Dieselmotoren in Custombikes sind so ungewöhnlich wie selten. Hier wurde um einen Deutz Diesel Stationärmotor ein komplettes Motorrad konstruiert. Oberkrass!

Zugegeben, die Liebe zu Dieselmotoren hält sich bei den meisten von uns in Grenzen und bezieht sich, wenn überhaupt, dann doch mehr auf den vierrädrigen Untersatz. In einem Bike wollen wir den schlagenden Selbstzünder besser nicht wissen. Vielleicht lag gerade darin der Reiz für Gerhard Wingen. Der gelernte Werkzeugmacher hat Spaß an der Konstruktion und wollte schon immer etwas Besonderes bauen.

Deutz Diesel – Stationärmotor für’s Bike

Sein Vater war Konstrukteur beim traditionsreichen Kölner Motorenhersteller Deutz und hält einige Patente. Was lag da näher, als einen »Stationärmotor« zu verwenden. Schließlich sind diese Einzylinderdiesel in der von Gerhard bevorzugten Ausführung mehr als 75000 Mal gebaut worden. Zwar lag ihr Einsatzgebiet nicht darin Fahrzeuge anzutreiben, sondern vielmehr Generatoren, Maschinen und Aggregate aller Art, dennoch sollten sie mit einigen Modifikationen auch für den Vortrieb von Zweirädern taugen.

Am Anfang war die Idee, und die bestand hauptsächlich aus dem Antrieb. In Frage kam nur ein Stationärmotor von Deutz. Der wuchtige Einzylinder-Dieselmotor leistet lediglich sechs PS, verfügt über ein enormes Drehmoment und bringt 185 Kilogramm auf die Waage. Den Rahmen hat Gerhard quasi um den Motor herumkonstruiert. Das gesamte Bike ist mit gut 350 Kilogramm kein Leichtgewicht

Mit schlappen sechs PS Leistung sind keine Geschwindigkeitsrekorde zu erwarten, dafür verfügen die hochverdichteten Einzylinder über ein enormes Drehmoment. Außerdem ist Gerhard ein Fan von Oldtimern, fasziniert von einfacher Technik und ein völlig elektrikfreies Motorrad zu erschaffen hatte für ihn einen ganz besonderen Reiz. Doch dazu später mehr.

Deutz Diesel im Eigenbau-Rahmen

Er macht sich auf die Suche nach einem einigermaßen gut erhaltenen Stationärmotor. Bei einem Internetauktionshaus wird er fündig. Der Motor ist überholt, kostet knapp siebenhundert Euro und liegt in Köln abholbereit. Zurück in der bayerischen Heimat beginnt der Aufbau, der insgesamt fast zwei Jahre dauern soll. Einen fertigen Rahmen für den Klotz von Motor, der alleine schon 185 Kilogramm wiegt, gibt es nirgends zu kaufen. Gerhard muss selbst einen konstruieren.

Durch diesen Stutzen fließt kein Diesel. Hier wird das zur Verdampfung (Kühlung) benötigte Wasser eingefüllt

Er fertigt technische Zeichnungen an, verwirft sie wieder, um neue anzufertigen. Erst als er mit Form und Linienführung zufrieden ist, begibt er sich auf die Suche nach einer Rohrbiege-Firma und lässt die Rahmenteile nach seinen Angaben in Form bringen. In seiner beengten Garage schweißt er das Rahmenkonstrukt zu einer funktionierenden Einheit zusammen und verheiratet es mit dem betagten Deutz-Diesel. Um die Vibrationen des Langhubers einigermaßen abzufangen, wird er auf Gummiblöcken gelagert.

