Patina am Motorrad erzählt Geschichten und stellt für viele Motorradsammler und -kenner der Szene das Größte dar.

Klassische Motorräder im Originalzustand sind selten geworden. Erstlack, authentische Anbauteile, originaler Kabelbaum und zeitgenössische Reifenprofile zählen so manchem Kenner weit mehr als aufpolierter Chrom und glänzende Showlackierungen. Während Customizer ein Motorrad normalerweise genau danach sezieren, was man so alles umbauen kann und Alltagsfahrer all das erneuern, reparieren und optimieren, was beim täglichen Gerangel so alles verschleißt, schätzen Sammler, Oldtimerfreunde und Gourmets den unbedingten Originalzustand.

Schwerpunkt Patina – Perfektion ist nicht erwünscht

Dabei spielt es keine große Rolle, ob der originale Lack verblichen ist, ob sich Flugrost an den Chromteilen befindet. Die Spuren der Zeit sind für ein klassisches Motorrad kein Makel. Oft genug macht gerade die Patina ein Motorrad besonders authentisch. Matte Stellen, stumpfer Chrom und knautschiger Sitzbezug: Diesen Zustand zu konservieren, stellt für so manchen Klassikerfahrer das Optimum dar.

Auch beim Concourse d‘Eleganze an der Villa d‘Este genießen unberührte Klassiker wie diese Indian Chief höchste Anerkennung

Diese Einschätzung spiegeln auch die Preise für Fahrzeuge im unberührten Originalzustand wider. Erstlack, Scheunenfunde und Restaurationsprojekte sind begehrt wie nie zuvor. Bereits seit 2006 ließ sich diese Entwicklung auf dem Markt für klassische Automobile feststellen. Während etwa ein vollständig neu aufgebauter Mercedes 300 SL »Flügeltürer« für rund 1.000.000 Euro gehandelt wird, brachte ein unrestauriertes 1956er Mercedes 300 SL Coupé bei Gooding in Arizona rund 1,5 Millionen Euro.

Last Bikes Standing

»Autos, die sich in ihrem historischen Zustand erhalten lassen, sprechen Menschen an, die ein Stück Automobilgeschichte so unberührt wie möglich erhalten möchten,« erklärt James Knight vom Auktionshaus Bonhams. Schließlich lässt sich an einem restaurierten Fahrzeug nicht mehr nachvollziehen, welche Schrauben für die Achsklemmung damals verwendet wurden, wie präzise die originale Linierung ausgeführt wurde.

 

Was ist Patina?

Das Wort Patina stammt aus dem Italienischen und bedeutet Belag oder dünne Schicht. Im ursprünglichen Sinne bezeichnet es die grünfarbene Firnis auf Kupfer oder Kupferlegierungen, die sich durch Witterungseinflüsse bildet. Bei einem historischen Fahrzeug bezeichnet Patina den unrestaurierten Zustand mit unvermeidlichen Abnutzungsspuren bei optimaler Pflege und voller Funktionstüchtigkeit. Patina steht für Ehrlichkeit und Originalität, unberührter Charme steht über Hochglanz. Dreck, Durchrostungen, Schimmel durch Nachlässigkeit oder künstliche Alterung durch falschen Ehrgeiz fallen nicht unter die Definition von Patina.

 

Die hohen Preise für unberührte Klassiker finden auch darin ihre Begründung, dass es nur sehr wenige dieser Scheunenfunde gibt. Die Chance, ein bestimmtes Modell als »Barn Find« aufzutreiben, ist sehr gering. Dazu James Knight: »Heutzutage erkennen die Käufer, dass es sinnvoll ist, ein gut erhaltenes Exemplar in seinem unberührten Zustand zu belassen. Es hängt natürlich vom Modell ab, doch es gibt Beispiele, bei denen jetzt schon sicher ist, dass es in einigen Jahren die einzigen verbleibenden Originale sein werden.«

Teurer Schrott oder wertvolle Zeitkapsel?

So sind beim Auktionshaus Bonhams vor allem jene Motorräder beliebt, die sich noch im Originalzustand befinden, etwa eine rostige, unrestaurierte 1925er Brough Superior SS 80 aus Familienbesitz, die 2012 für knapp 80.000 Euro unter den Hammer kam. Doch auch neuere und kleinere Motorräder können interessant und wertvoll sein, wenn sie noch von niemandem verändert und restauriert worden sind.

Was für uns als Umbauer zunächst kurios klingt, hat dennoch seinen Reiz und seine Berechtigung. Warum nicht neben sein selbstgebautes Unikat einen originalen Zeitzeugen in die Garage stellen – sei es eine Zündapp KS 125, eine Honda CB 750 oder eine Indian Scout? Vor allem, wenn noch niemand vorher daran Hand angelegt hat?

 

Charta von Turin

2011 präsentierte der Oldtimer-Weltverband FIVA mit der »Charta von Turin« ein viel diskutiertes Regelwerk zur Erhaltung und Einordnung von historischen Fahrzeugen. In Anlehnung an die «Charta von Venedig« zur Denkmalpflege erarbeiteten FIVA-Mitglieder und professionelle Restauratoren ein Dokument, das die kulturhistorische Bedeutung von Autos und Motorrädern unterstreichen und als grundlegende Leitlinie für Besitzer von klassischen Fahrzeugen dienen soll.

Empfohlen wird ein verantwortungsvoller Umgang mit Klassikern. So gibt es Orientierungshilfen hinsichtlich Nutzung, Unterhalt, Reparatur und Restaurierung. Unvermeidbare Modifikationen sollen die historische Substanz nicht beeinträchtigen, zeitgenössische Technik und die zeitgenössische Erscheinung sollen nicht verändert werden. Dies entspricht dem Trend zu substanzbewahrender Erhaltung. Ob die Charta in Zukunft Einfluss auf die Kategorisierung von Oldtimern – etwa bei der Abnahme zum H-Kennzeichen – hat, ist derzeit nicht abzusehen.

Info |  www.fiva.org

 

Dirk Mangartz