Gelten beim Customizing eigentlich Regeln oder bestimmt die Chaostheorie unser Tun? Wir wollen es wissen …

Warum gefallen manche Bikes einfach fast jedem Betrachter und andere kommen gar nicht an. Was sind die Faktoren? Was macht ein gut aussehendes Motorrad aus? Im Buch »Custom Harleys selbstgebaut« findet sich folgendes Credo: »Unabhängig vom momentan angesagten Baustil machen folgende drei Punkte ein gut aussehendes Custombike aus: 1. Möglichst ununterbrochen fließende Linien und so wenig wie möglich Linienkreuzungen – auch im Lack. 2. So wenig wie möglich verbaute oder sichtbare Teile. 3. Saubere Verarbeitung bis ins Detail.«

Wo fangen wir an?

Um der Sache näherzukommen, stellte ich in einem maßgeblichen US-Forum die Frage: Gibt es im Customizing Regeln? Jeff L. aus Süd-Jersey postete nur wenige Augenblicke darauf: »Ich denke nicht, dass es Regeln im Customizing gibt oder geben sollte. Ich mag Unterschiede, mag jede Art von Bikes, so lange wie derjenige, welcher das Bike baute, mit einem Grinsen im Gesicht sein Bike zu genießen weiß«. Und Kickstarts aus North-Carolina setzte sofort noch einen drauf: »Bleib mir vom Arsch, das ist meine einzige Regel«.

Rules of Customizing

Auch Bobscogin aus Kalifornien meint: »Nein … keine Regeln, die implizieren Anpassung und Einheitlichkeit; das wäre ja das Gegenteil von Customizing.« Englishman, »The Horse BSC«-Magazin-Chef, hat da schon mehr zu sagen: »Ich denke nicht, dass es da nur eine Lehrmeinung bei diesem Thema gibt. Da sind verschiedene Richtungen, die sich untereinander den Platz streitig machen: Zum einen die Künstler: Das Motorrad als Stück funktionaler Kunst ist wahrscheinlich die »School«, der ich am meisten Gewicht beimesse. Es ist okay, die Sicherheit, den Komfort oder die Fahrbarkeit zu opfern, wenn es darum geht »rollende Kunst« zu schaffen.

Rules of Customizing – Im Auge des Betrachters

Dann gibt es die Personalisierungsgruppe, die ihr Motorrad mit jeder Menge chromglänzenden Teilen aufmotzt und die Period-Correct-Freaks, die Stock-Rocks-Fanatiker, die vor Abweichungen vom Serienaussehen dringend abraten. Außerdem die mittellosen Träumer, die Ratbiker … Es gibt so viel Verschiedenheit, dass »Regeln fürs Customizing« und »Regeln für Ölgemälde« die gleichen sind. Die Techniken zur Herstellung sind jeweils gleich, ob aber das Endprodukt gefällt, liegt in den Augen des Betrachters.«

Rules of Customizing

Okay Englishman, denke ich mir, ohne ihm eine Antwort zu posten: Das Thema hast du nicht ganz verfehlt, es allerdings auch nur an der Peripherie angekratzt. Schon bricht Tony the Torch in Süd-Kalifornien für meine Theorie eine Lanze: »Der Ugly and Funny-Thread ist voller Beispiele von Bikes, die von Leuten gebaut wurden, die nicht verstehen, dass es einige Grundregeln im Customizing gibt«. (Zur Verdeutlichung: Im angesprochenen Ugly and Funny-Forum-Thread werden komische, lustige, sonderbare und absolut hässliche Bikes gepostet.)

Grundregeln der Proportionen, Farbe und Balance

Ourmaninshanghai, ein in China lebender Londoner, stimmt zu: »Die Erbauer von gut aussehenden Bikes mögen bemerken oder nicht, dass sie den Grundregeln von Proportion, Farbe, Balance etc. anhängen, doch ihre Ergebnisse beweisen, dass sie es tun.« BigDawg aus Georgia: »Wir alle haben doch Ahnung, was eine Frau im klassischen Sinn gut aussehen lässt. Zur Hölle, sogar die Wissenschaft hat bewiesen, dass Schönheit sich in Proportionen und Symmetrie darlegt. Einige Grundprinzipien sind im Unterbewusstsein verankert und du wirst nie wissen, warum du daran hängst. Und einige Leute machen das einfach besser als andere. Diese Anderen – ich denke da an Leute, denen Riffelblech-Sitze, -Fußrasten und -Griffe gefallen – die sind vielleicht auch von dicken Mädchen fasziniert.«

