Die frühen Tage der Chopper in Hamburg. Wir begleiten Michi Wegener – zurück in die Welt eines noch sehr jungen Chopper-Jüngers

Apple Valley liegt im San Bernardino County, im Staate Kalifornien. Michael Wegener wohnte hier bis zu seinem Tod vor knapp einem Jahr. Und er verbrachte – wie so oft – den Abend in seiner Werkstatt. Diese Schrauberbude war der Unterstellplatz seiner Motorräder, aber vor allem Aufbewahrungsort zahlreicher Schätze: Klassisches Zubehör für Chopper. Gesammelt in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts.

Chopper waren mausetot

Michi verdiente sein Geld mit dem Handel von seltenen Autos. Die mussten aber erst mal gefunden werden. Bei seinen Streifzügen kam er eben auch an Motorradwerkstätten vorbei und die füllten ihm schon mal einen Kofferraum mit Peanut-Tanks, Megaphone- und Trumpet-Auspufftöpfen, Bates-Lampen, Wassell-Fenders, Lenkern und anderem Zeug – alles NOS – für einen Zehner oder Zwanziger. Der Chopper, im Stil wie Michael ihn liebte, war Mitte der Achtziger in den USA mausetot. Niemand wollte mehr das alte Zeug.

Butsche Wegener mit seinem Goldstück in der Hamburger Rushhour. Anfangs wusste niemand so richtig wie ein Chopper auszusehen hat. Das Idealbild eines Choppers kristallisierte sich erst über die kommenden Jahre heraus

Später konnte er beim Aufbau eines 60er-Jahre-Choppers aus diesen New Old Stock Parts schöpfen. Schon lange überfällig war die Überarbeitung seiner Triumph, die er liebevoll »Miss Kitty« nennt. Ja genau, die Miss Kitty, die einst in der Dezember-Ausgabe 1971 des Big-Bike-Magazins auf dem Cover abgebildet war. Der Ex-Hamburger hatte den Chopper gleich nach seiner Immigration 1984 gekauft. Seine Optik musste immer wieder Zeitströmungen mitmachen und nun soll wieder die ganz lange Springergabel rein. Beim Herausziehen aus dem Regal zeigte das schwere, vollverchromte Gebilde Widerstand. Ein Ruck, noch einer und noch mal, dann plötzlich gab sie nach. Mike verlor das Gleichgewicht, er stürzt. Die Springergabel traf ihn am Kopf – reglos blieb er am Boden liegen.

Erinnerungen an wilde Zeiten

Stand ihm der Sprung von der Klippe bevor? Sollte er schon damals ins Nirwana der Chopper-Fahrer übergehen? Wegener lag unbeweglich. Aber seine Gedanken – sie regten sich wieder: »… bringt amerikanische Auto- und Motorradhefte im Haus … mein Vater … Polizist. Sein Revierbereich … er kann dort internationale Presse kaufen … das macht Sinn … Mein alter Herr und ich fahren sonntags zum Sandbahnrennen … immer Aktivitäten mit Motorrädern … nahe des Berliner Tors zeigt mir Vater die Harley-Davidson Vertretung von Georg Suck … In den US-Motorradzeitschriften sind Kleinanzeigen für Motorräder … auch solche, wie ich sie noch nie gesehen habe … mit zum Himmel hochragenden Auspuffrohren, seltsam gestalteten Lenkern und langen Vordergabeln … hinten manchmal schmale, gepolsterte Lehnen … das Einzige, was dem nahekommt, sind Bananensättel … kann man jetzt für Fahrräder kaufen. Dazu gibt’s im Fahrradladen Rückenlehnen und hohe Lenker … lange Züge musst du dir selber machen … Meterware und Schraubnippel. Ich bin zwölf …!«

Der gute alte Papa Wegener: Trotz seiner Tätigkeit als Ordnungshüter stand er immer zu 100 Prozent hinter seinem Sprössling

Mikes Gedanken festigten sich. Aber es waren die Gedanken des jungen Michis – sie steckten fest in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre. »Ein Nachbar gibt mir seine alte 250er-Adler. Ich bringe sie wieder zum Laufen … bloß das Zweitaktgekreische, … nein, das ist kein Chopper-Material. Mein Garelli-Mofa auch nicht.

