Die großen Moto-Guzzi-V-Zweizylinder gelten als charakterstark und zugleich uneingeschränkt alltagstauglich. Grund genug, die Modelle mit Toni-Rahmen und Rundmotor einmal näher zu betrachten. Von der V7 Sport über die 850 T3 bis zur Le Mans II.
Moto Guzzi und Kaufberatung, das ist ein bisschen wie Liebesheirat und Ehevertrag. Kann man so ein Emotionseisen überhaupt nach rein sachlichen Kriterien bewerten? Bei einer Tiefkühltruhe zählt die Energieeffizienz, bei einem Wandregal das Material. Aber bei einer Guzzi? Doch erinnern wir uns: Bereits die ersten V7-Modelle wurden für harten Behördenalltag entwickelt, später dann für anspruchsvolle Langstreckenfahrer. Auch die Nachfolger bewährten sich als Polizei- oder Gespannmaschinen. Pragmatismus ist den V2-Bikes aus Mandello del Lario also gar nicht fremd. Na dann eben: Kaufberatung.
Blick auf Rundmotor-Guzzis mit Toni-Rahmen
An dieser Stelle betrachten wir vor allem die Modelle ab 1973 mit dem nach seinem Entwickler Lino Tonti benannten Tonti-Rahmen und mit Rundmotor, bei denen nicht etwa der Motor, sondern die Kühlrippen der Zylinder und Köpfe rund geformt sind. Darunter fallen große Namen wie V7 Sport, 750 S, S3, touristische Volumenmodelle wie 850 T, T3, T4 oder 1000 SP und G5, aber auch die Le Mans und die Le Mans II. Vieles hier Gesagte passt auch auf die prinzipiell sehr ähnlichen Nachfolgetypen mit „eckigen“ Zylindern. Hier reden wir im Detail aber den attraktiveren, älteren Guzzis das Wort. Ihre Stärken und Schwächen vollziehen wir am Beispiel einer weitgehend originalen 750 S von 1974.

Auch wenn es gar nicht so aussieht: Ein Tourer wie etwa eine 850 T3 California unterscheidet sich grundsätzlich kaum von einer 850 Le Mans, auch wenn er mit Koffern, Trittbrettern und Sturzbügeln ganz anders wirkt. Rahmen, Gabel, Bremsen, Räder und die meisten Technikkomponenten sind baugleich. Lediglich höher verdichtende Kolben, größere Ventile und 36er Dell’Orto-Vergaser heben die Leistung der Le Mans von 59 auf 70 PS. Unterschiede gibt es dann nur noch bei den Anbauteilen wie Tank, Sitzbank, Schutzblechen oder Fußrasten. Kein Wunder also, dass sich häufig zu Sportlern oder Cafe Racern umgebaute Tourer am Markt finden. Das muss nicht schlecht sein.
Moto Guzzis großer V2 lässt sich problemlos auf 100 PS aufblasen
Die Motoren lassen sich problemlos zu deutlich mehr Leistung als den serienmäßigen 59 PS (850er) oder 61 PS (1000er) überreden – und das bei erfreulicher Zuverlässigkeit. Originalitätsfanatiker aber suchen sie weiter, die unverbastelte V7 Sport, die S oder die Le Mans. Die Ersatzteilversorgung ist erfreulich gut, vieles ist neu und zu halbwegs erträglichen Preisen erhältlich. Immer wieder gibt es bei bestimmten Teilen aber auch Engpässe. So gibt es zeitweilig keine Le-Mans-Auspuffanlagen, manchmal sind Zylinder oder Köpfe rar, und nach der Schließung der Motorradsparte bei Grimeca gibt es keine Naben für Speichenräder mehr.

