Erst zeigte man ihr die kalte Schulter, später wurde sie zum Objekt der Begierde für Motorradschrauber weltweit. Kaum ein japanisches Motorrad wird so oft und vielfältig umgebaut wie die Yamaha XS 650. Dabei war ihr Start ins Motorradleben holprig – damals vor mehr als fünfzig Jahren.
Ihr Status ist längst unantastbar. Wenn wir von Kultmotorrädern im Bezug auf die Klassiker der Schrauberszene sprechen, spielt die XS 650 eine der ersten Geigen. Sie ist die japanische Alternative zu den Twins aus England und wird originalgetreu restauriert oder zu Choppern, Bobbern, Cafe Racern – ach, eigentlich allem, was man sich so vorstellen kann – umgebaut.
Die XS-Familie verfügt über einige Modelle, die kleinen 400er oder 500er, aber auch die dicken Kardanschiffe mit 750 bis 1100 Kubik. Aber die meinen wir alle nicht, wenn wir XS sagen, denn die Königin, das ist die XS 650. Punkt. Und tatsächlich markierte sie nicht nur für uns, sondern vor allem für Yamaha einen Meilenstein in der eigenen Motorradgeschichte. Der 650er-Twin war der erste Viertaktmotor, den sie bei Yamaha je gebaut haben, damals 1969.
Yamaha XS 650 – Viertakter nach vorn
Ende der 60er stand es schlecht um Europas Motorradindustrie. Als Nutzfahrzeug hatte das Auto das Motorrad abgelöst, Zweiräder waren nur noch als Freizeitfahrzeuge interessant. Die Stückzahlen waren ein lächerlicher Abklatsch der Vergangenheit und die Konkurrenz aus Fernost nahm bereits Anlauf, den europäischen Markt zu fluten. Nicht nur moderner produzierte man da, sondern auch besser und zu geringeren Kosten. Die Yamaha Motor Corporation, am 1. Juli 1955 gegründet, hatte bis dahin ausschließlich Zweitaktmotorräder gebaut.
1965 schon war Konkurrent Soichiro Honda mit seiner CB 450 in die bisher von englischen und deutschen Herstellern beherrschte Domäne der Sportmaschinen eingedrungen, 1968 legte er mit der legendären CB 750 Four nach. In den USA waren parallel dazu Abgaswerte schon ein Thema, die Zweitakter rückten mehr und mehr ins zweite Glied. Der Trend ging unverkennbar zu größeren Hubräumen und so lag die Marschrichtung für Yamaha auf der Hand: ein Viertaktmotorrad mit hoher Leistung bei möglichst geringem Gewicht sollte es werden, dazu handlicher als Yamahas bisherige Hubraumkönigin, die 350er-YR1.
Ein neuer Motor, aber nicht alles läuft rund
Der neue Twin sollte das althergebrachte Ohv zugunsten des leistungsfreudigeren SOHC-Designs hinter sich lassen. Zum Antrieb der Nockenwelle diente eine zwischen den Zylindern laufende Steuerkette, wie sie Horex Anfang der fünfziger Jahre bei seiner Imperator erstmals zur Anwendung gebracht hatte. Deren Motor wurde später in Japan von der Firma Hosk in Lizenz gebaut und soll von Showa zu einer 650-ccm-Version weiterentwickelt worden sein.
Und weil Yamaha schließlich Showa übernommen hatte, ist seitdem der Verdacht in der Welt, man habe den Motor bei Horex abgekupfert. Yamaha selbst erklärt die Abstammung des Motors anders. Schließlich war man Mitte der Sechziger maßgeblich an der Entwicklung eines Dohc-Reihensechszylinders beteiligt, der ab 1967 Toyotas Sportwagen 2000 GT antrieb – und hatte somit sehr wohl Viertakterfahrung, die man postwendend umsetzen konnte.
Getriebe und Kupplung stammten aus der YR-1
Die offizielle Yamaha-Version nach dem früheren Yamaha-Europa-Manager Ludy E. -Beumer lautet jedenfalls so: Das quadratische Bohrung-Hub-Verhältnis kam inklusive der Kolben vom GT, mit 75 x 74 Millimeter unterschied es sich lediglich durch einen Millimeter Hub. Auch der gesamte Ventiltrieb inklusive aller Dimensionen wurde zunächst als SOHC-Variante übernommen. Weil das Motorrad aber höher drehen sollte, kamen andere Materialien zum Einsatz und der Ventilhub wurde für bessere Zylinderfüllung von 6,5 auf 8 Millimeter erhöht. Getriebe und Kupplung stammten aus der YR-1, wie bei ihr verwendete man eine zweiteilige, gepresste Kurbelwelle.
