Vielleicht die ungewöhnlichste Garage, die wir euch je gezeigt haben, denn diese Werkstatt ist ein Klassenzimmer. Und auf dem Stundenplan steht Customizing. Also, show me your Garage, äh, your Klassenzimmer, Mr. Baas!

Zunächst sind es nur Gerüchte: Da soll es doch tatsächlich im Mittleren Westen der USA, an der Kennedy High School von Bloomington/MN, einen deutschstämmigen Lehrer geben, der an der Highschool Chopperbau unterrichtet. Selbstverständlich nicht nur in der Theorie! Geniale Langgabler sollen die jungen Studenten auf die Räder stellen.

Show me your Garage – Die »Kennedy Chopper Class«

Dann fällt in einem Internetforum immer häufiger der Name »Teach« in diesem Zusammenhang. Location: Twin Cities, Minnesota! Teachs Beiträge im Forum sind immer fundiert. Schließlich reift der Plan: Wir fliegen mal wieder rüber, denn diese Story ist ein Knaller! Ein erster Kontakt zu ihm gelingt schon über das Forum. Unser Freund Tom Rad macht die Sache für uns drüben dann telefonisch fest. Teach heißt im richtigen Leben Kevin Baas.

Hat ein Herz für Milwaukee-Eisen: Gründer und Dozent an der Kennedy High School in Minnesota »Teach« Baas mit einem Knucklehead-Relief

Sein Spitzname leitet sich von Teacher (engl. = Lehrer) ab. Aber ganz offiziell nennen sie Mr. Baas den »Technology Instructor der Kennedy High School«. Es ist Sommer. Und obwohl oder gerade weil die Amis im Sommer vier Monate Schulferien haben, läuft Kevins Terminkalender in diesen Monaten über. Wir sollen ihn am Donnerstag, morgens, besuchen. Die Kennedy High School findet sich in Bloomington, unterhalb der »Twin Cities«, wie die Amis die zusammengewachsenen Städte St. Paul und Minneapolis nennen.

Chopper Class of Mr. Baas

Wir warten überpünktlich mit unseren Miet-Harleys auf dem Parkplatz der Schule. Nicht lange, dann donnert ein goldmetallic lackierter Chopper auf das Gelände. Der Fahrer winkt uns zu und macht Zeichen, dass wir ihm folgen sollen. Es ist Teach! Als das Rolltor zur Klassen-Werkstatt hochgeht, verschlägt es uns die Sprache. Da steht vom Plasmaschneider über Fräsmaschine, Schutzgasschweißgerät, Sandstrahlkabine, Ständerbohrmaschine, hydraulische Presse, Bandsäge, Kappsäge einfach alles, sogar eine CNC-Drehmaschine.

Jesus-Portrait oder Albrecht Dürers betende Hände im Rücklichtglas? Für die Chopper Class kein Problem

Wenn man es richtig sieht, dann unterrichtet »Mr. Baas« das Fach Maschinenbau. Ein Beruf, wie er bei uns in Metallbaufirmen während einer mehrjährigen Lehre erlernbar ist. In USA ist die Ausbildung via Firmen nicht so verbreitet. Bleibt also das, wie sie es nennen, »Studium« an der High School. Kevin zeigt uns Trophäen und Auszeichnungen in Vitrinen, die seine Klasse seit Jahren einheimst. Zahllose Magazine und Zeitungen haben die Arbeit der »Chopper Class of Mr. Baas« gewürdigt.

Show me your Garage – Endlich eine eigene »Chopper Class«

»Unser erstes Bike entstand mit Teilen, die ich herumliegen hatte …« Rahmen, Gabel und Räder hatte Teach Baas beigesteuert, Kleinteile waren in der Schulwerkstatt entstanden. Anfangs nicht während den Schulstunden, sondern nach dem Technikunterricht. »Wir veranstalteten danach ein Open House in der Werkstatt, für die Eltern und die Gemeinde. Damit sie sehen, zu was diese »Kennedy High School«-Klasse fähig ist. Allerdings war das nur ein rollendes Fahrwerk ohne einen Antrieb … trotzdem, man kann es als den Start der Chopper Class bezeichnen«, so Kevin.

Early-Shovel-Chopper: Ein halbfertiges Langgabel-Projekt wartet auf der Hebebühne auf den Beginn des neuen Semesters

Eltern spendeten Geld, die Schule, die Gemeinde. Das Projekt konnte vollendet werden und nicht nur das: Fünf solcher Projekt-Chopper entstanden so nach Feierabend. Schon zu Beginn hatten sie diese Bikes auch auf regionalen Bike Shows gezeigt. Und immer wurden sie danach verkauft oder höchstbietend für die Schule und zur Finanzierung des nächsten Projekts versteigert. Schließlich wurde Kevins Traum wahr: Er durfte seinen Schülern den Chopperbau während des Unterrichts beibringen. Die »Chopper Class« war geboren.

