Billy Lane war einst einer der erfolgreichsten Customizer weltweit. 2006 begeht er einen schwerwiegenden Fehler. Von Aufstieg, Fall und dem Kampf zurück

Anfang der 2000er Jahre – Billy Lane ist Bikebuilder, kreativer Kopf und Freigeist, aber auch wilder Partylöwe mit Hang zum Exzessiven. Unvergessen sind der legendäre Biker-Build-Off gegen Mike Brown von Amen Motorcycles und ihr Streit um das nabenlose Rad sowie die Episode gegen seinen Freund Indian Larry, an deren Ende die beiden, zum Leidwesen der Produzenten, den Build-Off-Pokal auseinanderschneiden, weil keiner den anderen als Verlierer sehen will.

Billy Lane – die wilden Jahren

Es sind die wilden Jahre des neuen Millenniums. Custom Motorcycles, wie sie in den Staaten heißen, sind so angesagt wie nie zuvor und nie wieder danach. Fernsehsender wie der »Discovery Channel« produzieren eigene Serien, lassen Stars aufgehen, um sie wieder fallen zu lassen. Einer davon ist Billy Lane, dem das Fernsehen Ruhm verschafft und ihn einer breiten Masse bekanntmacht.

Billy pflegte eine ganz eigene Formensprache, verschmolz alte und moderne Technik zu aufregenden Kreationen und zeigte immer wieder mal auch Bikes im Vintage-Style, seiner heimlichen Leidenschaft

Er ist ein echter Typ –  kantig, unverwechselbar, kettenbehangen, mit Rastalocken und die meiste Zeit mit freiem Oberkörper zu sehen. Eine gewisse Unantastbarkeit umgibt ihn, bis zu jenem verhängnisvollen Tag im September 2006. Billy Lane ist mit seinem Pick-up-Truck unterwegs, irgendwo in Florida.

Ein schwerwiegender Fehler

In einer Überholverbotszone versucht er, an einer Autokolonne vorbeizuziehen und übersieht einen entgegenkommenden Motorradfahrer. Der Biker wird getötet, Lane und seine Beifahrerin bleiben unverletzt. Die eintreffende Polizei stellt bei ihm Alkoholgeruch fest und bringt ihn auf die Wache. Es ist der Anfang vom Ende des Shootingstars der Customszene.

In Indian Larry hatte er einen Seelen­verwandten gefunden. Unvergessen ihr Biker-Build-Off-Finale im Jahr 2003

Es folgen Blutalkoholtests, Untersuchungen, die Anklage. Er kommt in Untersuchungshaft, wird gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt. Drei Jahre wird es dauern, bis das Verfahren abgeschlossen ist. Die zuständige Staatsanwaltschaft will Härte zeigen, da Lane selbst Motorradfahrer ist und bereits zuvor wegen Trunkenheitsdelikten und rücksichtslosem Fahren aufgefallen war.

Sechs Jahre Haft für Billy Lane

Sie fordert eine Haftstrafe von nicht weniger als fünfzehn Jahren wegen Totschlags. Eine fahrlässige Tötung will sie nicht erkennen. Am 14. August 2009 wird Lane schuldig gesprochen. Nur aufgrund der schlampigen Blutabnahme und Fehler in der Beweisaufnahme fällt die Strafe geringer aus als gefordert.

Billy Lanes wilde Jahre und so wie man ihn kannte. Neben der Schrauberei frönte er dem Partyleben und ließ keine Gelegenheit aus, auch abseits der Piste vollgas zugeben

Das Gericht setzt eine Haftstrafe von sechs Jahren fest, dazu eine anschließende dreijährige Bewährungszeit sowie den lebenslangen Entzug der Fahrerlaubnis. Billy Lane akzeptiert das Strafmaß und geht nicht in Berufung. Die meisten der alten »Freunde« werden ihn in den kommenden Jahren fallen lassen. Nicht so der Fotograf Michael Lichter, der Lane im Gefängnis besucht und während der Zeit nach der Haft begleitet hat. Von ihm stammen auch die Fotos in diesem Artikel.

Der neue  Billy Lane

Im September 2014 wird Lane aus der Haft entlassen, wir treffen ihn einige Monate später. »Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens«, zugegeben,  der Spruch ist ziemlich abgedroschen, doch Billy Lane ist genau dessen Verkörperung. Jeden Morgen um sechs Uhr steht er auf, stemmt Eisen, trainiert und widmet sich erst dann seinen zahlreichen Projekten. »Ich bin heute viel kräftiger als mit zwanzig auf dem College.

