Bremsen, kein unwesentliches Teil am Motorrad, Lebensretter im Zweifelsfall. In diesem Check klären wir alle Fragen rund um die Scheibenbremsen am Motorrad. Es geht um Aufbau und Funktionsweise, aber natürlich auch um auftretende Defekte, Wartung und Pflege. Und weil wir ein Custom-Magazin sind selbstverständlich auch um Umbau oder Tuning eurer Verzögerer.
Habt ihr euch nicht auch schon mal gewundert, dass ihr es schafft, euch und euren 250-Kilo-Boliden aus voller Fahrt mit nur einer Hand herunterzubremsen? Zauberkraft? Physik! Bevor wir diesbezüglich ins Detail gehen, schauen wir uns einmal an, wie eine typische Scheibenbremse – hier am Vorderrad – aufgebaut ist.
Scheibenbremsen am Motorrad – Aufbau und Funktionsweise
Am Lenker befindet sich die Handbremspumpe, deren Hebel auf einen Geberzylinder mit Flüssigkeitsbehälter wirkt. Von dort führt eine Hydraulikleitung nach unten zum Bremssattel. Dieser enthält einen oder mehrere Bremskolben (auch Nehmerzylinder) und ist mit dem Tauchrohr der Gabel verschraubt. Durch den Bremssattel läuft die Bremsscheibe, die beim Betätigen der Bremse von mindestens zwei Bremsbelägen sprichwörtlich in die Zange genommen wird, indem die Beläge durch die Bremskolben an die Scheibe gepresst werden. Das Ergebnis ist Entschleunigung und Wärme, ähnlich wie in der Sauna!

Ein paar physikalische Grundlagen sind für das vollständige Verständnis unseres Bremssystems aber unerlässlich. Zunächst: Beim Bremsen wird die kinetische (Bewegungs-)Energie des Bikes durch Reibung der Bremsbeläge an der Bremsscheibe in Wärme umgewandelt. Fasst mal nach einer langen Passabfahrt vorsichtig an die Bremsscheibe … autsch, heiß. Wie schaffen wir es aber nun, ein schweres Motorrad mit nur fünf Fingern zum Anhalten zu bewegen? Hier kommen zwei Gesetzmäßigkeiten zum tragen, die Hydraulik und die Hebelgesetze.
Das Verhältnis von Kraftaufwand zu Kraftausbeute
Die Hydraulik funktioniert wie ein Getriebe und setzt einen größeren Arbeitsweg mit wenig Kraftaufwand (Handbremspumpe) in einen kleineren Arbeitsweg mit riesiger Kraftausbeute (Bremssattel) um. Der Handbremshebel fungiert dabei zusätzlich als Verstärkung, indem er durch seine besondere Form und die Art der Befestigung das Verhältnis von Kraftaufwand zu Kraftausbeute, unter Ausnutzung von Hebelgesetzen, für uns positiv beeinflusst.

Es gibt verschiedene Arten von Scheibenbremssystemen. Jene mit Seilzugbetätigung lassen wir wegen ihrer geringen Verbreitung außen vor. Innenbelüftete Scheiben finden wir hauptsächlich bei Autos, für uns also ebenfalls Nebensache. An unseren alten Karren handelt es sich normalerweise um Bremsen mit einer oder auch zwei Scheiben, gelocht oder ungelocht und von verschiedenen Durchmessern und Stärken. Sie befinden sich meist am Vorderrad, bei alten Kisten oft kombiniert mit einer hinteren Trommelbremse.
Scheibenbremsen am Motorrad – Die Bremssättel machen den Unterschied
Neuere, schwerere oder leistungsstärkere Maschinen bremsen aber auch heckseitig mit Scheiben. Den größeren Unterschied machen die Bremssättel: Es gibt Ein- oder Mehrkolbensättel, Schwimm- oder Festsättel, alte Honda-Modelle haben auch Pendelsättel und aktuell sind radial verschraubte Sättel der letzte Schrei. Die bei einigen Sportwagen und ab und an auch bei aufwendig gestalteten Custombikes anzutreffende Perimeterbremse, bei der die Scheibe nicht an der Radnabe, sondern am Felgenkranz verschraubt ist, erwähnen wir der Vollständigkeit halber ebenfalls. All diesen Systemen ist aber eines gemein, sie brauchen Pflege und Hege, um einwandfrei zu funktionieren.

