Heute im Visier von Frau Reuter: Ein Werkstatthocker, eine Gebetsbank als Hilfe für Altschrauber und Schummeleien an Blinkergläsern.
Nun ist es so weit: Ich bin alt. Okay, ich laufe noch nicht unorientiert in Unterhosen durch die Straßen und piss mich dabei ein. Das kann ja noch kommen. Aber sonst … letztens ist mir nach dem dritten Schnaps schon schwummerig geworden. Das ist doch ein klares Indiz für körperlichen Verfall.
Gott sei Dank bin ich aber nicht allein auf der Welt. Die Hälfte von euch ist genauso alt wie ich, ich seh das immer in Bad Salzuflen. Und nicht wenige ziehen schon das ein oder andere Bein nach. Mir entgeht nichts! Mein Freund Hippie ist körperlich noch ganz fit, obwohl er auch schon über fünfzig ist. Da zeigt sich der Verfall eher von der geistigen Seite. Letztens saß ich mit Köppke in der Garage, wir hatten gerade einen schönen Rotwein aus Spanien im Anstich und philosophierten über das Leben und die Frauen. Und plötzlich kommt Hippie angeschlurft – »Hallo Jungs« –, schnappt sich die Bierkiste in der Ecke, stellt sie hochkant und will sich draufsetzen. Klar, das weiß ’n Blinder mit’m Krückstock: Da fallen natürlich mal eben schlagartig zwanzig Flaschen Jever Pilsener aus der Kiste. Das ist geistiger Verfall, sage ich euch. Köppke hat ihm gleich einen schönen blauen Fleck auf dem Oberarm verpasst und ihn zusammengeschissen. Dabei war es mein Bier. Aber Köppke trinkt das immer so gerne. Nun denn, Hippie musste alles wieder hübsch machen und wir haben zugesehen. Schöner, leichter, spanischer Rotwein. Bei der zweiten Flasche wollte Hippie dann mittrinken. Und damit er auch sitzen kann, haben wir meinen alten Werkstatthocker aus dem Schuppen geholt.
Frau Reuters guter alter Werkstatthocker
Während an Hippies Kinn ein rotes Rinnsal Wein runterläuft, haben Köppke und ich den gleichen Gedanken: Diese alten Werkstatthocker sind doch einfach nur noch klasse. Die muss es doch bei eBay geben! Da braucht man doch mehrere von! Die sehen ja auch gut aus. Und sind scheinbar unzerstörbar. Also macht Hippie wieder was gut und zückt sein Smartphone und recherchiert. »Ich glaub es nich«, stöhnt er auf, »das kann doch nich sein, die spinnen ja völlich, kuck ma hier, 600 Ocken für einen scheiß alten Werkstatthocker!« Stimmt, die Dinger sind im Original unfassbar teuer. Unter 200 Euro läuft da scheinbar gar nichts. Aber der Wunsch sitzt tief: Wir wollen gute, klassische Werkstatthocker haben. Das Orignal, also wohl so einer wie meiner, ist von Rowac. Eine uralte Konstruktion und definitv ein Designklassiker. Sowas stellen sich heute Zahnärzte in ihr bekacktes 120-Quadratmeter-Wohnzimmer mit Pinienfußboden und Bose-Anlage und Kühlschrank mit Eiswürfelbereiter. Und unten in der Garage steht die 2020er Harley Fuck-Bob aufm Flokati. Und davor, zum Abwichsen, natürlich ein echter Rowac-Hocker. Und ’n Karton Kleenex for Men.
Es lohnt sich also kaum, nach so einem schicken Klassiker zu suchen. Allerdings werden Werkstatthocker immer noch hergestellt. Bei Manufactum, das ist ein Edelversand, wo der Zahnarzt seine Unterhosen und Nasenhaarschneider kauft, wird tatsächlich auch ein Werkstatthocker angeboten. Neu. In Deutschland hergestellt. Und der scheint wirklich nicht schlecht zu sein. Kostet rund 150 Euro, wird aber ein Leben lang halten. Im Lehrmittelbedarf gibt es ganz ähnliche Hocker bereits ab 70 Euro, die werden wohl in Schulen in den Werkräumen genutzt. Natürlich: Das Original mit all seinen Gebrauchsspuren ist nicht zu toppen – aber auch das Neue wird schnell alt, vor allem, wenn es von Vollpfosten wie Hippie und Co. genutzt wird. Der Hocker ist, wie das Original, fünfzig Zentimeter hoch und in meinen Augen die ideale Werkstattsitzgelegenheit. Es gibt auch noch andere Größen, auch im Lehrmittelbedarf. Alles andere sieht entweder scheiße aus oder taugt nix, so wie mein alter Hazet-Rollhocker mit Sitzdämpfung. Kauft nicht solchen Scheiß, das mach ich für euch. Mein Tipp: Klassischer Werkstatthocker! Geht auch als Rauchtischchen durch. Schaut mal bei manufactum.de – da tut sich ’ne ganz neue Welt auf. Zahnarzt müsste man sein …
Eine Gebetsbank als Hilfe für Altschrauber
Der körperliche Verfall hat noch ein Kuriosum hervorgebracht: Als ich letztens mit meiner Frau durchs Gartencenter schlenderte … »wir brauchen drei Hainbuchen für das Loch in der Hecke, Hippie soll gefälligst die Pforte benutzen, sach ihm das mal, das Loch wird immer größer« …, wo war ich noch … ach ja, wir schlenderten also da rum und ich erblicke in der Gummistiefelabteilung diesen froschgrünen Hocker. So ziemlich das Gegenteil eines Rowac-Klassikers. ABER: Das Scheißding ist zusammenklappbar UND umdrehbar. Und jetzt sind wir wieder beim Verfall. Denn umgedreht fungiert er als Kniehilfe. Mal ganz abgesehen davon, dass es schon ein Riesenunterschied ist, auf dieser Gebetsbank zu knien oder auf dem steinigen Boden vor der Garage. Es ist mir fast peinlich: Man kommt auch viel besser hoch. Weil nämlich links und rechts die Beinbügel sind. Wehe, es lacht einer: Da kann man sich beim Hochkommen schön abstützen. Zum Glück hat die Frau das gleich ausprobiert und findet das »voll klasse«. Und abends war der Doktor von nebenan da, weil sein Wein alle ist, und der fand das auch prima. Und seine Olle kriegt so ’n Ding jetzt für ihr Kräuterbeet. Da ist sie schon mehrmals reingefallen, weil sie nicht mehr hochkam.