Ausgleich zum Gefängnisalltag: endlich wieder kreativ sein und mit seinen Händen etwas erschaffen können

Im Bank-drücken schaffe ich inzwischen über 150 Kilo und dreißig Klimmzüge kriege ich auch noch hin. Nicht schlecht für einen alten Mann, oder? Ich lebe für meine Familie, meine Arbeit und möchte möglichst lange gesund und glücklich bleiben. Da bleibt nicht viel Zeit für andere, belanglose Sachen.«

Die Liebe zu alten Harleys

Billys knapp 300 Quadratmeter große Werkstatt, die man übrigens nur auf Einladung besuchen kann, ist vollgestopft mit allerlei Werkzeug, antiquierten Harleys, Indians, ein paar Crockern und Hendersons sowie einer Reihe von Motorradmarken, von denen kaum jemand gehört hat. Alte Motoren, die man durchaus als Museumsstücke betrachten könnte, liegen verstreut über Werkbänke und Regale, selbst der Boden ist voll davon.

Die Air-Force-Knucklehead durfte Billy im Rahmen einer Wohltätigkeitsveranstal­­­­tung bauen. Der Gefängnisdirektor Alan Chapman wusste um seine Fähigkeiten und ermöglichte diese abolut einmalige Sache. Ansonsten war Billy Lane im Gefängnis eine Art Hausmeister und zuständig für Reparaturen aller Art

Viele Motorräder befinden sich im Stadium der Fertigstellung, zahlreiche Bobber warten auf Auslieferung, zusammen mit der nabenlosen Shovelhead »King of Hearts«, die Billy im letzten Jahr seines Gefängnisaufenthalts gebaut hat. Alles in allem ziemlich erstaunlich, wenn man bedenkt, dass dieser Raum vor noch nicht einmal achtzehn Monaten ein leeres Lagerhaus war.

Retro Customs aus Florida

»Ich mache Verschiedenes, wie zum Beispiel Customchopper, von denen ich ein paar für Kunden und einen für mich und meine Frau Erin aufbaue. Aber auch Bobber, Boardtracker, Flattracker und natürlich jede Menge individuelle Arbeiten. Viele meiner Kunden tragen eine Art Leere in sich und ich fülle sie. Wenn sie etwas wollen, was kein anderer macht, ich mache es.«

»Die antiken Racer sind nichts neues für mich. Ich besitze viele davon schon seit Jahren. Meine hatte ich lediglich versteckt, da sich keiner dafür interessierte«

Billy bezeichnet seine neuen Bikes als »Retro Customs«. Es handelt sich überwiegend um Motorräder, die aussehen, als stammten sie direkt aus den 20er, 30er oder 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Vieles macht Billy in Handarbeit. Es sind diese Dinge, die man eben nirgends kaufen kann. Seine Inspiration bezieht er dabei aus den Anfängen des Motorradmotorsports.

»Ich habe eine lange Reise hinter mir«

Auf das tragische Ereignis aus dem Jahr 2006 angesprochen meint Billy rückblickend: »Ich war fünf Jahre und einen Monat im Gefängnis. Davor war ich drei Jahre gegen Kaution auf freiem Fuß. Nach der Entlassung begann die Bewährungsfrist. Im September lag dieser schreckliche Unfall 17 Jahre zurück. Kurz gesagt, ich habe eine sehr, sehr lange Reise hinter mir.«

Im Gefängnis hat man viel Zeit zum Nachdenken – über falsche Entscheidungen, über Vergebung und über Schuld, die sich nicht abtragen lässt und die dich ein Leben lang begleiten wird. Deine Persönlichkeit verändert sich und du musst dich entscheiden, wer du sein willst

Während seines Gefängnisaufenthaltes musste Billy arbeiten. Das Rechtssystem in Florida erwartet von seinen Strafgefangenen, dass sie Wiedergutmachung leisten. Also wird er der Werkstatt zugeteilt und kümmert sich um Wartung und Reparaturen aller Art, was in dem altertümlichen Gefängnis nicht selten vorkommt.

Die Arbeit im Gefängnis

Das feuchtwarme Klima Floridas begünstigt auch dort den Korrossions- und Alterungsprozess bei Maschinen und Einrichtungen. Von Küchengeräten bis hin zu Landwirtschaftsmaschinen ist so ziemlich alles vertreten, was der Aufmerksamkeit des Häftlings Lane bedarf – und Billy muss lernen, seine Aufgaben mit den wenigen, zur Verfügung stehenden Werkzeugen zu erfüllen. 