Vorab ein sehr wichtiger Hinweis: Arbeitet bitte an Bremsen nur, wenn ihr es könnt und wisst, was ihr tut. Wenn dem nicht so ist, ab zur Fachwerkstatt, dem Customizer oder zum erfahrenen Schrauberkumpel, der sicher gern weiterhilft. Beginnen wir bei der Bremsflüssigkeit. Hierbei handelt es sich um ein spezielles Hydrauliköl mit einem sehr hohen Siedepunkt und korrosionshemmender Wirkung. Leider hat sie aber auch die unschöne Eigenschaft, hygroskopisch zu sein, das heißt, sie zieht Wasser an und bindet dieses, was zu verschiedenen Problemen führen kann.
Korrosion im Bremssystem will nun wirklich keiner haben
Der Siedepunkt von Bremsflüssigkeit sinkt mit der Zunahme des Wasseranteils und so kann es auf hitzig zugehenden Fahrten mit scharfen Bremsmanövern zu Dampfblasenbildung kommen. Diese sind, im Gegensatz zu Flüssigkeiten, komprimierbar, was im schlimmsten Falle den Ausfall der kompletten Bremse zur Folge hat, da die vom Handhebel betätigte Bremspumpe lediglich Luftblasen zusammendrückt, anstatt durch ordentlichen Druckaufbau die Beläge in Richtung Scheibe zu zwingen. Wenn ihr eure Bremse schon mal selbst entlüftet habt, kennt ihr den Effekt. Außerdem steigt die Gefahr von Korrosion im Bremssystem und das will nun wirklich keiner haben.

Die Motorradhersteller geben aus diesen Gründen zumeist ein jährliches Wechselintervall an. Also, raus mit der Suppe, wenn das Christkind vor der Tür steht, das Zeug kostet nur ein paar Euro und ist bei den meisten, vor allem älteren Motorrädern ohne ABS, sehr einfach auch selbst durchführbar. Bremsleitungen aus Gummi altern, werden rissig oder quellen auf. Letzteres ist besonders arglistig, da die Leitungen sich im Querschnitt verjüngen und die Bremsflüssigkeit nach vollzogenem Druckaufbau keinen geordneten Rückzug antreten kann. Die Folge sind hängende, also schleifende Beläge und ein schlabberig wirkender Handhebel.
Scheibenbremsen am Motorrad – Stahlflexleitungen müssen sein
Wenn ihr diesbezüglich Ruhe haben wollt, empfiehlt sich ein Austausch gegen Stahlflexleitungen, deren Hersteller eine quasi lebenslange Garantie auf die Leitungen geben. Hübsche Nebeneffekte sind die schlankere Optik und ein vermeintlich exakter fühlbarer Druckpunkt, da die Leitungen wegen ihrer Stahlgewebe-Ummantelung kaum Druckverluste zulassen sollen. Stahlflexleitungen gibt es von verschiedenen Herstellern für alle gängigen Fahrzeugmodelle und zum Selbstkonfektionieren für Umbauten. Achtet beim Kauf auf eine vorhandene ABE, dann sind die Dinger eintragungsfrei. Selbstverständlich bekommt ihr auch originale neue Gummileitungen, diese sind in jedem Falle besser als die alten Schläuche.

Auch die Bremsscheiben unterliegen natürlich einem Verschleiß, sie werden im Laufe der Zeit regelrecht dünn gebremst. Ihre Mindeststärke ist auf dem Scheibenträger eingeprägt. Kauft oder leiht euch eine Mikrometerschraube, messt ab und an mal nach und wenn der angegebene Wert erreicht oder bereits unterschritten ist, muss die Scheibe gewechselt werden. Manche Scheiben verkürzen den Zeitraum ihrer Koexistenz mit Mensch und Maschine auch dadurch, dass sie feine Haarrisse zwischen den Lochbohrungen entwickeln. Der Schrotthändler entsorgt diese gerne für euch. Glaubt mir, ihr wollt keine gebrochene Scheibe, die euch vor einer zügig gefahrenen Landstraßenkurve das Vorderrad blockiert.
Einen Blick auf die Bremskolben und ihre Gummidichtungen werfen
Widmen wir uns nun dem Bremssattel und seinem Interieur. Eine regelmäßige Sichtkontrolle der Bremsbeläge versteht sich von selbst. Deren Austausch ist möglich, ohne in das geschlossene hydraulische System einzugreifen. Wenn die Klötze schon einmal draußen sind, können wir einen Blick auf die Bremskolben und ihre Gummidichtungen werfen. Es gibt einen inneren Dichtungsring und eine äußere Gummimanschette. Der innere, für uns in diesem Stadium unsichtbare Ring, dichtet das hydraulische System ab, verhindert also das Austreten von Bremsflüssigkeit, während die äußere Manschette den Bremssattel gegen das Eindringen von Spritzwasser und Schmutz schützen soll.

