Wo Simon wohnt, geben Kurven den Ton an. Da kommt ein Scrambler gerade recht, denn Kurven wetzen gelingt mit seiner Harley-Davidson Sportster besonders gut.

München, Viktualienmarkt, eine kleine Seitengasse: Hier befand sich bis vor einigen Jahren das »Heiliggeiststüberl«. Eine Institution, oldschool Kneipenkultur im besten Sinn. Chefin Bobby führte das Etablissement 40 Jahre lang, am Eingang klebte ein Harley-Schild. Dann musste das Stüberl schließen, weil Platz gebraucht wurde für etwas »Besseres«, den Münchner Hipstern angemessen. Wir sind Szene, wir kennen sowas auch, wir finden es schade. Doch tatsächlich ist ein Stückchen Stüberl erhalten geblieben – Bobbys Harley, eine XL 1200. Als die Kneipenwirtin, damals 69 Jahre alt, nach einem Unfall nicht mehr fahren konnte, verkaufte sie ihr Motorrad.

Hochbeinig und grobstollig präsentiert sich die Sporty. Wäre ja schön, wenn Harley sowas in Serie bauen würde

Simon hieß der Käufer, und der schätzte die Institution des Stüberls, aber fand die Harley grausig. »Die hätte ich so niemals fahren wollen«, gibt er zu Protokoll. Nun ist Simon ein erfahrener Umbau, für die Sportster sollte es definitiv sportlicher werden. Zumal der Umzug nach Österreich und die Straßen dort ihm einen Scrambler quasi aufs Auge drückten, »damit fährst du hier am besten.« Bevor der Rest der Sporty dran glauben musste, war ihr Tank dran. Überhaupt war er es, der den Umbau erst notwendig machte. Angie, weiblicher Lackierlehrling, brauchte eine Übungsarbeit für ihre Ausbildung. Simon gab ihr seinen Tank, das Mädel zauberte einen Mix aus silbernem Metalflake, Blattgold-Ornamenten und verschiedenen Lasuren auf die Oberfläche.

Zunächst im Fokus der Klassiker – Ballast abwerfen

Blöd nur, dass der Rest des Bikes nun so gar nicht mehr passte, Umbau beschlossene Sache. Um der Sportster die Sportlichkeit einzutreiben, braucht es nicht viel. Der Originalmotor ist angriffslustig genug, wer dazu das Gewicht leicht hält, wird mächtig Spaß damit haben. Entsprechend waren am Motor selbst keine Änderungen notwendig. Auch optisch reichen gezielte Handgriffe und Arbeiten aus. Zunächst im Fokus der Klassiker, Ballast abwerfen. Alles Unnötige wurde entfernt, auch die grausigen Anbauteile, die Bobby hinterlassen hatte. Der Heckrahmen wurde gekürzt, die Federbeine entsprechend dem anvisierten Scrambler-Look ausgewählt: Progressive Suspension ist das Stichwort.

Progressive Federn sind für sportliche Umbauten ideal, bieten sie doch auch bei Unebenheiten besten Fahrkomfort. Der Heckrahmen wurde brutal abgefranzt

Die hohe Supertrapp-Anlage passt außerdem prima zum gewünschten Stil, der kleine Hitzeschild aus Messing ist handgefertigt und dient einem simplen Zweck. »Da ist ’ne Delle im Auspuff, auch deshalb hab ich den Schild drüber gemacht«, grinst Simon. Die Fender baut er aus Aluminium selbst, den Werkstoff wählt er, um Gewicht zu sparen. Hinten gibts ein modernes LED-Rücklicht, vorn funzelt es hinter Gittern aus dem Scheinwerfer. Damit wären die wichtigsten Teile des minimalistischen Umbaus schon genannt.

Harley-Davidson Sportster als Scrambler mit Stollenpneus

Ach eines noch, die Reifen. Bei einem Treffen hockt Simon abends mit den Jungs von W&W aus Würzburg zusammen, dabei wird auch die Reifenfrage erörtert. Die Spezialisten raten zu Stollenpneus von Bates. Simon folgt dem Tipp und ist hochzufrieden. »Die fahren sich super«, lässt er uns wissen. Mit relativ wenig Aufwand hat der Bayer die Sportlichkeit aus der Sportster gekitzelt, was selbst Münchner Hipstern gefallen dürfte. Warum nochmal baut Harley eigentlich keinen Scrambler?

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.