Rules of Customizing

Hoghead aus England: »Proportionen, Linien und Aufmerksamkeit fürs Detail (den Scheißlack mit inbegriffen) …, kriegt das auf die Reihe !« Govmule84 aus Pasadena: »Ich mache das, was ich fühle, machen zu müssen. Manchmal sieht das cool aus, manchmal nicht und meistens sind die Meinungen sowieso geteilt. Was soll’s?« M.O.Ther aus Ohio:»Es gibt keine Regeln im Customizing, so wie es auch keine Regeln im Singen gibt. Wie auch immer, wer in einer der beiden Sparten erfolgreich ist, befolgt Regeln! Um im Customizing gut zu sein, benötigst du das Auge eines Künstlers und den Verstand eines Ingenieurs. Ich verbringe übermäßig viel Zeit damit, meine Arbeiten zu überdenken.«

Regeln? Zum Teufel nein!

Dan Boy aus dem Vereinigten Königreich: »Regeln? Zum Teufel nein! Baue einfach was du denkst.« Hatch, der sich selbst in den sechziger Jahren verloren sieht, meint dazu: »Ich halte es folgendermaßen: Die Ansammlung und Montage der richtigen Teile in einer kreativen und minimalistischen Art kann am effektivsten sein.« Grinder Bill aus Alberta: »Es gibt nur eine Regel: Es muss deinen Mädchentyp geil machen. Du kannst eine Menge über den Geschmack eines Kerls bezüglich Frauen sagen, durch die Art, wie er sein Motorrad umbaut. Ungezogen und dreist, klassisch und sanft, langbeinig und athletisch. Es geht immer nur um Sex.«

Eine nachdenklich machende Diskussion

Doc Benway: »Und ich hatte so große Hoffnungen auf eine nachdenklich machende, taktvolle Diskussion …« Dan Boy fühlt sich von Docs Worte aufgezogen: »Es ist 8:30 Uhr, Freitagabend. Ich hatte eine harte Woche auf der Arbeit, war jetzt schon im Pub und trinke nun zu Hause weiter … Nachdenklich machende Diskussion? Doktor, willst du mich verarschen?« Wie nicht anders zu erwarten, kommt Doc Benway als Moderator seinen Pflichten nach. Bevor noch weitere verbale Tiefschläge kommen, schließt er den Forums-Riegel. Weitere Posts zu dem Thema sind in diesem Thread nun nicht mehr möglich. Okay, sagten wir uns, lasst uns bei Leuten nachhaken, die in der Szene schon Außerordentliches leisteten. Was also sagen die Profis dazu?

Was bestimmt den Look von Customizing?

Aber was bestimmt den Look, wenn man zehn Meter weit weg steht? In unserer Motorradwelt hatten wir Glück, dass, wer immer den Harley-Starrrahmen designt hat, auch guten Geschmack hatte. Das entfernen von gewichtigen Teilen wie Kotflügeln, Sattel und Tank brachte eine Ästhetik, die bis zum heutigen Tag das Customizing bestimmt. Kleine Tanks lassen Motor und Getriebe riesig aussehen. Das Hinterrad ist dicht an der Mechanik. Kleine Hinterrad-Kotflügel bringen das verchromte Rad in den Fokus. Ein kleiner Bates-Solosattel auf Federn bringt den Starrrahmen besser hervor. Ist die Gabel kurz, sollte die Sissybar nahezu senkrecht sein. Ist die Gabel lang und der Lenker klein, wie z. B. bei Drag Bars, dann auch eine Sissybar, die fast senkrecht steht. Wenn die Gabel lang ist und der Fahrer sich zurücklehnt, weil das Bike einen Pullback-Lenker hat, dann sollte die Sissybar nach hinten geneigt sein. Auf die Grundlinien reduziert, ist ein Chopper eine Ansammlung von Dreiecken wie auch der weibliche Körper. Und wie bei den Mädels gilt auch für Custombikes: Je schlanker, desto attraktiver.« Aber was sagen eigentlich die Profis zum Thema? Wir haben einige gefragt.

