Es fällt schwer, Bryan Fullers Honda CB 550 der Straße zuzuordnen, wo sie doch auch einem Museum gut zu Gesicht stehen würde.

Manchmal ist es ein schmaler Grat zwischen Custombike und Kunstwerk. Einer der größten Customizer unserer Zeit, Shinya Kimura, sagt gar: »Ein umgebautes Motorrad ist immer auch Kunst.« Und in welche Kategorie soll man Bryan Fullers Honda CB 550 auch sonst stecken, als in die eines Kunstwerkes?

Honda CB 550 – Glasklarer Cafe Racer

Obwohl wir das Schubladendenken eigentlich verdammen und gerade dieses Motorrad zu machtvoll für jede Kategorisierung ist. Auf der einen Seite steht vor uns ein glasklarer Cafe Racer, auf der anderen Seite ein Werk, das ganze sechs Jahre brauchte, um vollendet zu werden.

Arbeiten wie den punzierten Sattel oder die umwickelten Griffe werden von Meistern in Japan gefertigt. Das Zentralfederbein ist dagegen moderne amerikanische Ware und stammt von Fox

Shogun, der Anführer aller Samurai, Show Gun, die Waffe, die auf jeder Bikeshow dieser Welt stechen würde. Aus diesem Wortspiel erdachte und designte Bryan Fuller »ShoGun«, das als Meisterstück des Bikebuilders den genauen Blick zwingend notwendig macht.

Honda CB 550 – Die Harley-Gemeinde rümpft die Nase

2008 kauft der Metallspezialist Bryan eine Honda CB 550, nichts Besonderes, aber sie läuft ganz gut. Cafe Racer interessieren die Szene damals, gerade in den USA, nur am Rande. Und die treue Harley-Gemeinde rümpft die Nase, als der Customizer aus Atlanta auf der Honda durch ihre Treffen pflügt.

Bis ins Detail reicht die drei­dimensionale Arbeit des Graveurs Tay Herrera. Bei filigranen Ornamenten und schwer zu bearbeitenden Flächen wie den Bremsscheiben kann er nicht mit der Maschine arbeiten. Hier muss er die Bilder, die Totem schuf, mit Sticheln aufs Metall auftragen. Die roten Akzente werden wiederum in Bryans Werkstatt gesetzt

»Ein bisschen anti war ich schon immer, ich nahm mir also einen Stift und ließ Freunde, Fremde und Leute, die ich während der Touren mit der Honda kennenlernte, auf den Oberflächen des Motorrades unterschreiben oder ihre Zeichnungen draufkritzeln.

Es ist eine lustige Zeit, die Bryan nachhaltig beeindruckt

Ihnen war gar nicht bewusst, dass sie damit eine Art rollendes Kunstwerk schufen – bei dem es plötzlich nicht mehr wichtig war, ob es eine Harley ist oder nicht.« Es ist eine lustige Zeit, die Bryan nachhaltig beeindruckt. Er sinniert weiter: »Was wäre, wenn aus einem Motorrad ein Kunstwerk würde, dem sich keiner entziehen kann.

Dem Motor der kleinen CB verpasst Bryan Fuller eine neue Vergaseranlage, den Rahmen überzog er komplett mit Chrom. Trotzdem, ohne die künstlerischen Arbeiten seiner Partner wäre dies nur ein ganz normaler Cafe Racer

An dem die Menschen nicht einfach vorbeigehen könnten, sondern das sie zwingen würde, zu verweilen und einzutauchen?« Die alte japanische Zeichenkunst fasziniert den Customizer außerdem und so schmiedet er einen Plan.

Die Metallarbeiten sollten leicht gelingen

Er weiß, die Metallarbeiten, das Schaffen eines besonderen Motorrades wird ihm, dem Experten in Sachen Metallbearbeitung, leicht gelingen. Doch zwei Mitstreiter würde er für seinen Plan noch brauchen. Der erste nennt sich »Totem«, ist Graffitikünstler und eng mit der japanischen Kultur verwoben.

