Der Martin macht, was er will. Musste auch Freund Rasi feststellen, nachdem er seine Harley-Davidson FXRS Low Rider aus der Kur beim Heidelberger Customizer abholte. Auf wundersame Weise war dort nämlich aus einem kruden Haufen ein Vorzeigemotorrad entstanden.
Dass Harleys FXR-Modelle schwer angesagt sind, ist mittlerweile auch nach Deutschland durchgedrungen. Dass die meisten von ihnen im sogenannten Clubstyle umgebaut werden, konnten wir jüngst auf unserer eigenen Messe beobachten, auf der zahlreiche der High-Riser-Bikes standen. Martin Becker kann dem nichts abgewinnen. Obwohl er gern sportlich baut, findet er den Stil nicht ansprechend, »das geht irgendwie komplett an mir vorbei, kann ich nix mit anfangen«, zuckt er die Schultern. Und so kam es, dass die von ihm gebaute FXRS verdammt anders als alle anderen ist – und durchaus betörend, wie wir beim Ortsbesuch in Heidelberg feststellen durften.
Rasi weiß, worauf er sich einlässt, als er seine FXR zu Martin bringt. Der hält sich nämlich nur bedingt an Kundenvorgaben, sondern baut vielmehr nur das, was ihm gefällt. Er kann es sich leisten, MB Cycles ist eine der renommiertesten Custombetriebe des Landes und seinen eigenen Stil hat Martin Becker längst geprägt. So äußert Rasi bei Abgabe des Motorrades nur einen leisen Wunsch, der Kicker soll erhalten bleiben. Ab da will er nichts mehr wissen, auch keine Zwischenstände vom Aufbau sehen. »Und das mit dem Kicker, das ging am Ende auch nicht«, grinst Martin.
Harley-Davidson FXRS Lowrider goes Racing-Bobber
Was sich im Endergebnis als obercooler Racing-Bobber präsentiert, ist allerdings ein hartes Stück Arbeit. Mit der FXR betritt Martin nämlich absolutes Neuland, nie zuvor hatte er das Modell umgebaut. »Vom Aufwand her war das neben meinem BBO-Bike von 2016 mit Sicherheit die schlimmste Kiste. Ich habe wirklich jede Schraube gedreht, an jedes Teil Hand angelegt, selbst die Lichtmaschine ist neu.« Der Motor war vor einiger Zeit bereits durch die Hände von Harley-Guru Bernhard Kramer gegangen, bei B&N Cycles wird er nochmals inspiziert und revidiert. Besonders schön, die unteren fünf Rippen der Zylinder werden abgefräst und geben dem Aggregat eine neue Optik.
Fette 1580 Kubik weist der Evo-V2 aus, 100 gemessene PS am Hinterrad sind nicht ohne. Um das Biest in Zaum zu halten, verstärkt Martin die Motorhalter am Originalrahmen, den er ansonsten komplett cleant. Sah man bei Rasis Ursprungsbike die Linie des Originalbikes kaum, so offenbart der Neuaufbau die Besonderheiten des FXR-Rahmens mit dem markanten Knick unter der Sitzbank. Der MB-Öltank wandert unter das Getriebe, die Mini-Batterie in den selbst gefertigten Sitzhöcker, das Rahmendreieck bleibt damit frei. Zwischen Getriebe und Motor sitzt eine Torque-Plate. Was im Rennsport seit Langem eingesetzt wird, sorgt auch im Alltagsbetrieb dafür, dass potente Bikes fahrwerksseitig souveräner und ruhiger laufen.
Als Kettenspanner verwendet Martin eine Skateboardrolle
Auch für die verlängerte Schwinge sind Modifikationen notwendig, als Kettenspanner verwendet Martin eine Skateboardrolle. Last, but not least wird das Frontend komplett durchgetauscht. Die Upside-down-Gabel einer Kawasaki ZXR 750 war bereits montiert, ihre Halter werden aber abgefräst und neu gedreht, das Innenrohr ist nitritbeschichtet. Samt der Kawa-Vierkolben-Bremsanlage hält die Gabel das 21-Zoll-Rad fest im Griff. Und ja, es sind wirklich nur 21 Zoll, auch wenn es live und auf Bildern deutlich größer wirkt. Der Lenker kommt von MB Cycles selbst und ist eine Demonstration in Sachen sauberer Optik.
Der innenliegende Gasgriff ist dabei nur ein Faktor, bedient wird die Fuhre über sorgsam versteckte Taster in den Lenkerenden und auf deren Unterseiten. Die kleinen Blinker sind in den Lenker eingelassen. Ebenso wie das 3-in-1-Rücklicht kaum sichtbar in den Heckrahmen verbaut wird. Der Schalter fürs Bremslicht sitzt übrigens in einer Minimallücke, die sich unterm Tank noch geboten hatte, Millimeterarbeit für den Customizer. Angesprochener Tank ist übrigens original, wird aber von Blechfee Jochen Lehmann geschmälert, um das reduzierte Gesamtbild nicht zu stören.
Außergewöhnliche Interpretation der Harley-Davidson FXR
Die aufwendigen Oberflächenarbeiten wurden beim Polier- und Schleifservice Zwickau astrein erledigt, eine dezente Lackierung in Schwarz und Silber auf Tank und Heckbürzel gibt der Harley ihr Finish. Und auch wenn Martin nichts zwingend anders machen will als andere, wie er beteuert, so tut er es doch immer wieder. Sein eigener Geschmack sorgt dafür, dass Rasis FXR eine außergewöhnliche Interpretation des Modells ist und dessen Stärken mehr als deutlich offenbart.
Info | www.mbcycles.de
Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.
Top gemacht.