Billy wurde im Gefängnis unterstützt, um auch dort an Motorrädern arbeiten zu können

Im letzten Jahr seines Aufenthaltes in der »Avon Park Vollzugsanstalt« bietet ihm Direktor Alan Chapman die Gelegenheit, an einer Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten der »Rolling Thunder Veteranen« teilzunehmen, die den Bau eines Custombikes zum Ziel hat. Eine einmalige Chance für Billy, seine Fähigkeiten in den Dienst einer guten Sache zu stellen.

Fotograf Michael Lichter dokumentiert Lanes Leben während der Haft und danach

Mit der armselig ausgestatteten Gefängniswerkstatt eine enorme Herausforderung, die ihm alles abverlangt, um die Air-Force-Knucklehead in weniger als fünf Monaten fertigzustellen. Und wieder ist es Michael Lichter, der Billy dabei auf seine Art unterstützt. Er ergattert einen zweitägigen Besucherausweis und kann Billy beim Bau des Motorrades fotografieren.

Nach seiner Entlassung arbeitete Lane akribisch an seinem Comeback

Trotz der Ablenkung durch den Bau des Air-Force-Bikes hat Billy im Gefängnis viel Zeit über die zurückliegenden Ereignisse nachzudenken. »Nach allem, was ich durchmachen musste, gibt es nicht mehr viel, was mir Angst macht. Ich habe eine Art Furchtlosigkeit in mir, die auch zu meinem geschäftlichen Erfolg beiträgt.

»Es ist mir egal, ob Leute mögen, was ich mache«

Außerdem habe ich keine Angst zu versagen und werde auch in Zukunft nicht damit anfangen.« Und im Hinblick auf die Motorräder, die er mittlerweile baut: »Es ist mir auch egal, ob Leute das mögen, was ich mache oder nicht, ich mache es trotzdem. Es ist in vielen Bereichen das, was ich früher auch gemacht habe und was die meisten am Anfang nicht verstehen wollen, aber schließlich doch verstehen.«

Mit seiner Frau und seinen Kindern hat der ruhelose Customizer so etwas wie Frieden gefunden

Viel ist passiert in den Jahren, in denen Billy im Knast sitzt. Die Welt hat sich verändert. Der »Wall Street Crash« beginnt zwei Jahre nach dem Unfall, der wirtschaftliche Niedergang der amerikanischen Custom-industrie kommt, nachdem er bereits hinter Schloss und Riegel ist.

Konzentration aufs Wesentliche

»Ich erinnere mich, dass ich alles wie von der Seitenlinie aus betrachtete. Leute schrieben mir Briefe oder schickten mir Bücher und Magazine. Ich stellte fest, wie sie von 200 Seiten auf 90 Seiten schrumpften und wunderte mich, wohin dieser oder jener Customizer verschwunden war.« Billy ist praktisch entkoppelt, denn es gibt während der Zeit im Gefängnis weder E-Mail noch Zugang zum Internet. Das bedeutete: Keine Sozialen Medien, genau in jener Zeit, als diese förmlich explodieren und die Welt erobern.

Im Gefängnis entstand ein komplettes Custombike

Über die Zeit vor dem Gefängnis reflektiert er: »Ich habe viel Geld verdient, war aber gleichzeitig auch für viele Menschen verantwortlich. Das brauche ich jetzt nicht mehr. In Bezug auf mein Geschäft bin ich nun wesentlich schlanker und konzentriere mich viel mehr auf das Wesentliche. Ich bin damals an einen Punkt gekommen, an dem alles andere wichtiger war.

Fokus auf saubere Motorräder

Das ganze Reisen, das Drumherum und all die anderen Sachen, die ich gemacht habe. Natürlich habe ich mich auch hauptsächlich um die Motorräder gekümmert, aber nicht so, wie es hätte sein sollen. Jetzt will ich einfach nur noch eine saubere und vor allem gute Arbeit abliefern.« Und genau das ist es, was er jetzt macht, er ist fokusiert auf Motorräder.