Roger Goldammer, Customizer und dreimaliger World-Championship-Gewinner aus Kanada:

»Für mich sind die Schlüsselelemente einer Maschine erstens ihre Gesamterscheinung, gewürzt mit ein wenig dramatischem Look, der etwas aus der Norm herausragt. Zweitens sehr saubere Linien, die nicht überladen sein sollten. Drittens eine durchgehende Stimmigkeit. Deswegen hilft es auch, wenn ein und dieselbe Person das komplette Motorrad baut.«

 

Roger Goldammer

Fred Kodlin, international geachteter Masterbuilder aus Borken:

»Oldschool erinnert mich an die alten Zeiten, als ich meine Panheads Anfang der 80er-Jahre mit sehr viel Liebe zum Detail umgebaut hatte. Alle Teile wurden selbst angefertigt, es gab noch keine CNC-Maschinen. Wir mussten irgendwie versuchen unsere Ideen umzusetzen. Die alte Technik verbessern und von der Designseite den eigenen Stil finden, das war das Ziel. Wichtig war es auch, die verbauten Teile in ein Ganzes zusammenzufügen und trotzdem eine Linie zu finden.

Rules of Customizing – Fred Kodlin

Design hat für mich was mit gewachsener Form zu tun, da muss alles in einer natürlich wirkenden Art zusammenpassen – vielleicht wie bei einem Baum. Viele edle und teure Teile zusammengeschraubt macht noch kein Design. Wir sind da sicherlich im Vorteil durch unsere hohe Fertigungstiefe. Mittlerweile sind wir in der Lage, nahezu alles selbst herzustellen – da wird schon darauf geachtet, dass alle Teile von der Linie her ineinanderfließen. Stilistische Ideen hole ich mir oft von alten Autos, nie von anderen Custombikes. Denkanstöße werden auf Machbarkeit geprüft und weiterentwickelt – Form und Funktion müssen sich dabei nicht ausschließen. Festen Regeln folge ich eigentlich nicht bewusst: Bei mir muss ein Bike einfach harmonisch wirken.

Geschmack kann man nicht kaufen

Das heutige Old-School hat selten was mit Custom- oder Motorradbau zu tun. Ich denke, es hat auch nichts mit »bezahlbar« oder den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln zu tun: Geschmack kann man sich nicht kaufen! Manche Sachen, die man so sieht, sind einfach nur zu belächeln. Aber es gibt auch welche, die lohnen sich dann doch, sie zu betrachten. Die haben dann noch was mit Kunst und Geschmack zu tun. Mein Resümee? Bei manchen abgelichteten Bikes in Magazinen oder bei in Bikeshows vorgestellten Kreationen wird einem angst und bange um die Zukunft des Customizings.«

Chris Barber, englischer Querdenker mit Hang zu Automotoren und technisch außergewöhnlichen Lösungen:

»Wenn ich ein richtiges Bike baue, dann zählt: Weniger ist mehr. Ich mag es naturbelassen, bevorzuge Alu ohne Lack, schöne sichtbare Schweißnähte, die nicht erst geglättet und gespachtelt werden müssen, und ich will keinen Chrom. Wenn ich ein Funnybike baue, wie damals das Alphabeast, dann erlaube ich mir mehr künstlerische Freiheit, aber ich versuche immer alles so kompakt wie möglich zu halten.

Rules of CustomizingChris Barber

Ich mag es nicht, wenn sich die Kreativität des Konstrukteurs einem Stil unterordnen muss. Ich habe kürzlich damit begonnen, mich bei jedem Teil zu fragen, ob sich dieses »gute Stück« auch an einem GP-Bike bewähren würde. Deswegen verbaue ich auch keine Springergabel, keinen Zahnriemenantrieb zum Hinterrad, CV-Vergaser, vorverlegte Fußrasten, innenliegende Züge. Ich könnte so weiter aufzählen, vielleicht diskutieren wir das mal bei ein paar Bieren aus.«

Steve Schneiderbanger, Customizing-Urgestein und Gründer von SSC:

»Schönheit liegt definitiv im Auge des Betrachters. Natürlich habe auch ich mich schon gefragt: Was haben manche Leute im Sinn, wenn sie ein Bike bauen? Da gibt es so viele Antworten. Ich denke, es ist vorrangig der Zeitgeist, der bei vielen den Anstoß für einen Umbau in einem bestimmten Stil gibt. Was aktuell cool ist, entscheidet meistens auch, was als gut und schön angesehen wird. Auf Bikeshows kann man damit sicher punkten.

