Perfekte Technik, eine meist fließende Formensprache – doch es ist noch etwas anderes, was japanische Custombikes über das Normalmaß hinauswachsen lässt. Nämlich, dass sie allen Konventionen widersprechen. Diese BMW R nineT ist ein schönes Beispiel dafür.
Jedes Jahr im Dezember lassen wir uns von der japanischen Mooneyes-Show inspirieren, von der Perfektion der dort ausgestellten Motorräder und von der Liebe japanischer Customizer zu Technik und Design.
Die Liebe japanischer Customizer zu Design und Technik
Zugegeben, die meisten der gezeigten Bikes sind für uns hier in Europa unerreichbar fern. Nicht, weil wir sie nicht bauen könnten, sondern vielmehr, weil sie hier niemals zulassungsfähig wären. Showbikes sind es dennoch nicht, ihre Fahrbarkeit stellen sie nach dem Event vielfach unter Beweis.
So auch die BMW von Kengo Kimura, die uns fast durchgerutscht wäre, weil sie so unprätentiös zwischen all den bunt blinkenden Choppern stand. Aber eben nur fast, denn der genaue Blick auf den Boxermotor offenbarte uns ein Motorrad, das nicht nur hervorragend gebaut ist, sondern auch jedes Schubladendenken in die Tonne tritt.
BMW R nineT Pure – Retro-Bike mit Stil
Irgendwie ist es eine Art Bobber, der aber auch diesen klassischen Hauch amerikanischer und britischer Motorräder hat. »Ein Retro-Bike mit Stil, so würde ich es nennen«, beeilt sich Kengo Kimura, Meisterschrauber bei Heiwa Motorcycles, zu erklären, »ein Stil, den du sonst nie findest.
Schon gar nicht auf dieser Basis.« Recht hat er, denn der genaue Blick offenbart eine BMW R nineT Pure und die wird umgebaut tatsächlich in neunzig Prozent aller Fälle ihr Dasein als Scrambler oder Cafe Racer fristen.
BMW R nineT Pure – Das Beste aus beiden Boxerwelten
Nun ist Kengo das BMW-Thema nicht ganz fremd, bereits zwei Jahre zuvor hatte er eine R nineT zum Scrambler umgebaut und auch seine wunderschöne R 75/6 stand schon in Yokohama. Es scheint, als hätte er sich diesmal das Beste aus beiden Boxerwelten gegriffen.
Den modernen, potenten Motor gepaart mit der Optik eines Bobbers, für den freilich eine komplette Neukonstruktion des Fahrwerks nötig war. Der Rahmen entsteht als eine Art modulares System. Kengo entnimmt aus dem Original Stücke, die er nicht braucht, und ersetzt sie durch eigens gebaute.
BMW R nineT Pure – Der Heckrahmen ist eine Eigenkonstruktion
Durch das Ersetzen der Oberzüge erreicht er so zum Beispiel eine flache, gestreckte Optik. Der Heckrahmen ist eine Eigenkonstruktion, die gleichzeitig als Auspuffhalterung dient. Oberhalb befindet sich eine Art Schlaufe mit direkter Blinkeraufnahme. Abgerundet wird das Heck durch einen Custom-Fender mit aufgeschraubtem Heiwa-Original-Rücklicht und Kennzeichenhalter.
Weniger umgebaut geht es am Frontend zu, die originale Gabel wird gekürzt und mit neuen, kurzen und progressiven Federn ausgestattet. Auch der Lenker ist nur halb japanisches Werk, denn immerhin sitzt das Heiwa-Teil auf den originalen Risern – Kengo bietet ihn als Zubehörteil an.
Die Avon Speedmaster sind als typische Bobberreifen gesetzt
Die großen Räder geben entscheidende optische Impulse, Aluminiumfelgen von Excel wurden dafür auf die BMW-Naben gespeicht, die Avon Speedmaster sind als typische Bobberreifen gesetzt. Bemerkenswert übrigens, dass Kimura die Serienbremsanlage der R nineT übernimmt, und hier nicht auf fremde Parts zurückgegriffen hat.
Als weiteres Highlight dürfte der selbst gebaute Tank gelten, der sich nahtlos in die neue Rahmenform integriert. Kengos handgefertigte Karosserie setzt sich mit einer Reihe von Custom-Verkleidungen und einem neuen vorderen Kotflügel fort.
Unter dem Tank verbirgt sich ein Großteil der benötigten Elektrik
Besonders cool auch der große seitliche Aluminiumspoiler, der aussieht wie ein Zubehör-Gussteil. Ist er nicht, sondern von Hand gefertigt, jede Finne einzeln aufgeschweißt. Unter dem aufwendigen Teil verbirgt sich übrigens ein Großteil der benötigten Elektrik.
Viele weitere Details erschließen sich erst auf den zweiten Blick, wie die vernickelte Doppel-Auspuffanlage, der Serientacho im Eigenbaugehäuse, Ölkühler und Bremsschlauchverbindung, die er direkt am Rahmen montiert hat, der verzierte Tankdeckel und vieles mehr. Überhaupt ist die »Bull Face«, wie Kengo seine Kreation letztlich getauft hat, erneut ein ziemlich großer Wurf, und einmal mehr der Beweis dafür, dass sich japanisches Customizing nicht in irgendwelche Schubladen stecken lässt.
Info | heiwa-mc.jp
Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.
Nicht so schön. Handwerklich zwar einwandfrei, aber Designtechnisch nicht meins 🤷🏻♂️