Diese äußere Manschette kann man mit einem weichen Lappen vorsichtig reinigen und auf Risse oder Beschädigungen untersuchen. Falls dabei Bremsflüssigkeit zum Vorschein kommt, besteht Handlungsbedarf und der Sattel muss überholt werden. Dann ist nämlich beispielsweise der innere Dichtring spröde und verschlissen. Oder aber der Bremskolben aus Stahl ist durch veraltete Bremsflüssigkeit oder von außen eingedrungenes Wasser korrodiert. Ein neuer Kolben inklusive eines kompletten Dichtsatzes ist jetzt oft die letzte Rettung. Besonders bei Winterfahrzeugen – aufgrund von Streusalz – und Scheunenfunden, also lange gestandenen oder vergessenen Karren, sind fest gegangene oder inkontinente Bremsen an der Tagesordnung.
Scheibenbremsen am Motorrad – Wasser, Kälte und Salz setzen dem Material zu
Das bisher für den Bremssattel Geschriebene gilt übrigens eins zu eins auch für die Handbremspumpe. Auch hier gibt es einen Kolben aus Alu oder Stahl, der mit Gummidichtungen und Manschetten abgedichtet ist. Auch diese Teile sind äußeren Einflüssen wie Wasser, Kälte und Salz ausgesetzt oder werden von viel zu selten gewechselter Bremsflüssigkeit in Mitleidenschaft gezogen. Verfügt eure Kiste am Hinterrad ebenfalls über eine Scheibenbremse, ist der einzige Unterschied der, dass die Betätigung mittels eines Pedals an Stelle des Handhebels geschieht.

Fazit: Wenn euer Bremssystem funktioniert, achtet auf regelmäßige Pflege, dann wird es noch einige tausend beherzte Griffe an den Bremshebel in ordentliche Verzögerung verwandeln. Falls es aber irgendwo hakt, der Druckpunkt teigig und weich ist, der Bremshebel nicht in seine Position zurückkehrt oder dies nur sehr zögerlich tut, es irgendwo am System leckt oder ihr einfach mit der Bremsleistung nicht zufrieden seid, geht der Sache auf den Grund und behebt den Fehler. Reparatursätze und entsprechende Anleitungen hält der Fachhandel für nahezu alle Fahrzeugtypen parat. Sollte eure 70er-Jahre-Bremse aber trotz allem nicht euren Erwartungen entsprechen, gibt es durchaus Verbesserungspotenzial.
Bremsbeläge – Organisch oder Sintermetall unterscheiden sich deutlich
Stahlflexleitungen haben wir bereits oben erwähnt. Sie bringen einen konkreteren Druckpunkt, schlankere und auf Wunsch auch farbenfrohe Optik und garantieren sehr lange Standzeiten. Die Materialmischung des eigentlichen Bremsbelages auf der Trägerplatte hat großen Einfluss auf die Bremswirkung und Haltbarkeit von Belägen und Scheiben. Organisch oder Sintermetall unterscheiden sich deutlich. Probiert es aus. Eine verbesserte Bremsleistung geht leider oft mit einem erhöhten Verschleiß von Scheiben und Klötzen einher. Stöbert durch das Angebot der großen Hersteller und findet für euch und eure Ansprüche die passenden Beläge.