Tausend Fragen und null Wissen

Ich fange an zu suchen, mache Erkundungsfahrten durch Hamburg … finde Michael Krechs Horex-Motorräder. Mit einem Mal werden die kleinen Bilder aus den Amiheften Wirklichkeit … Unglaublich: Die schwarze BSA dort, lange Gabel, Cobra-Sitz. Und die rot-gelbe Horex mit der roten Stufensitzbank. Die Horex gehört Jan Paulsen; Krech sagt, das ist ein bekannter Fotograf. Ich bin 15 … ich bin oft da. Für 250 Mark verkauft mir Krech eine 350er Horex Regina. Ich hänge bei ihm im Laden herum … tausend Fragen und null Wissen … Krechs Geduld … danke.

Die beste BMW ganz Hamburgs. Selbst der große Bruder aus den USA konnte es nicht besser

Entlang der Rodigallee auf dem Weg zu mir nach Hause in Barsbüttel ist Schierhorns Eisdiele. Schräg gegenüber steht ein Einfamilienhaus mit Tiefgarage. Meine Kodak-Instamatic-Kamera ist dabei … die rote BMW wird aufgenommen. Von jetzt an fahre ich da immer vorbei. Ich bin in das Motorrad verliebt wie in das Mädel in der Schule … nur, die treibt es mit dem Physiklehrer. Sind beide für mich unerreichbar … aber ich tu mein Bestes, um meine Horex schön zu machen.

Chrom sponsored by Oma

Ich mähe Rasen, um Geld zu verdienen … Vater unterstützt mein Chopper-Abenteuer … Oma spendiert willig Geld für Chrom und Zubehör … Sie meinen, mich dadurch unter Aufsicht beschäftigen zu können … von der Straße und schlechten Einflüssen fern zu halten. Wenn die wüssten … Ich seh’ Paulsens Horex bei dem Haus in der Rodigallee stehen. Schnell aus dem Bus gesprungen … Jan Paulsen kenne ich ja. Er stellt mich dem Besitzer der BMW vor: »Butsche« Wegener! Der baut gerade seine BMW in der Tiefgarage um. Immer wieder zieht es mich zu Butsches Haus … Bilder machen.

Yesterday and today. Michi mit seiner Horex Mitte der 70er

Praktisch jeder, der eine schwarze Lederjacke besitzt, wird von den Erwachsenen Rocker genannt. Die Lederjacken und -hosen gibt’s bei der Firma Erdmann in St. Pauli am Ende des Kiez’ an der Reeperbahn. »Rocker« ohne Fahrzeug lungern in den U-Bahn-Stationen. Die mit Hochlenker-Kreidler und Rückenlehne kommen sonntags am Vormittag zur Matinee zum 50er Jahre-Kino Harmonie entlang der Wandsbeker Marktstraße Gegenüber ist das Rex, ein wunderbares Kino … spektakuläres Interieur … das Rex bringt die esoterischen Filme zur Matinee, das Harmonie eher die US-Biker-Filme … davor geparkte Kreidler-Rocker-Mopeds … der Beweis. Beim Jungfernstieg, ein wenig die Straße runter, ist das Streits-Kino.

Chopper entlang des Steindamms

Das einzige Kino, das zur Matinee US-Filme unsynchronisiert in der Originalfassung zeigt: »Easy Rider« … der Film überhaupt! … »Zabrisky Point«, »Five Easy Pieces« … Ich liebe die Morgenaufführungen … sehe »Electra Glide in Blue« im Savoy-Kino, in Hamburgs zweitem St. Pauli am Steindamm … die Chopper-Show entlang des Steindamms … besser als der Film. Filmpremieren und Musikkonzerte in Hamburgs Musikhalle bringen die Chopper heraus. Die Verlängerung der Rodigallee ist die Jüthornstraße und da ist ein altes, großes Krankenhaus mit einem mehrstöckigen Neubau, direkt an der Straße. Am Wochenende sind da immer Chopper geparkt. Ich nehme an, dass einer der Freunde im Krankenhaus ist und man die Chopper vom Zimmer aus sehen kann. Da ist kein Eingang und es macht sonst keinen Sinn, dort zu parken, wo sie stehen.

