Ihr wollt mehr Mofageschichten? Günther »Fips« Brecht wühlte in seinen Erinnerungen – an damals, als er der Kreidler-Fips aus Mannheim war.

Wir trafen uns immer noch an unserem Spielplatz in unserem Wohngebiet in den Mannheimer Innenstadt-Quadraten. Nur spielten wir nicht mehr, sondern überlegten uns, wie wir in der Umgebung wohnende Nachbarn ärgern konnten. Wir klingelten überall und freuten uns heimlich, wenn überall die Fenster aufgingen, weil die Leute schauten, wer da wohl geklingelt hatte. Wir waren völlig sorglos und alles, was von den Spießern kam, interessierte uns demonstrativ überhaupt nicht! Wenn es hieß, dass es zwischen Russland und den Amis neue Probleme gab, dann schauten wir mal kurz in den Himmel. Wenn da keine Bomber zu sehen waren, war das Problem schon wieder vergessen! Schließlich lebten wir in Ruinen und die waren durch Bomber entstanden, unser einziges Wissen über Krieg war naheliegend ein Bomberangriff.

Anfang der 60er Jahre waren noch nicht alle Spuren des Krieges beseitigt. Dafür genoss die Jugend scheinbar unendliche Freiheit

Sobald die ersten Mopeds erschienen, galt unser Interesse ausschließlich diesem Phänomen, das noch größere Freiheiten versprach. Wer so ein Ding aufreißen konnte, war der unumstrittene King. Unser Spielplatz hieß I-Plätzl, weil er in den I-Quadraten lag – der Treffpunkt der Mannheimer Innenstadt-Jugend. Wir waren die stärksten in Mannheim. Wenn’s jemand wissen wollte, dann zogen wir mit Mann und Maus in den Krieg! Manches Mal mit hundert Mann schlugen wir erfolgreich unsere Straßenschlachten. Wer ein Moped hatte, war am schnellsten vor Ort und geriet manchmal in Gefahr, eben weil er der Erste war und die Gegner noch in der Überzahl. Dann musste man tunlichst auf das Fahrrad- und Fußvolk warten, um eine angemessene Streitmacht zu bieten! Jeder hatte Original-Levi’s an und in der Arschtasche einen Kamm, um die Elvis-Schmalzlocke immer zu pflegen! Wir wurden nie angegriffen. Einmal hatte ein Neckarstädtler einem aus unserer Gruppe die Freundin ausgespannt. Grund genug, allesamt »üwwer die Brick« zu gehen und die Schande auf dem Fuß gerade zu rücken.

Alles Spießer – aber wir hatten unsere Maschinen vor der Tür

Als die Stones und die Beatles rauskamen, wagten wir uns in die Kneipen, weil schon überall diese amerikanischen Jukeboxen standen und man sich für zehn Pfennige jeden Song raussuchen konnte. Das störte die Arbeiter, die die Stammgäste in diesen Kneipen waren und man flog einfach raus, weil man zu oft »Satisfaction« von den Stones laufen ließ. Die wollten nämlich lieber »Schöner fremder Mann« und Freddy Quinn hören und nicht diese verrückte »Negermusik«. Spießer waren sie für uns. Aber wir hatten unsere Maschinen vor der Tür stehen und zogen besonders laut und mit viel Getöse ab.

Später war er mit seiner rollenden Diskothek, als Möbelhändler und bis heute als Verleger erfolgreich

Immer mehr hatten sich ein Moped zugelegt, allen voran Kreidler, aber auch Zündapps, Sachs und Hondas. Auf ihnen fühlten wir uns wie eine Großmacht und mit ihnen und der Zeit entdeckten wir auch die Stadtteile und Dörfer, die etwas weiter entfernt waren. Man besuchte sich gegenseitig und jetzt ging es nicht mehr darum, wer der Stärkere war, sondern eher, wer das schnellste Moped hatte. Kleinkrafträder kamen heraus und die waren schon von Haus aus schneller. Wer sich eines leisten konnte, war der Erfolgreichste. Aber die Mopedracer ließen sich nicht entmutigen, fingen an zu frisieren und standen den Kleinkrafträdern nicht mehr nach.

Das letzte PS aus den Motoren herausholen

Man traf sich an Schnellstraßen, beinahe täglich, um zu beweisen, dass man der technisch Versierteste war. Die Industrie spielte mit und so gab es bald Exemplare mit Fußschaltung und mit vier statt drei Gängen, irgendwann sogar mit fünf. Es war ein persönlicher Sieg, wenn man an den Kontrahenten vorbeiziehen und dann noch genüsslich einen weiteren Gang hochschalten konnte. So entwickelte sich die deutsche Jugend zu wahren Technikern, die alles draufhatten, um auch das letzte PS aus den Motoren herauszuholen. Die Schnellsten waren auch bei den Mädels die angesehensten, und so lag der Erfolg nicht nur auf der Straße, sondern auch bei der holden Weiblichkeit.

Fips aus Mannheim – damals verkaufte er noch selbstgeschriebene Kreidler-Frisieranleitungen

Auch bei offiziellen Rennveranstaltungen schauten wir uns um, schließlich war Kreidler mit seinem Fahrer Anscheidt langjähriger Weltmeister. Die Maschinen hatten Teleskopgabeln und Lenkerstummel. Wer das nachbaute, hatte neue Vorteile, alleine wegen der gebückten Sitzposition, was wegen der liegenden Fahrhaltung auch wieder ein paar km/h mehr brachte! Man gründete Clubs, die sich im Laufe der Jahre zu Rockerclubs entwickelten. Bald kamen richtige Motorräder dazu – Horex, NSU Max, BMW und Adler, immerhin noch Zweitakter wie unsere Mopeds. Und dann stürmten die Japaner den Markt, allen voran Honda. Vorbei war es mit dem Frisieren, weil die neuen Dinger von Haus aus schon wahre Rennmaschinen waren. Aber die Erinnerungen, die kann uns keiner nehmen.«

 

Redaktion
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