Nach ihrer Fertigstellung wurde die »ShoGun« auf der Skin-and-Bones-Ausstellung des amerikanischen Motorradfotografen Michael Lichter erstmals einem großen Publikum gezeigt. Die Ausstellung hatte den kreativen Einfluss der Tätowierkultur auf die Motorrad­kultur zum Thema

Der zweite, Tay Herrera, ist ein Meister der alten, traditionellen Gravierkunst. Bryan gewinnt beide für seine Idee und stellt von vornherein klar: »Es ist egal, wie lange die Arbeit an dem Motorrad dauern wird.«

Der Honda-Four wird von Grund auf neu aufgebaut

Bryan geht den normalen Weg des Bikebuilding, den Reihenvierer der Honda gibt er in die Hände von John Kaase. Der Spezialist für Rennmotoren baut das Aggregat von Grund auf neu auf und treibt ihn auf immerhin 600 Kubik.

Schon während der Aufbauphase hat Bryan die völlige Straßentauglichkeit seiner Honda immer wieder unter Beweis gestellt. Zahlreiche Videos, die das beweisen, findet ihr im Internet. Lasst euch deshalb nicht von der Kunst blenden, dieser Samurai ist ein geborener Kämpfer

Währenddessen kümmert sich Bryan mit seinem Team um Fahrwerk und Einzelteile. Wann immer es die knappe Zeit des Designers, Fahrzeugbauers, Fernsehmoderators und Autors – Bryan veröffentlicht regelmäßig Bücher über die Kunst der Metallbearbeitung – zulässt, arbeitet er an »ShoGun«.

Fließende Formen mit sauberen Rundungen

Herzstück wird ein Fuller-Moto-Chrom-Rahmen samt Schwinge aus der eigenen Manufaktur, alles in fließenden Formen mit sauberen Rundungen. Auch Tank, Sitzbank, Höcker, Lenker, Lampeneinfassungen und vieles mehr entstehen in Atlanta. Nur wenige Teile wie den Fox-Dämpfer oder die Speichenräder lässt Bryan von anderen Spezialisten kommen.

Wenn wir auch nur den Hauch einer Ahnung von japanischer Hochkultur hätten …

Und so ist die Honda zwar ein komplett handgefertigtes Einzelstück, aber eben an diesem Punkt noch austauschbar mit den vielen wunderbaren Cafe Racern dieser Welt. Dabei baut Bryan alle Parts nur, um sie auf größeres vorzubereiten. Stück für Stück Metall wird einzeln in ein Kunstwerk verwandelt, es gibt keine Ausnahmen.

Die Geschichte japanischer Hochkultur auf einem Motorrad vereint

Totem, der Künstler, trägt traditionelle Zeichnungen auf die Einzelteile auf. »Geisteskrank, wahnsinnig«, sagt Bryan, den Blick voller Anerkennung für ein Meisterwerk, das die Geschichte japanischer Hochkultur auf einem Motorrad vereint. Vom Künstler gehen die Teile nach Kalifornien, zum Handwerker.

… würden wir Euch gerne erklären, was es mit den dreidimensionalen Kunstwerken auf sich hat

In einer unfassbaren Arbeit verwandelt Tay Herrera Totems eindimensionale Vorgaben in dreidimensionale Kunstwerke. Teilweise graviert er mit der Maschine, teilweise mit Handsticheln, wenn die Fläche zu klein, die Arbeit zu filigran wird. Sechs Jahre nach Baubeginn ist »ShoGun« fertig gestellt und erstmals präsentiert. Die Besucher der »Skin and Bones«-Ausstellung, die den Zusammenhang von Motorrad- und Tätowierkultur am Beispiel zahlreicher Exponate zeigt, sind begeistert.

Im Traum nicht annähernd so gut wie in der Realität

Nie zuvor hat die Motorradwelt eine solche Arbeit gesehen. Für Bryan Fuller ist es die Erfüllung eines Traumes und seines Herzensprojekts. »Ich habe ShoGun oft in meinen Träumen gesehen. Sie war dort niemals auch nur annähernd so gut wie in der Realität.«

Info | fullermoto.com

 

 

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.