Steve Schneiderbanger

Ich selbst kann allerdings nicht über meinen eigenen Schatten springen, auch wenn ich das manchmal schon möchte. Aber ich bin da viel zu sehr meinem eigenen Stil verhaftet. Sicherlich ist mein persönlicher Stil sehr von der Schlichtheit der schwedischen Umbauten geprägt. Für mich zählt als Hauptkriterium die Harmonie. Ich habe schon vor dem Aufbau ein Motorrad ganz grob umrissen im Kopf und es wird erst während des Rohbaus perfektioniert, in den Details ausgearbeitet. Ich mag es, wenn einer bei der Auswahl der Teile auch mal über den Tellerrand blickt: Passt eine Schüssel oder ein Becher von Ikea mit ein wenig Anpassung als Abdeckung des Luftfilters? Taugt der Kerzenständer zum Ansaugtrichter?

Einfach dranschrauben macht den Kohl nicht fett

Ich bin aber auch der Meinung, dass man sich nicht in der Verwirklichung allzu vieler Details verlieren sollte. Ein »cooles« Anbauteil ans andere gereiht macht den Kohl selten fett – oft harmonieren die Teile nicht und brauchen Nacharbeit. Hier macht der Laie gerne gravierende Fehler. Auch viele Serienteile brauchen eine Überarbeitung, um sich in ein neues Konzept einfügen zu lassen. Wie die Formel dafür lautet? Ich habe selbst erst in den letzten Jahren realisiert, dass ich dieser Formel, diesen sicherlich existierenden Vorschriften, folge. Ich meine, dass jeder im Laufe der Zeit an seiner eigenen Formel bastelt und sich daran orientiert. Das steckt dann in dir drin und geschieht unbewusst.«

Mark van der Kwak alias Duckman, 3D-Pionier aus den Niederlanden:

»Ja, es gibt Regeln. Aber die sind geheim!«

Mark van der Kwak alias Duckman

Gerhard Weidl von den Customizers East aus Oberfranken:

»Ein schönes Moped allein macht noch keine gelungene Symbiose des Ganzen oder anders ausgedrückt: Die Summe aller Teile ergibt noch kein Ganzes. Ich bin der Meinung, dass ein tolles Bike mit einem Deppen drauf nicht zur Geltung kommt. Bei mir stehen und standen immer die Fahrer im Vordergrund, für mich fängt Customizing bereits beim Erbauer und Fahrer an.

Gerhard Weidl

Klingt jetzt komisch, ist vielleicht auch nicht das Thema, aber trotzdem ein Beispiel: Ich freue mich über die neuen Trends, und vor allem über die Menschen, die diese »Junk Yard Look«-Mopeds bauen und auch fahren. Es sind in der Regel junge Leute, oft Anfang 20, die wie ich auch mit Jeans und wehenden Karo-Jacken, mit wirklich alten Jet-Helmen, mit eigentlich nicht motorrad-konformer Ausrüstung durch die Gegend donnern. So einen Typen auf einen perfekten Chrom-Custom-10-Schicht-Lack überladenden Glitzer-Bock zu setzen? Was soll das werden? Oder ist uns hier der perfekt zu diesem Motorrad passende Fahrer lieber, mit Harley-Racingjacke, mit ECE-Helm vom Händler und mit Handschuhen, mit denen man auch eine Woche in Sibirien überleben kann? – Mir nicht!