Michis Werkstatt heute in Kalifornien. Immer noch so verrückt und aktiv wie früher – auch im digitalen Zeitalter

»Wehret den Anfängen«, ein Chopper-Hassartikel im Heft MOTORRAD … Arno Schodrowski und andere Chopper-Fahrer sind angestachelt. Die gründen den German Chopper E.V. … halten wöchentlichen Stammtisch ab. Nicht alles im MOTORRAD ist schlecht … eine winzige Anzeige sagt: »Chopper-Info hier«  … Ich antwortete und bekomme eine fotokopierte Seite aus »Ed Roth´s Choppers Magazine« … Instruktionen wie man das aus Amerika abonniert auf der Rückseite … danke, ja das mache ich.

Der beste BMW-Chopper Hamburgs

Ich habe die Telefonnummer von dem Besitzer einer BMW … weiß nicht mehr von wem, …egal. Die BMW fuhr an mir vorbei … sie faszinierte mich so … Ich kann jetzt beim »Sunny« oder so anrufen … er meint, ich soll vorbeikommen … darf auch Bilder machen. Ich nehme die Instamatic mit … es ist nahe der Stein-Hardenberg-Straße in Hamburg-Tonndorf und der Besitzer heißt »Blondi«. Okay, klingt ähnlich … ist auch amerikanisch … sein Chopper … ich bin überwältigt: Der beste BMW-Chopper in Hamburg! Sehr detailliert und extrem viel Eigenbau. Auf dem Parkplatz beim Sandbahnrennen am Friedrich-Ebert-Damm, wo immer Chopper stehen, kann ich Blondis Motorrad nochmal ablichten … mit der neuen Minolta.« Mike hat sich im Koma fast zu seinem siebzehnten Lebensjahr vorgearbeitet.

Abstecher Hamburg

»In Hamburg gibt es nur eine Lackiererei die Candy Apple Paint machen kann. Die ist in der Vizelinenstraße. Alle guten Bikes werden da lackiert. Da war ich noch nie. Nach einer endlosen Bahn- und Busfahrt in Hamburgs Norden bin ich endlich da. Ich geh rein und sehe Sportster-Tanks … Ich will ja nur mal schauen und habe noch nichts zu lackieren dabei. Martin Günter, der Besitzer ist nicht sehr nett zu mir. Trotzdem spare ich all mein Geld. In dem kleinen Ort Strib auf der Insel Fünen in Dänemark haben wir Verwandte.

In Schweden sind sie schon weiter

Dort gibt es im Kiosk das schwedische Start & Speed Magazin, das tolle Autos aber auch immer ein oder zwei Chopper zeigt. Manchmal habe ich Glück und ich kann auch die Custom-Zeitschrift Colorod aus Schweden kaufen. Hier ist die Szene schon weiter, hier kann ich sogar Chopper-Zubehör bestellen. Meinen aus Schweden von »Roffes’ Kustom Delar« importierten Low-Tunnel-Sportster-Tank und den Horex-Rahmen lasse ich in der Vizelinenstraße in Candy blau lackieren.

Abstecher Hamburg

Eine teure Lehre … mein Horex-Chopper ist fertig zusammengebaut aber Tank sowohl Rahmen haben so viele Macken und Schrammen, dass ich alles nochmal lackieren lassen muss … ich kriege das Kennzeichen OD-JT 8, es ist groß wie ein Kuchenblech … vorerst fahre ich noch ohne Führerschein.