Gelochte Scheiben haben ein besseres Nassbremsverhalten, sie führen die Reibungswärme schneller ab und sind heutzutage das Maß aller Dinge. Falls euer altes Töff noch ungelochte Scheiben besitzt, ist dort ein einfaches Upgrade möglich. Größere Scheiben, und hier kommt wieder die Physik ins Spiel, bieten wohl, wenn es um die reine Bremsleistung geht, das größte Tuningpotenzial. Schaut euch die Teller an modernen Sport- oder Rennmotorrädern einmal an, dort gibt es nichts unter 300 Millimeter Durchmesser, pro Seite versteht sich. Eine größere Scheibe erfordert aber auch einen weiter außen liegenden Bremssattel, daher geht das nur mit einer entsprechenden Adapterlösung. Einige Hersteller bieten genau diese Adapter, die zwischen Tauchrohr und Bremssattel verschraubt werden, mit einer ABE für gewisse Motorradmodelle an.
Scheibenbremsen am Motorrad – Zur Not ein komplett neues Frontend
Wenn es sowas aber für eure Karre nicht gibt, bleibt euch nur der Weg des Eigenbaus. Allerdings ist vorher zu klären, ob es für eure Radnaben überhaupt die entsprechenden größeren Scheiben gibt, oder ob es eventuell möglich ist, auf die alten Scheibenträger neue, größere Scheiben aufzunieten. Einige bauen auch komplette Frontends, also Gabel und Vorderrad anderer, leistungsstärkerer Maschinen ein, deren Bremssystem mit größeren Scheiben und Mehrkolbensätteln besseres Zupacken verspricht.

Ein außerdem häufig gewähltes Vorgehen bei schwacher Bremsleistung ist der Einbau einer Handbremspumpe mit kleinerem Kolbendurchmesser. Dieses bewirkt bei einem etwas verlängerten Hebelweg einen höheren Druckaufbau im Bremssattel. Das komplette Unterfangen ist selbstverständlich, möglichst vorher, mit einem amtlich anerkannten Sachverständigen abzuklären, denn bei jedem Eingriff in das bestehende Bremssystem erlischt automatisch die Betriebserlaubnis für das Fahrzeug. Leider ist die dadurch erforderliche Einzelabnahme mit hohen Kosten und ebensolchem Aufwand verbunden.
Wer bremst, verliert nur an Geschwindigkeit!
Allen Unkenrufen zum Trotz und entgegen allen technischen Fortschritts mit immer komplexeren und bissigeren Bremssystemen soll es auch noch Fahrzeuge geben, deren Piloten ihr Leben den wunderschön archaischen Trommelbremsen anvertrauen. Dies zu Recht, denn gut eingestellt und gewartet kann auch eine Trommelbremse durchaus ordentliche Verzögerungswerte erreichen, und unter optischen Gesichtspunkten ist sie, zumindest bei uns Nostalgikern, sowieso über jeden Zweifel erhaben. Auf das Thema Trommelbremsen mit all seinen Facetten werden wir uns deshalb ungebremst an gleicher Stelle stürzen. Fahrt bis dahin vorsichtig, getreu dem Motto: Wer bremst, verliert nur an Geschwindigkeit!





Carsten Bender
Jahrgang 1969, stammt aus Hagen, Westfalen, dem Schmelztiegel der Kulturschaffenden und Wiege des kreativen Journalismus. Seit 2018 ist Carsten Bender freier Mitarbeiter beim CUSTOMBIKE-Magazin. Sein erstes motorisiertes Zweirad war eine Honda CB 50. Seitdem gingen über neunzehn Motorräder durch seine Hände. Von Zweiventiler-BMWs über Hondas Goldwing bis hin zu leichten Einzylinder-Crossern sowie Motorrädern mit Baujahren aus den Siebzigern und Achtzigern. Seine Honda CB 250 G schaffte es im CUSTOMBIKE-Leserwettbewerb 2014 auf den zwölften Platz. Im darauffolgenden Jahr belegte er mit seinem Honda-XL 500S -Umbau den zweiten Platz und musste sich nur knapp gegen den späteren Sieger geschlagen geben.
Ein grundsätzlich schöner Artikel.
Was fehlt, ist die Erklärung, warum der Scheibenbremse eine Rückzugfeder für die Bremsbeläge ähnlich der Trommelbremse fehlt.
Seit meinem Kommentar vom 8.6. hat sich nichts geändert. Weder an meiner Frage noch im Artikel.
Guten Tag, ich habe eine Frage, was kostet das Auswechseln der Hinterradscheibenbremse bei Motorrad Honda CB600F Hornet Jg. 1998
Hallo Rico, na da würde ich doch einfach mal beim freundlichen Honda-Händler nachfragen. Gruß aus Hockenheim