Der Typ passt oft zum Bike

Es sind doch genau diese Gegensätze, die unsere Szene ausmachen, wer definiert denn, was passt und was nicht? Deswegen finde ich auch den Trend total gut, dass öfter auch die Typen zu den Bikes mit fotografiert werden. Und genau das ist es dann auch, was eben halt passt – oder auch nicht.«

Charlie Lecach, französischer Motorradjournalist

»Ich denke, dass es da sicherlich einige Regeln gibt. Aber andererseits ist keine mathematische Formel vorhanden, nach der ein schöner Chopper oder Bobber machbar wäre. Du kannst die Proportionen und die Geometrie richtig haben und alles mit ein paar Details ruinieren. Wenn du guten Geschmack hast, wird alles ganz natürlich fließen und keine exakten Regeln sind nötig. Doch was genau ist guter Geschmack? Interessantes Thema für ein Editorial!«

Charlie Lecach

Kutty Noteboom, US-Schrauber und Inhaber der Hippy Killer Garage:

»Die amerikanische Definition von Customizing lautet: Etwas ändern oder wechseln nach deinen individuellen Geschmacksvorstellungen. So sehe ich das. Es gibt keinen falschen Weg oder richtigen Weg, aber ich richte mich hauptsächlich nach den fließenden Linien. Und meistens meint das auch: weniger ist mehr. So lange es schön anzusehen ist und die Linien von vorne nach hinten einen Fluss haben, sehe ich das entspannt.

Kutty Noteboom

Es gibt so viele unterschiedliche Typen von Leuten mit genauso vielen unterschiedlichen Hintergründen. Aber meiner Meinung nach haben Leute, die sich mit Hot Rods und dem Umbauen von Autos beschäftigen, auch ein besseres Gefühl für den Fluss von etwas. Ein gutes Beispiel ist wohl Cole Foster … und ich hoffe auch dazuzugehören.«

Francis Villedon von Esteves Custom Cycles aus Marseilles:

»Die Welt ist verkorkst. Das ist das Resultat des Internets: Jeder kann Informationen aus dem Internet aufnehmen, jeder kann anschweißbares Zeug zusammenkaufen, um sich sein eigenes Bike zu bauen. Manchmal denke ich ja, das ist gut, weil auf diese Weise neue, wahre Künstler ins Blickfeld rücken. Andererseits langweilt es mich, weil für jeden neuen wahren Künstler tausend schlechte Trittbrettfahrer in vorderster Reihe der Szene stehen. Meist bleib ich weit weg von allem Klunker, dem ganzen Gezeter um diese Oldschool-Suppe. Glaubt es oder nicht, ich habe schon oft Kunden abgelehnt, die von mir so ein Junk-Yard-Bike gebaut haben wollten. Das ist einfach nicht mein Fall. Ich bevorzuge, meinen Geist und meine Kreativität sauber zu halten, es gibt genug Mist.

Francis Villedon von Esteves Custom Cycles

Nun zu den »Rules of Customizing«: Möglichst ununterbrochen fließende Linien und so wenig wie möglich Linienkreuzungen. Es gibt allerdings immer eine Art von Krieg zwischen den Erbauern und den Lackierern. Wenn du deine Teile zum normalen Lackierer gibst, wird er in neun von zehn Fällen deine geschaffenen Formen zerstören. Ein perfekter Schrauber muss im Idealfall also Ingenieur, Designer und Lackierer sein. Proportionen und Größe müssen perfekt passen, die Form muss sexy sein und Eifersucht hervorrufen, das Licht muss auf Kurven und Linien tanzen. Wenn ich mich heute so umschaue, sehe ich nichts als dicke Ärsche, Pseudo-70er-Jahre-Chopper, Bobber, Bobber und nochmal Bobber. Welch grauslige Ideenlosigkeit.«

Chiko, deutscher Pinstriper und Painter:

»Als Custompainter und Pinstriper vertrete ich die Meinung, dass der perfekte Look eines Custombikes stark abhängig vom ersten Eindruck und dieser wiederum sehr geprägt von der Lackierung und Farbauswahl ist. Eine nicht passende Farb-oder Designwahl kann die perfekte Linienführung eines Bikes zerstören. Grundlegend sollte man sich beim Customizing jedoch nicht an Regeln halten. Erlaubt ist meiner Meinung nach, was gut aussieht und gefällt. Doch sollte der Lack immer passend zum Stil des Custombikes ausgewählt werden.