Um die ungleichmäßigen Zündabstände von 180 und 540 Grad und den daraus resultierenden unrunderen Motorlauf zu vermeiden, wählte man eine Kurbelwellenkröpfung von 360 statt 180 Grad – eine in Sachen Massenausgleich fragwürdige Entscheidung, an die XS-Besitzer noch heute erinnert werden, wenn ihr auf den Hauptständer gebocktes Motorrad mit laufendem Motor plötzlich ans Garagentor klopft. Die Nockenwellen für den GT waren von Toyota designt worden, hier musste man selbst aktiv werden und war erst mal nicht sonderlich erfolgreich: Nur 20 PS soll der Prototypmotor anfangs gehabt haben, landete aber am Ende der Entwicklung bei 53 PS.
Yamaha XS 650 – Very British, dieser Japaner
Als Styling-Referenz für die XS diente übrigens Triumphs Bonneville, sie war das Vorbild, an dem sich die Japaner auch in Sachen Lenkverhalten und Handling orientierten – der Grundstein für die Legende vom britischsten aller Japaner war gelegt. Der erste Prototyp von ingesamt fünf war im Frühling 1968 fertig, im Herbst 1969 stand die XS-1 schließlich serienreif auf der Tokyo Motor Show. Beliefert wurde im Erstlingsjahr vor allem der US-Markt, doch die Verkaufszahlen waren ernüchternd.
Das schwache Fahrwerk konnte die Windgesichter dort ebenso wenig überzeugen wie die Duplex-Trommel im Vorderrad. Schon für 1971 wurden eine Scheibenbremse vorn und ein Elektrostarter nachgerüstet. Diese XS-2 kam nun auch in größerer Zahl nach Deutschland, doch ließ der deutsche TÜV von den 53 Pferden der US-Version nur 35 übrig – ein Flop, den der Importeur bald vom Markt nahm.
Yamaha XS 650 – Überarbeitung mit Hilfe vom Triumph-Mann
Wieder tat Überarbeitung not und ein »Verräter« sollte helfen: Percy Tait hieß der Mann, der mehr als zwanzig Jahre lang in Triumphs Renn- und Entwicklungsabteilung gedient hatte. Er verstärkte unter anderem die Rahmen-Doppelschleife, korrigierte die Geometrie, stimmte das Chassis neu ab und packte eine zweite Bremsscheibe ins Vorderrad. Dank eines neuen Auspuffs leistete der Twin jetzt auch im Lande des TÜV 51 PS. Um die Zeitenwende nach außen gebührend zu signalisieren, musste ein neuer Name her. Und so belohnte die XS 650 endlich auch die Yamaha-Kaufleute fürs Durchhalten – ein bisschen zumindest.
Der ursprünglich erhoffte Erfolg wurde die XS nie. Fast zehn Jahre lang, bis 1984, bot sie ihren Fans Performance, Charakter und Stil, durchlief zahlreiche Entwicklungsstufen und erduldete Anfang der Achtziger sogar die Chopperisierung als Special-Version mit Hochlenker, Tropfentank, Stufensitzbank, Gussrädern und Auspuffstummeln. Ihr Buchstabenkürzel nahm eine ganz eigene Dynamik auf und züngelte wie ein Lauffeuer durchs Yamaha-Programm.
Nur die XS 400 überlebte ihre Namensgeberin
Von 250 bis 1100 Kubik, verpackt in zwei, drei oder vier Zylinder in Reihe, waren unter dem Familiennamen XS die unterschiedlichsten Motorräder im Angebot. Nur eines dieser Motorräder, die XS 400, überlebte ihre Namensgeberin. 1984 ging die 650er ins letzte Modelljahr, sechs Jahre später war dann endgültig Schluss mit dem Kürzel XS.
Erst später wurde die XS zum Kultmoped – mit der Folge, dass man heute für gut erhaltene Exemplare mehr bezahlen muss als für die letzten wirklich neuen.
Guido Kupper
Guido Kupper, fährt praktisch seit seiner Geburt in grauer Vorzeit Motorrad, hat mit dem Schreiben aber erst angefangen, als er schon sprechen konnte. Motorisierte Zweiräder hat er nur acht Stück zur Zeit, Keller und Garagen sind trotzdem voll. Sein letztes Ziel im Leben: Motorrad fahren und mal nicht drüber schreiben
Der Motor wurde „aufgebohrt“erfolgreich im Beiwagen Motocross verwendet.
Ist also genügend Leistung zum shoppen verfügbar 🙂