Die Kreiselkräfte sind nicht so schlimm wie befürchtet

Obwohl die beiden Schwungscheiben rechts und links des Motors mit ihren Kreiselkräften möglichen Schräglagen entgegenwirken, schwört Gerhard auf die Fahrbarkeit. »Natürlich geht es nicht einfach um die Kurven, dafür hat der Deutz-Rocker auch zu wenig Bodenfreiheit und einen geringen Lenkeinschlag, aber die Kreiselkräfte sind nicht so schlimm wie befürchtet. Dafür läuft er super geradeaus.«

Der Startvorgang wird ohne Strom ausgeführt. Hier ist Handarbeit gefragt: Leitung entlüften …

Als Gabel dient eine Springer aus einem US-Trike. Die ist kräftig genug, um mit dem immerhin gut 350 Kilogramm schweren Bike zurechtzukommen. Die Räder spendet eine Harley, die Scheibenbremsen stammen vom italienischen Spezialisten Brembo. Alles vertraute Standardware, die man in vielen Motorrädern wiederfindet. Nur beim Getriebe wird es erneut außergewöhnlich.

Deutz Diesel mit DAF-Variomatik

Die alten Hasen werden sich sicher noch an den niederländischen Automobilbauer DAF erinnern, der in den 70er und 80er Jahren Kleinwagen mit einem besonderen Getriebe auf den Markt brachte. Die »Variomatik« ist eine stufenlose Keilriemenautomatik und soll für ein möglichst ruckfreies Fahren im optimalen Drehzahlbereich sorgen. Mit einem Nachteil: »Es ist ein verlustreicher Antrieb«, wie Gerhard einräumt.

… Glimmstäbchen vorbereiten, in den Motorraum einbringen …

Aber aus Spaß an der Freude musste das Ding seinen Platz im Deutz-Rocker finden, zumal DAF und Deutz geschichtlich verbunden sind. Beide gehörten neben Saviem und Volvo zum sogenannten »Vierer-Club«, einer Kooperation europäischer Nutzfahrzeughersteller. Die Variomatik funktioniert nach einigen Anpassungen inzwischen bestens, erst recht seit Gerhard eine modifizierte Neun-Scheiben-Trockenkupplung aus einer Kawasaki Ninja verbaut hat.

Strom wird überhaupt nicht benötigt

Die fehlende Elektrik lässt sich schnell erklären. Da der verbaute Stationärmotor ein Selbstzünder ist, kann man komplett auf Zündung und Anlasser verzichten. Blinker und Co. fehlen ebenfalls und die restliche Beleuchtung übernehmen Karbid-Lampen. Strom wird also überhaupt nicht benötigt. Zudem ist es ein »Verdampfer«, eine Besonderheit von Motor, die ohne Kühler und Radiator auskommt.

… kurbeln, und schon erwacht der Selbstzünder zum Leben

Die Kühlung übernimmt ein offener Wassermantel, der den Zylinder umspült und durch Verdunstung für die richtige Temperatur sorgt. Lediglich der Wasserverbrauch ist exorbitant hoch. Das Teil nuckelt am Tag gerne vier bis fünf Liter vom wertvollen Nass, verbraucht aber nur bescheidene 1,5 Liter Diesel in der Stunde. Verrückte Welt.

Die Schläge des wuchtigen Kolbens gehen durch Mark und Bein

Dafür ist das Anlassen ein Prozess, der, einem Ritual gleich, zelebriert werden will. Zuerst muss die Spritleitung entlüftet werden. Dann wird ein beschichtetes Glimmstäbchen, das übrigens extrem heiß abbrennt, in den Motorraum geschoben und anschließend mit der Kurbel der Motor gedreht. Nach drei bis vier Umdrehungen springt er auch meistens an. Die Schläge des wuchtigen Kolbens gehen durch Mark und Bein.

»Länge läuft«, wie es so schön heißt. Um die Kurven geht es dafür nicht so gut

Im Standgas stampft der Diesel mit gerade einmal 600 Umdrehungen gemütlich vor sich hin. Seine Höchleistung erreicht er bei 1500 Umdrehungen, was für gut 100 km/h reicht. Damit dürfte der Deutz-Rocker der schnellste Verdampfer-Diesel auf diesem Planeten sein. Zumindest bis das Gegenteil bewiesen ist. Und eines der ungewöhnlichsten Custombikes ist der Deutz-Rocker sowieso, auch ohne TÜV.

 

Christian Heim