Chiko

Zum Beispiel: Ein Hochglanzbike mit viel Chrom braucht eine Top-Lackierung mit intelligentem Design, das die Linienführung aufgreift und Tank, Rahmen sowie Motor und sämtliche Anbauteile miteinander verbindet. Wichtig hingegen beim Old-School-Bike ist, dass der sogenannte Used-Look auch bei der Lackierung eindrucksvoll umgesetzt wird. Von Rostlack bis hin zu Abnutzungseffekten ist alles erlaubt.

Customizing lebt auch von Grenzbrechern

Ein Bike, das nach den konservativen Regeln des Customizings erbaut wird, erhält im ersten Schritt sicherlich weitaus größere Akzeptanz in der breiten Masse als ein Old-School-Bike, das mit seiner Konstruktion, Design und Farbwahl aus den Grenzen herausbricht. Das Customizing lebt jedoch genau von solchen Grenzbrechern, die Neues versuchen und somit die Begeisterung und Leidenschaft für das Customizing, unabhängig von der Stilart, beleben und bereichern.«

Marcus Walz, gilt als Vater des Drag Style:

»Für mich gibt es einige Grundsätze, die ich bei jedem Bike, das ich baue, beachte. Hierbei spielt es aber absolut keine Rolle, ob es ein Drag-Styler, Chopper, Bobber, Cafe Racer, Scrambler oder auch ein Race-Bike ist. Wichtig für mich sind natürlich die Linienführung und die Einteilung der Proportionen. Bei der Linienführung achte ich nicht nur primär darauf, dass viele Linien parallel miteinander verlaufen, sondern vor allem, dass es klare, harmonische Linien sind.

Marcus Walz

Erst dann teile ich der Front, dem Tank und Heckteil die Proportionen zu. Erst wenn diese Grundsätze weitestgehend stehen, beginne ich mit der Ausarbeitung der Details. Auch hierbei gehe ich immer nach dem Motto »Weniger ist mehr« vor. Ich verbaue in der Regel nur die Teile, die auch wirklich notwendig sind. An keinem meiner Bikes wirst du etwas finden, das nur so da ist und keine Funktion hat. Und da sind wir dann auch schon bei dem für mich wichtigsten Kriterium, das sich ganz einfach unter dem Titel »Form Follows Funktion« zusammenfassen lässt. Ich fahre schon, seit ich 16 bin, Motorradrennen. Ich weiß, wovon ich rede, wenn ich darüber spreche, ein Motorrad am absoluten Grenzbereich zu bewegen. Und all diese Erfahrung lasse ich in jedes einzelne Bike einfließen. Alle Bikes, die ich baue, mögen sie auch noch so extrem und brutal wirken, haben alles eins gemeinsam: Sie lassen sich wie ein normales Motorrad fahren! Das ist der Anspruch, den ich an mich und jedes einzelne meiner Bikes stelle.«

Silvio Künast, deutscher Customizer, der nach Schweden auswanderte:

»Also, ich habe natürlich meine Meinung zu gewissen Baustilen, aber das führt nicht weiter, als dass ich mich inspirieren oder auch abschrecken lasse. Ich versuche es für mich richtig zu machen, freue mich natürlich, wenn es anderen auch gefällt, aber es stört mich auch nicht, wenn es jemandem nicht gefällt. Spaß soll es machen! Ich habe mich davon lösen können, ständig nach der Bestätigung suchen zu müssen, dass mein Ding das Beste vom Besten ist.

Silvio Künast

Bei der Auswahl von Anbauteilen, wenn ich überhaupt noch welche verwende, ist das mehr eine Mischung aus Bauchgefühl und den Sachen, die zur Verfügung stehen, ein Abwägen zwischen dem Aufwand, etwas selbst zu bauen und dem, was erhältlich ist. Diese Antworten gelten natürlich nur für meine privaten Projekte. Für Kundenaufträge gelten andere Gesetze.«

Danny Franssen, belgischer Edelschrauber, dem man das besondere Auge nachsagt:

»Um ehrlich zu sein, hatte ich vorher nie wirklich über »Regeln im Customizing« nachgedacht. Ich folge immer meinem Bauchgefühl. Ein »Swap-Meet-Bike« erkenne ich aus einer Meile Entfernung. Ich schrieb acht Jahre lang für ein Custom-Magazin und besuchte Kerle zuhause, um sie zu ihrem letzten Projekt zu befragen. So bemerkte ich, dass eine Menge dieser Jungs noch nicht einmal wussten, ob sie ein 15”- oder 16”-Hinterrad haben, ob es ein 5“ breites oder ein 6“ breites Schutzblech ist, geschweige denn, wie viel Überlänge ihre Vordergabel hat oder wie viel Grad der Lenkkopfwinkel beträgt und um wie viel der Rahmen verlängert ist. Es scheint, als ist nicht notwendig, all diese Details zu wissen – das ist in Ordnung. Aber es zeigt, mit wie wenig Vorbereitung sie ihre Umbauten begonnen hatten. Das Endresultat: Sehr oft eine Katastrophe!

Danny Franssen

Meiner Meinung nach ist nichts Verkehrtes an »Katalog-Bikes«, aber die Teile, die du bestellst, müssen natürlich zu allen anderen Teilen und dem Stil passen. Es geht sicherlich immer um Vorlieben und den eigenen Geschmack. Aber es ist eine Tatsache – unterschiedliche Geschmäcker oder nicht – ein gut aussehendes, gut proportioniertes und sauber gefertigtes Bike gefällt fast jedem. Also muss es eine Faustregel geben. Außerdem, wenn du ein Bike baust, schaue es währenddessen immer wieder aus verschieden Blickwinkeln an. Lasse es niemals vom Anfang bis zum Ende auf der Hebebühne stehen. Schaue nach Stellen, die dir ein Dorn im Auge sind. Wenn dir etwas zu lang erscheint, kürze es. Sei nicht so schnell zufrieden. «

Hans-Joachim Maier, Automobil-Designer mit der Leidenschaft zu zweirädrigen Eigenbauten:

«Das Thema hat für mich natürlich unendlich viele Aspekte: Von der professionellen Seite her betrachtet, ist die Gestaltung eines Motorrades erschreckend komplex. Auf den ersten Blick sind es ja nur ein Haufen Technik-Komponenten, die da irgendwie, funktional sinnvoll, zusammengeschraubt sind. Das alles auch schön zu machen, ist nicht ganz ohne. Man kann sich´s natürlich einfach machen, und die ganze schöne Technik unter dem Deckmäntelchen Aerodynamik sauber vollverkleiden und ist fein raus. Ist aber eigentlich schade, denn wir wollen ja sehen, begreifen und auch befummeln, welche geniale Hightech uns da in null komma nix auf 300 beschleunigt und fast genauso schnell und sicher wieder runterbremst, oder welche archaische Vorkriegs-Technik uns stundenlang tief entspannt durch alle Schwarzwaldtäler schüttelt.

Hans-Joachim Maier

In beiden Fällen soll der fahrbare Untersatz auch optisch vermitteln, zu was die Technik imstande ist bzw. was wir von ihr erwarten. Nun gibt es da natürlich schulmeisterliche Grundsätze, Theorien und Gestaltungsprinzipien, die berücksichtigt werden wollen. Das Thema Gestaltung/Design hat nicht bei jedem Bike-Projekt den gleichen Stellenwert. Die Bandbreite reicht von der reinen Skulptur in Form eines Showbikes mit geringem Anspruch auf Funktion und Fahrbarkeit, bis hin zur Rennmaschine, die nur auf Technik und Fahrdynamik fokusiert ist.

Reduktion als Reißer

Interessant ist, dass der Racer durch die Reduktion auf das Wesentliche oft auch optisch zum Reißer wird. Konzentriert man sich auf die drei Grundelemente »Motor« – »Rad« – »Fahren«, ist man schon auf der richtigen Spur. Vor gut 100 Jahren haben die Jungs beim Bau der Boardtracker sicher keinen Gedanken an gutes Styling verschwendet, Gleiches Jahrzehnte später bei AJS-Boyracer, Norton Manx und Co. Nicht nur optisch alles nach wie vor Teile zum Niederknien. Ist ein gutes Motorrad-Design also ein Zufallsprodukt, das bei einem begnadeten Techniker so nebenher entsteht? Kann aus einem rein künstlerischen Ansatz, einer Styling-Idee, ein auch technisch gutes Bike entstehen? Beides ist möglich. Ob das Ergebnis Anklang findet und mehrheitsfähig ist, liegt im Auge des Betrachters. Ungemein hilfreich ist aber, wenn ein guter Formgestalter ein hohes Maß an technischem Verständnis mitbringt und er eine hohe Dosis von süchtigmachenden SuperPlus-Verunreinigungen im Blut hat.