Ohne Scheiß: Für die läppischen 25 Euro ist das hier ziemlich großes Kino! Sieht echt erbärmlich aus, ist aber eine großartige Erfindung. Sowas muss man natürlich in der hintersten Werkstattecke verstecken, aber in Benutzung ist dieser Hocker, der offiziell »Knie- und Sitzhilfe« heißt, die Wucht in Tüten. Gibts im Internet, beim Garten-Dehner und überall sonst, wo Leute mit Hainbuchensetzlingen rumlaufen. Meine Entdeckung des Monats, aber bitte nicht weitersagen.
Frau Reuter malt ausgeblichene Blinkergläser an
Und dann war doch noch der TÜV für Muttis Wohnwagen. Schon vor zwei Jahren hatte der Heinzelmann im Kittel die ausgeblichenen Lampengläser als geringen Mangel angekreidet, dieses Jahr wird er das nicht mehr durchgehen lassen. Was tun? So ’n Plastik-Lampenglas von Hella kostet im Netz zwischen fünfzig und hundert Euro. Ist eben alter Kram aus den Siebzigern. Und man muss auch erst mal fündig werden. Aber ich bin ja nicht doof! Der Doktor hatte auf seiner letzten Gartenparty, wo Hippie mit dem Labrador vom Doc im Arm unter der Tischtennisplatte eingeschlafen ist, eine ziemlich beindruckende Lichterkette gebastelt. Die Lämpchen hat er von seiner Frau in Heimarbeit mit Glasfarbe anmalen lassen. Das sah ganz heimelig aus, etwa wie im thailändischen Billig-Bordell. Na, jedenfalls hab ich mich daran erinnert und mir im Bastelladen drei Farbtöne gekauft: Gelb, Orange und Rot. Ich war mir nicht sicher, ob die Blinkabteilung nun wirklich gelb oder doch orangestichig ist. Sie ist, das weiß ich nun, gelb. Gemalt wird natürlich von innen. Ich hab den Lack mit einem Pinsel aufgetragen, das sieht im Detail etwas luschig aus.
Mehrere Schichten mit dem Airbrush wären bestimmt toller gewesen. Aber da muss man wieder abkleben und all das, und dann geht vielleicht der Lack wieder ab und hängt am Klebeband. Pinselarbeit ist immer noch sicher und künstlerisch wertvoll, denke ich mir. Ich musste bestimmt vier Schichten auftragen, weil die Farbe doch SEHR transparent ist. Aber was solls: So ’n Farbtopf kostet drei Euro. Ich hab für neun Euro beide Lampengläser auf Vordermann gebracht. Und: Der Wohnwagen hat TÜV! Arschlecken, würde mein Sohn sagen. Meine alten SR-Blinkergläser sind auch schon ordentlich ausgeblichen – da geh ich jetzt mal mit der Sprühpistole bei. Denn wie heißt es so schön: Versuch macht kluch. Oder aber auch: Alter schützt vor Torheit nicht.
Und mit diesen Worten schnappe ich mir meinen Rollator, lege mir eine kühle Inkontinenzwindel in den Nacken und setz mich in den Garten. Dieser spanische Rotwein ist einfach zu lecker. Wegen der anschwellenden Beine sollte ich die Füße hochlegen – dafür habe ich jetzt einen grünen Hocker. Ist doch alles gut, finde ich.
Frau Reuter
Martin Reuter ist unter seinem Pseudonym »Frau Reuter« inzwischen zweitdienstältester Mitarbeiter der CUSTOMBIKE. Der freischaffende Künstler rezensiert mit spitzer Feder und scharfem Wort Produkte, die seiner Meinung nach etwas Aufmerksamkeit bedürfen. Im wahren Leben ist er als Illustrator, Fotograf und Textautor tätig und spielt ganz nebenbei Bass und Orgel in der zweitschlechtesten Band der Welt. Kulinarisch betrachtet kocht er scharf und trinkt schnell. Als echtes Nordlicht badet er selbstverständlich nur in Salzwasser. Seine Vorlieben sind V8-Motoren und Frauen, die Privatfernsehen verschmähen. Stilecht bewegt er eine 76er Harley, restauriert eine Yamaha SR 500 und bewegt sich politisch korrekt die meiste Zeit mit dem Fahrrad fort.