Boardtracker sind die neue Leidenschaft von Lane

Nach seiner Freilassung kann er endlich anfangen, seine Vorhaben umzusetzen: »Während der Haft und danach habe ich mich sozusagen regeneriert und für mich definiert, wer ich bin – als Person und als Geschäftsmann.«

Der bessere Billy Lane

Er strahlt, als er erzählt: »Manchmal muss ich nach einer erledigten Arbeit kurz innehalten. Dann denke ich, wow, ich hab’s wieder mal geschafft. Außerdem lebe ich nicht mehr wie die Made im Speck, das mit dem großen Geld ist vorbei. Meistens arbeite ich 60 bis 70 Stunden die Woche, aber ich liebe, was ich mache. Ich möchte einfach eine bessere Version des alten Billy Lane werden. Ja, ich bin erwachsen geworden und benehme mich endlich auch so. Ich muss nicht mehr das sein, was die Leute unbedingt in mir sehen wollen. Ich bin, wer ich bin.«

Mit solchen Bikes wurde Billy Lanes »Choppers Inc.« einst legendär

Ein wichtiger Moment in seinem neuen Leben war die Hochzeit mit seiner langjährigen Freundin Erin und die Geburt des ersten gemeinsamen Kindes. »Ich habe eine tolle Frau, die trotz der vielen Wochenenden, an denen ich arbeite, Verständnis für mich hat.« Erin hat Billy auf den wenigen Reisen, die ihm die Bewährungsauflagen gestatten, begleitet.

»Freiheit, die ich brauche«

Einen Großteil der Arbeit verbringt Billy mit der Restaurierung alter Motoren. Es ist sozusagen der Kern dessen, was er die letzten eineinhalb Jahre gemacht hat. Sein Ansatz: »Ein großer Motor mit gesunder Basis, diesen aufbauen und drumherum ein fantastisches Bike gestalten. Mit all den Freiheiten, die ich brauche.«

Der Knucklehead-Chopper zu Ehren der amerikanischen Air Force entstand im Gefängnis

Inzwischen hat Billy an zahlreichen 1937er und 1944er Indians Zylinderkopf und Ventiltrieb umgebaut, aber auch an einer alten Harley-Davidson RLD 45“ von 1934 sowie einer Einzylinder CB500. Bei vielen Motoren hat er zum Teil fünfzig Prozent mehr Leistung herausgekitzelt. Dieses Motorentuning erinnert stark an Al Crocker und Andy Koslow, die vor fast einem Jahrhundert Ventile nicht mehr stehend, sondern hängend (Overhead) eingebaut hatten.

Begnadete Techniker als Inspiration

Für Billy und seine Umbauten mit offen liegenden Ventiltrieben sind diese begnadeten Techniker Vorbild und Inspiration zugleich. »Ich möchte einfach solche verrückten Sachen machen, von denen du gar nicht weißt, was es ist, unbedingt haben willst, und am Ende auch noch glaubst, dass das früher tatsächlich so gebaut wurde.« 

Eine der Aufnahmen, die Fotograf Michael Lichter im Gefängnis machte

Inzwischen lag Billys Fokus auf seinem bisher wahrscheinlich größten Projekt: Die »Sons of Speed«-Rennserie, die erstmals während des Daytona Biketoberfestes 2016 ausgetragen wurde. Zum ersten Rennen hatte Billy zwölf Rennfahrer eingeladen, die in der  Zweizylinder-Klasse mit 1000 ccm antraten.

Ein Rennen über Monate

Gefahren wurde mit alten Indians, Harley-Davidsons, Excelsiors, einer Reading Standard oder Perry Mack auf dem neuen New Smyrna Speedway. Die Boardtracker erreichten dabei Geschwindigkeiten von 80 bis 100 Meilen. Für Billy selbst wurde das zu einem mehrere Monate dauernden Rennen, in dem er acht von den zwölf Teilnehmer-Bikes fertigstellen musste.

Bad Boy mit Rastalocken, so war Billy früher in der Szene bekannt. Lane selbst sagt: »Diesen Mann gibt es nicht mehr.«

Da blieb keine Zeit für Sturgis und andere Veranstaltungen, schließlich mussten die Motoren aufgebaut, Rahmen geschweißt, Getriebeübersetzungen ausgetüftelt und letztlich alles rennfertig zusammengebaut werden.

Die offizielle Rückkehr

Der Renntag in Daytona wurde Billys offizielle Rückkehr. Als die Rennfahrer auf den von ihm gebauten Maschinen an den Zuschauern vorbeiflogen, war seine Leidenschaft für die Motorräder und den Sport spürbar. Hier wurde der neue Billy Lane geboren. Der Mann, der sich von der Erwartungshaltung anderer Menschen und dem Gefängnis befreit hat.

Info | facebook.com/ChoppersInc/

 

 

 

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