Für einen Kunden einen Chopper zu bauen ist eine Sache. Dabei freie Hand zu haben – zumindest was die Optik betrifft – eine ganz andere. Martin Becker ging in die Vollen und belebte mit dieser Fiedler-Yamaha XS 650 ein seltenes Stück Motorradgeschichte wieder.

»Wir kannten uns schon eine Weile. Vor Jahren hatte ich einen 66er Ford Thunderbird von ihm gekauft. Hier und da trafen wir uns auf irgendwelchen Partys oder Treffen und eines Tages stand Klaus dann in meiner Werkstatt«, legt Martin das Beziehungsverhältnis zu seinem Kunden offen. Dieser hatte sich für kleines Geld eine Yamaha XS 650 gekauft und fragte nun, ob Martin ihm diese etwas »pimpen« könne. Vielleicht mit einer langen Gabel, vielleicht auch etwas oldschoolig? Aus solchen Anfragen resultieren Aufträge.

Freie Hand beim Umbau – der Traum jedes Customizers

Auch wenn manchmal das ein oder andere Problem erst aus dem Weg geräumt werden muss. Und bei Klaus gibt’s so ein Problem: Er sieht auf der originalen Yamaha aus, als würde er auf einem Versandhaus-Klapprad sitzen. Seine guten Einmeterneunzig müssen auf einem Chopper erst mal optisch stimmig untergebracht werden. Eine längere Hinterradschwinge? Ein langes, starres Rahmenheck? Alles schon gesehen, nicht aber in Deutschland und sicherlich nicht mit TÜV. »Wir brauchen also einen anderen Rahmen … sonst wird das nichts!« Martin hat da schon so eine Ahnung, was gehen könnte.

Alte deutsche Chopperschmieden

Er will das Fahrwerk einer alten deutschen Chopperschmiede, die schon in früheren Jahren eigene Rahmen mit TÜV oder ganze Chopper mit Zulassung gebaut hatte. Mit Blick auf die 650er Yamaha XS käme da zunächst »AME« – die bekanntesten Erbauer legaler Chopper – in Frage. Weniger bekannt waren Firmen wie »Fiedler«, »TWA«, »Ludger und Funke« und »Kruska & Papenhöfer«, die zwischen 1975 und 1995 geprüfte Chopper-Fahrwerke auf dem deutschen Markt hatten. Hinzu kamen einige – wie auch immer getüvten – englische Chopper von »Desperate Dan«, »Uncle Bunts« und »Nottingham Custom Cycles« mit starren Fahrwerken oder nach dem H-D Softail-Baumuster gefertigt.

Passt perfekt: Rabbit Ear-Lenker

Irgendjemand soll auch noch die Gutachten zum sogenannten »Stieber«-Umbau an Yamaha-XS-650-Rahmen besitzen, der die legale Reduzierung der Sitzhöhe eines gefederten XS-Rahmens möglich macht. Bei Klaus’ Größe würde ein Stieber-Umbau allerdings nichts helfen. Da müsste schon ein längerer Rahmen her. Martin checkt ebay Deutschland: Zufall oder Fügung – er findet einen alten Rahmen von »Fiedler« mit Papieren. Gerade mal 25 Kilometer von seiner Werkstatt entfernt. Und da in Deutschland ein Fahrzeug nach der Rahmennummer und nicht nach der Motornummer registriert ist, könnte damit der Aufbau des XS-Choppers legal erfolgen. Da wird nicht lange gefackelt: Angerufen, gekauft und einen Abholtermin vereinbart. Noch am gleichen Tag steht der Rahmen in Heidelberg.

Fiedler ist noch aktiv am Markt

Martin macht sich in Sachen Fiedler-Rahmen schlau und weiß jetzt unter anderem, dass Hartmut Fiedler damals Chopperrahmen mit Geradewegfederung geschaffen hatte, weil der TÜV zu der Zeit keine neuen Starrrahmen zuließ. Das Federungselement ist am Rahmenende angeschraubt, kann aber auch gegen eine Dreiecksplatte ohne Federung – beispielsweise für Showzwecke – getauscht werden. Die erste TÜV-Abnahme musste bei Fiedler erfolgen.

Lange Gabel, cleaner Look – so muss ein Chopper aussehen

Er hatte Rahmen für Harley-Motoren, Yamaha-TR-1 und XS-650-Motoren sowie für Triumph Twin-Antriebsaggregate im Programm. Bei der »Lowrider« Bauart muss die Gabel 10 cm länger sein als beim originalen Motorradtyp und bei der »Chopper«-Rahmen-Version sollen 20 bis 25 cm längere Standrohre oder entsprechend lange Springer- und Girdergabeln verwendet werden. 1993 waren hinten 15“- oder 16“-Räder mit Reifen bis zu 180 mm Breite möglich. Vorn sollten 19“- oder 21“- Räder eingebaut sein.

Fishtails zum Saugen und Blasen

Nachdem der Motor ins Fahrwerk gesetzt ist, kommt Kumpel Jens alias »Ossi James« zum Zug. Der knotet eine neue Auspuffanlage mit Fishtail-Töpfen und fertigt passende »Luftansauggehäuse« aus abgeänderten Fishtails. Eine CCI-Springergabel mit Prüfgutachten wird geordert, angepasst und mit Risern versehen, die von Harley-Davidsons Rocker-C-Modell stammen. Die darin geklemmten, einstellbaren Lenkerhälften im Rabbit-Ear-Look stammen von einer Sportster und sehen aus, wie für diese Kombination geschaffen. Martin wirkt bei unseren Fotoaufnahmen recht verloren auf dem Chopper. Doch das muss so sein, weil die Yammy eben auf Klaus’ Gardemaß gefertigt ist – ein echter Custommade-Chopper eben.

Info | mbcycles.de

 

Horst Heiler
Freier Mitarbeiter bei

Jahrgang 1957, ist nach eigenen Angaben ein vom Easy-Rider-Film angestoßener Choppaholic. Er bezeichnet sich als nichtkommerziellen Customizer und Restaurator, ist Mitbegründer eines Odtimer-Clubs sowie Freund und Fahrer großer NSU-Einzylindermotorräder, gerne auch gechoppter. Als Veranstalter zeichnete er verantwortlich für das »Special Bike Meetings« (1980er Jahre) und die Ausstellung »Custom and Classic Motoräder« in St. Leon-Rot (1990er Jahre). Darüber hinaus war er Aushängeschild des Treffens »Custom and Classic Fest«, zunächst in Kirrlach, seit 2004 in Huttenheim. Horst Heiler ist freier Mitarbeiter des Huber Verlags und war schon für die Redaktion der CUSTOMBIKE tätig, als das Magazin noch »BIKERS live!« hieß. Seine bevorzugten Fachgebiete sind Technik und die Custom-Historie. Zudem ist er Buchautor von »Custom-Harley selbst gebaut«, das bei Motorbuch Stuttgart erschienen ist, und vom Szene-Standardwerk »Save The Choppers!«, aufgelegt vom Huber Verlag Mannheim.