Basierend auf der Scrambler, suggeriert die BMW R nineT Urban mit dem legendären Zusatz G/S Tauglichkeit auf jedem Terrain. Dagegen aber sprechen nicht nur die ab Werk aufgezogenen Straßenreifen.

Legendär ist ihr Namensvorbild. Die 1980 erschienene R 80 G/S war nicht nur der Beginn einer unglaublichen Erfolgsgeschichte, sie war auch der Prototyp aller Reiseenduros – im Gegensatz zu denen aber wahrhaft geländetauglich. Ein hehrer Anspruch, dem die Neue schon wegen ihrer knappen Federwege nicht entsprechen kann.

BMW R nineT Urban G/S – ein Blender?

Den Vorwurf, ein reiner Blender zu sein, kann Münchens bisher letzte 9T-Variante mit ihrem Vornamen »Urban« nur schwer entkräften. In der Stadt und auf Landstraßen allerdings, ist sie mit ihrem grundsätzlich leichten Handling, einem großzügigen Lenkeinschlag und einem dank aufrechter Sitzposition guten Überblick ein Genuss.

Dezent verpackt aber doch nicht zu übersehen: Der Ölkühler des luft-/ölgekühlten Flat-Twins

Wie die 9T Scrambler, auf der sie basiert und von der sie lediglich optisch abweicht: durch die schmale Lampenverkleidung, den hochgezogenen Kotflügel, ihren Single-Schalldämpfer und nicht zuletzt die nostalgische Lackierung mit der typischen roten Sitzbank. Als Gesamterscheinung wirkt das ein bisschen knubbelig, etwas aus der Form gekommen – wie ich, gäbe es Weihnachten zweimal hintereinander, und wie das Paris-Dakar-Sondermodell mit seinem riesengroßen Tank, das 1984 als Hommage an BMWs gewonnene Wüstenrallye erschien.

BMW R nineT Urban G/S als moppeliges Rallyeschwein

Die schlanke G/S verwandelte sich hier in ein leicht moppeliges Rallyeschwein. Ein Zug, den die Urban G/S ­optisch ­herüberrettet. Mit 850 Millimeter Sitzhöhe thront man auf ihr am höchsten im 9T-Reigen, was neben Federwegen und 19-Zoll-Vorderrad, die sie sich mit der Scrambler teilt, an ihrer höheren Sitzbank liegt. Eine niedrigere Variante senkt sie wieder auf die von der Srcambler gewohnten 820 Millimeter.

Das 19-Zoll-Vorderrad auf schwerer Kreuzspeichenfelge macht das Handling träge

Für 455 Euro Aufpreis fährt die Urban auf eleganten Kreuzspeichenrädern mit Schlauchlosreifen, ein Muss, will man sich optisch einigermaßen ans Vorbild halten und tatsächlich auch mal ins Gelände fahren. Allerdings beeinflussen die auch die Handlichkeit. Zwar ist das Vorderrad mit 19-Zoll-Gussfelge nur rund 300 Gramm leichter als die Kreuzspeichen, doch die scheinen kreiselkraftintensiv ganz außen auf dem Felgenring zu sitzen, denn sie beeinflussen das Handling dramatisch. Weniger beim lockeren Rollen, dafür aber umso intensiver, wenn es mit richtig Fahrt durch Wechselkurven geht und es gefühlte Minuten dauert, bis das Rad aus der einen über den Berg in die andere Schräglagenrichtung hineingehievt ist.

Die Federelemente neigen zum Durchschlagen

Standardmäßig wird die Urban mit Metzelers Straßen­pneu Tourance Next geliefert. Für Abenteurer und Dakarträumer gibt’s die kostenfreie Option auf den Grobstoller Karoo 3 aus gleichem Hause. Die sollten sich aber darüber im Klaren sein, dass auch die Grobstoller nichts an durchschlagenden Federelementen ändern können. Nicht umsonst sprechen auch die Münchner nur von »möglichen Einsätzen im leichten Gelände«. Und wer sich dann gar für die sibirische Wüste entscheidet, darf für 215 Euro die obligatorische Griffheizung ordern. Ansonsten ist die Ausstattungsliste eher mau – wie die Serienausstattung auch.

Unverzichtbares Merkmal der Urban G/S ist ihre Lampenmaske. Die ist zwar weiß statt schwarz, erinnert aber dennoch an die alte R 80 G/S Paris Dakar

Geschickt weckt BMW mit dem Design der Urban nostalgische Erinnerungen an die guten alten Zeiten ­vieler gereifter Herren. Denke ich zumindest, denn ich bin ja weder das eine noch das andere. Nostalgie ist jedenfalls in, schließlich propagiert sie nicht nur BMW mit der 9T-Reihe. Offenbar triggern diese Bikes positive kollektive Erinnerungen und damit auch Gefühle in uns, unabhängig davon, ob wir sie indivi­duell nachvollziehen können oder eben nicht.

BMW r nineT Urban G/S – Aufbruch zu neuen Ufern

Ich jedenfalls bin mir dieser „Ach-wie-schön-das-war“-Erinnerungen nicht wirklich bewusst. Daher ist mein Blick auf diese Motorräder auch etwas neutraler, distanzierter. Aber auch mich fasziniert die Vorstellung, von befestigten Straßen durch die Stadt und über Land ohne Zögern auf Schotterpisten einzubiegen. Genau wie die Scrambler verströmt die Urban G/S mit dieser Option eine spannende Atmosphäre des Aufbruchs zu neuen Ufern, zu Abenteuern, zu ­größerer Vielfalt. Und der Fluss? Stellt sich dabei von ganz alleine ein.

 

Fahrwerk
Beim langsamen Rollen handlich, ab Stadtspeed braucht’s einen klar gesetzten Impuls ins 14 Kilo schwere 19-Zoll-Kreuzspeichenrad. Liegt die Urban erst mal in ­Schräglage, läuft sie neutral. Ausgesprochen zäh beim Umlegen in schnellen Wechselkurven, bei kurzem Kurvenabstand fordert der nötige Impuls Kraft und bringt Unruhe ins Fahrwerk mit der weich abgestimmten, nicht einstellbaren Gabel. Das serienmäßige, rund 300 Gramm leichtere Gussrad ist hier eine klare Empfehlung. Federbein in ­Zugstufe und Vorspannung einstellbar, Dämpfung praxisgerecht, spricht aber ruppig an. Bremsen einfingertaug­lich, gut ­dosierbar. Lenk­einschlag großzügig. Testreifen ­Metzeler Tourance Next.

Praxis
Bequem aufrechtes ­Sitzen am breiten Lenker entspannter Kniewinkel. Soziuser­gonomie akzeptabel, aber karge Sitzfläche. Soziusrahmen demontierbar. Einzelschalldämpfer. Statt Gussfelgen hier aufgezogen: die optionalen Kreuzspeichenräder mit Schlauchlosreifen. Lampenverkleidung, hoch montierter Kotflügel, Faltenbälge, LED-Scheinwerfer mit Tagfahrlicht, Tacho mit Bordcompuer, Automatische Stabilitätskontrolle (ASC), Fahrmodi Rain & Road. Alutank optional. ABS abschaltbar, Lenkungsdämpfer. Handhebel einstellbar. Ausstattung ansonsten eher basic: kein Drehzahlmesser, kein Hauptständer. Ölschauglas, Kardan, 10000er-Wartungsintervall.

Emotionen
Die Urban ist nur eine optische Reminiszenz an die glorreiche G/S, weil nicht geländetauglich. Wen das nicht stört, darf Style und Unkompliziertheit genießen.

 

Lucia Prokasky