztes Mal: »Ich kann gar nicht aufzählen, was alles schiefging, doppelt und dreifach gemacht oder angefertigt werden musste. Aber was soll ich sagen, am Vorabend der Ausstellung um Viertel nach acht habe ich die Bustür geschlossen, 55KH war fertig und abfahrbereit.«
Info | simonscustom.de
Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.