Namhafte Sponsoren aus der Custom-Industrie

Unzweifelhaft bekommt die K.H.S. in Bloomington nun überdurchschnittlich hohe Förderung durch diese Chopper Class Publicity. Zudem profitiert die Schule von Sponsoren aus der Custom-Industrie. Der Starcustomizer Donnie Smith, beispielsweise, kam eines Tages vorbei und begutachtete ihre Arbeit: »Braucht ihr noch was?«, war seine lapidare Reaktion. Kevin meinte »Wir suchen noch einen Motor und ein Getriebe!« Keine zwei Tage später sagte Donnie am Telefon, er habe mit S&S geredet, die den Motor stiften werden.

Blecharbeiten, Alugießen, selbst die Überholung kompletter Motoren übernehmen die Auszubildenden eigenhändig

Der schwarzhäutige Chopper-Guru Sugar Bear brachte eine seiner ewiglangen Springergabeln eigenhändig aus Kalifornien mit. Die Firma Sucker Punch Sally war vor Ort und sah sich begeistert an, was die Klasse macht. »Hey, we wanna help you guys, waddayou need?«, hatten sie gefragt. Tage später kamen sämtliche Einzelteile für ein Rolling Chassis mit der Post, kostenlos. Ein »Working Man Special«-Kit, wie sie ihr Low-Budget-Paket für Selbstschrauber nennen.

Trotzdem werden die Hände dreckig …

Solche Spenden bringen ein Projekt voran. Trotzdem werden die Hände dreckig, entstehen Teile aus rohem Metall, müssen Baupläne erstellt, Bleche geformt, geschweißt, gelötet oder genietet sein. Der Teamgeist und der Stolz auf geschaffenes formen Tanks, Schutzbleche, Sitzbänke und Sättel. Und wenn es was Ausgefallenes sein soll, können die Schüler in einer Ecke der Werkstatt auch mal ein Stück aus Aluminium gießen. Die Formen dazu sind vorher herzustellen.

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Zwei Bikes entstehen auf den Hebebühnen im »Klassenzimmer«. Ein weiterer Rahmen ist teilweise fertig in der Rahmenlehre zu sehen. »Ich checke natürlich alle Schweißnähte selbst und korrigiere das eine und andere durch Nachschweißen!« Die Kids selbst sind nicht anzutreffen; die genießen ihre Sommerferien. »Aber zu den Bikeshows im Herbst und Winter reisen wir zusammen, stellen Chopper in die Ausstellungen, machen Promotion-Stände.«

Die Chopper-Projekte müssen termingerecht zu den Bikeshows fertig sein

Auch schwere Zeiten sind aber an der Tagesordnung. Finanzielle Engpässe zwangen die Kennedy High School vier von sechs Lehrern des Fachgebiets Maschinenbau zu entlassen. Kevin »Teach« Baas blieb Lehrer in der KHS. Jetzt hatte es sich alles ausgezahlt: Die langen Schraubernächte mit seinen »Students« nach den offiziellen Schulstunden – die jeweiligen Chopper-Projekte der Schule mussten ja immer wieder termingerecht zu bestimmten Bikeshows fertig sein.

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Und sicherlich waren es nicht zuletzt auch seine medienwirksamen Aktivitäten: Seine Fotos und Storys in amerikanischen Magazinen. Aber auch die Mitarbeit in diversen Foren, in Blogs, Webseiten, auf Facebook, Instagram … »Die Chopper-Klasse, die ich vor zehn Jahren startete, hätte ohne die Medienpräsenz nicht überlebt. Out of sight, out of mind – aus den Augen aus dem Sinn«, da ist sich Teach sicher. »Jedes Mal, wenn ich irgendetwas veröffentlichte, meldete sich wieder jemand, der uns mit seinen Produkten sponsern wollte. Und letztendlich kam das alles ja der Schule und den Kids zugute.«

 

Horst Heiler
Freier Mitarbeiter bei

Jahrgang 1957, ist nach eigenen Angaben ein vom Easy-Rider-Film angestoßener Choppaholic. Er bezeichnet sich als nichtkommerziellen Customizer und Restaurator, ist Mitbegründer eines Odtimer-Clubs sowie Freund und Fahrer großer NSU-Einzylindermotorräder, gerne auch gechoppter. Als Veranstalter zeichnete er verantwortlich für das »Special Bike Meetings« (1980er Jahre) und die Ausstellung »Custom and Classic Motoräder« in St. Leon-Rot (1990er Jahre). Darüber hinaus war er Aushängeschild des Treffens »Custom and Classic Fest«, zunächst in Kirrlach, seit 2004 in Huttenheim. Horst Heiler ist freier Mitarbeiter des Huber Verlags und war schon für die Redaktion der CUSTOMBIKE tätig, als das Magazin noch »BIKERS live!« hieß. Seine bevorzugten Fachgebiete sind Technik und die Custom-Historie. Zudem ist er Buchautor von »Custom-Harley selbst gebaut«, das bei Motorbuch Stuttgart erschienen ist, und vom Szene-Standardwerk »Save The Choppers!«, aufgelegt vom Huber Verlag Mannheim.