Hamburg, Rocker-Hochburg

Hamburg ist DIE Rocker-Hochburg. Wir haben den Rocker-Pastor, der für die Jungs immer Disco-Abende veranstaltet … dann wird jemand da erstochen … ist das alles nicht mehr so lustig … bin enttäuscht … auch, dass unsere Rocker nicht so aussehen, wie die Biker in meinen US-Heften. Bei Wegner auf dem Hof sehe ich den ersten Bloody Devil … bin mächtig beeindruckt … er hat eine richtig amerikanisch aussehende Jeans-Weste mit abgeschnittenen Ärmeln an und hintendrauf ein MC-Color wie im Film.

Abstecher Hamburg

Hartwig wohnt bei uns im Dorf … er ist Kunde bei der Versicherungsagentur meines Onkels …. hat immer große Geschichten … vom Rockfestival auf der Insel Fehmarn, von wilden Schlägereien … Dann setzt er seine BMW frontal in den Omnibus der Linie 263. Hartwig selber schlägt ganz tot in der letzten Bussitzreihe auf … ich lerne die Bedeutung von Karma … dafür bin ich ihm für immer dankbar … may you rest in peace, Hartwig.«

Von wegen Nirwana

Mikes Englisch drängte sich in den Vordergrund seiner Gedanken. Er kam zu sich, schlägt die Augen auf. Von wegen Nirwana … Hier lag er auf dem Boden in Kalifornien; entsann sich, was passierte. Erinnerte sich an seine Jugend in Hamburg, wie anders damals alles war: Fast kein Verkehr und parken mit dem Bike auf dem Gehweg; ganz ohne Probleme. Wo die Sandbahnrennen am Friedrich-Ebert-Damm stattfanden, ist heute alles zugebaut.

Abstecher Hamburg

Hamburgs Chopper-Szene wechselte zur Club-Szene und die BMW- und Horex-Eigenbauten verschwanden. Hamburgs Bloody Devils – früh bekannt durch den Fernsehfilm »Rocker«, wurden Deutschlands erstes Hells Angels Charter. Seine Horex verkaufte er an einen reichen Sohn für damals unglaubliche 4000 Mark. Das erlaubte ihm, mit Vaters Hilfe eine 67er Electra-Glide als Bausatz für 6500 Mark von Georg Suck zu kaufen.

Bilder für die Ewigkeit

Jan Paulsen traf Michi noch mehrmals später in der Szene und dann auch in Los Angeles. »Butsche« Wegner, der eigentlich Bernd Wegener (mit »e« hinterm »g«) heißt (und somit möglicherweise weitläufig mit Michael verwandt ist), wurde Schlagersänger, nahm 1977 am Schlagerfestival in Kerkrade/NL teil und trat später sogar in Dieter Thomas Hecks ZDF Hitparade auf. Mike »Michi« Wegener starb im September letzten Jahres. Mit ihm ging einer der Chronisten der Chopperkultur, seine Bilder aber bleiben für die Ewigkeit.

 

 

Horst Heiler
Freier Mitarbeiter bei CUSTOMBIKE Magazin

Jahrgang 1957, ist nach eigenen Angaben ein vom Easy-Rider-Film angestoßener Choppaholic. Er bezeichnet sich als nichtkommerziellen Customizer und Restaurator, ist Mitbegründer eines Odtimer-Clubs sowie Freund und Fahrer großer NSU-Einzylindermotorräder, gerne auch gechoppter. Als Veranstalter zeichnete er verantwortlich für das »Special Bike Meetings« (1980er Jahre) und die Ausstellung »Custom and Classic Motoräder« in St. Leon-Rot (1990er Jahre). Darüber hinaus war er Aushängeschild des Treffens »Custom and Classic Fest«, zunächst in Kirrlach, seit 2004 in Huttenheim. Horst Heiler ist freier Mitarbeiter des Huber Verlags und war schon für die Redaktion der CUSTOMBIKE tätig, als das Magazin noch »BIKERS live!« hieß. Seine bevorzugten Fachgebiete sind Technik und die Custom-Historie. Zudem ist er Buchautor von »Custom-Harley selbst gebaut«, das bei Motorbuch Stuttgart erschienen ist, und vom Szene-Standardwerk »Save The Choppers!«, aufgelegt vom Huber Verlag Mannheim.