Einfache Zutatenliste

Wie mach ich´s also richtig? Die Zutatenliste ist dabei eigentlich sehr übersichtlich. Man nehme einen Motor, verbinde diesen mittels Kupplung mit einem Getriebe, verbinde selbiges durch Kette, Kardan oder Riemen mit dem Hinterrad. Fertig ist der Antriebsstrang. Vorne noch ein Rad zum Lenken. Dieses mit einer Gabel an den Lenkkopf angebunden und das Ganze mittels Rohrrahmen zusammengefasst. Jetzt kommt der Mensch ins Spiel, er wird mit Lenkstange, Fußrasten und Sitzgelegenheit in die Technik integriert und nicht nur oben draufgesetzt. Die Fleißzutaten sind jetzt noch Federung/Dämpfung, Bremsen, ein paar Kabel und Züge, Beleuchtung, Schutzbleche und nicht ganz unwichtig der Kraftstoffvorratsbehälter. Aber Achtung! Jetzt kann’s ganz schnell unübersichtlich werden. Mit diesen Extras, falsch dimensioniert und positioniert kann man ruck zuck das eigentlich stimmige, puristische Gesamtbild verderben. Mit einem glücklichen Händchen kann man hier aber auch geschickt die optischen i-Tüpfelchen und Sahnehäubchen setzen und die Sache noch mal deutlich nach vorne bringen.

Customizing bleibt bunt

Ist man beruflich mit dem Thema Fahrzeugdesign befasst, dann ist man jeden Tag live dabei, wenn die Welten aufeinanderprallen: Kunst versus Wissenschaft, Einmaligkeit versus Reproduzierbarkeit, maximale Wertanmutung versus Kostenziel, persönlicher Geschmack versus Zielgruppe, Radikalität versus Alltags-Manieren und Zulassungsfähigkeit. Um nicht jeden Tag den Heldentod zu sterben, erarbeitet man sich eine gewisse Gelassenheit gegenüber der Materie. Eine solche Gelassenheit sollte man sich beim Bau des Traumbikes bewahren. Es geht um Freizeit, Freiheit und maximalen Spaß dabei. Die gleiche Gelassenheit sollte man aber auch beim Betrachten und Beurteilen von Bikes zeigen, die man selbst nie und nimmer so gebaut hätte. Respekt und Aufgeschlossenheit sind angesagt. Nur so entsteht die Vielfalt und die Andersartigkeit, die unsere Custombike-Welt so bunt macht.«

 

 

Horst Heiler
Freier Mitarbeiter bei

Jahrgang 1957, ist nach eigenen Angaben ein vom Easy-Rider-Film angestoßener Choppaholic. Er bezeichnet sich als nichtkommerziellen Customizer und Restaurator, ist Mitbegründer eines Odtimer-Clubs sowie Freund und Fahrer großer NSU-Einzylindermotorräder, gerne auch gechoppter. Als Veranstalter zeichnete er verantwortlich für das »Special Bike Meetings« (1980er Jahre) und die Ausstellung »Custom and Classic Motoräder« in St. Leon-Rot (1990er Jahre). Darüber hinaus war er Aushängeschild des Treffens »Custom and Classic Fest«, zunächst in Kirrlach, seit 2004 in Huttenheim. Horst Heiler ist freier Mitarbeiter des Huber Verlags und war schon für die Redaktion der CUSTOMBIKE tätig, als das Magazin noch »BIKERS live!« hieß. Seine bevorzugten Fachgebiete sind Technik und die Custom-Historie. Zudem ist er Buchautor von »Custom-Harley selbst gebaut«, das bei Motorbuch Stuttgart erschienen ist, und vom Szene-Standardwerk »Save The Choppers!«, aufgelegt vom Huber Verlag Mannheim.