Hat man sich für ein Modell oder einen passenden Umbau entschieden, ist die Kenntnis der Schwachstellen Gold wert, Stichwort Tiefkühltruhe. Alle Guzzi-Modelle sind überdurchschnittlich robust und halten, einmal gründlich überholt, locker 100 000 Kilometer ohne größere Schäden durch. Ausnahme bildet der Ventiltrieb der Sportmodelle, der manchmal schon nach 40000 Kilometern eine Überholung nötig hat. Klappergeräusche und schlechtes Startverhalten sind erste Warnzeichen. Nur bei den frühen Modellen bis 1974/75 hängen die Krümmer per Überwurfmutter am Zylinderkopf. Das Gewinde im Aluguss der Köpfe ist oft beschädigt und entsprechend undicht.
Die Steuerkette der Guzzis mit Rundmotor neigt zu vorzeitigem Ableben
Problemlos hingegen präsentiert sich die Stehbolzenbefestigung der späteren Modelle. Kolben und Zylinder sind nur als Satz erhältlich (weil Nigusil-beschichtet und daher nicht schleifbar), halten aber entsprechend lange. Zu vorzeitigem Ableben neigt die Steuerkette, die serienmäßig über einen starren Spanner verfügt und irgendwann zu schlagen anfängt. Abhilfe bringt ein automatischer Spanner – und ein regelmäßiger Tausch der Kette. Die Dell’Orto-Vergaser, egal ob VHB 30 oder PHF 36, gelten als absolut problemlos – sie verdrecken in aller Regel auch nach der Winterpause nicht, Schieber wie Nadeln leben sehr lange.

Auch bei der Kraftübertragung gibt es keine Überraschungen. Während die Zahnräder des Getriebes und des Kardanantriebs (hier vor allem das Kegelrad zur Kardanwelle) erst nach sehr hohen Laufleistungen zu Pitting neigen, geht es dem Kreuzgelenk im rechten Schwingenholm eher an den Kragen. Ein Indiz, das nicht ignoriert werden sollte: Vibriert die rechte Fußraste bei Fahrt stärker als die linke, sollte man sich der Sache bald annehmen. Kupplung und deren Mitnehmerverzahnung können nach 50000 Kilometern ebenfalls verschlissen sein. Hartes Einrücken ist die Folge. Zum Austausch müssen Motor und Getriebe raus, was mit viel Arbeit oder hohen Kosten verbunden ist. Auch wenn einer der Simmeringe zwischen Motor und Kupplung oder Getriebe und Kupplung undicht ist, ist das der Fall. Erkennbar ist dies an Öltropfen, die sich unter der Kupplungsglocke sammeln.
In einem alten Kabelbaum kann so manche Falle lauern
Nach der Öllecksuche an den Ablass- und Kontrollschrauben von Motor, Getriebe und Kardan (hier verschleißen die Gewinde im Aluguss, wenn zu fest angezogen wurde) ist der Technikrundgang an und für sich schon beendet. Wäre da nicht die Elektrik. In einem alten oder verbastelten Kabelbaum kann so manche Falle lauern. Funktionieren alle Verbraucher? Alle Schalter? Geht das Generatorlämpchen aus, sobald der Motor mehr als 1500 Touren dreht? Zieht der Anlasser kräftig durch? Wenn nicht, ist irgendwo der Wurm drin. Übrigens kann es der Lichtmaschine unter den frühen Aluminiumabdeckungen ohne Lüftungsschlitze zu warm werden. Hier zeugen untergelegte Scheiben vom Sachverstand des (Vor-)Besitzers.

Zeit, sich dem Fahrwerk zu widmen. Machen die Dichtringe der mit Kartuschen bestückten Telegabel ihrem Namen Ehre? Oder hat vielleicht sogar jemand die Klemmschrauben für die Steckachse zu fest angezogen und damit das Tauchrohr irreparabel beschädigt? Die verbauten Brembo-Doppelkolbenbremsen geben sich nicht nur effektiv und ihrer Zeit weit voraus, sondern auch unauffällig. Schlimmstenfalls sind beim Entlüften schon mal die Entlüfternippel abgebrochen. Bei langen Standzeiten kann – wie bei Scheibenbremsanlagen anderer Hersteller auch – ein Reparatursatz für Zangen und Pumpe fällig werden. Übrigens dürfen die Graugussscheiben ruhig rostig aussehen. Schon die erste Bremsung bringt den Glanz zurück.
Der Einstieg in die Welt der großen Guzzis: Tourer mit Gussrädern
Modelle mit Hochschulter-Speichenrädern von Borrani sind übrigens durchweg locker 500 Euro teurer als solche mit den typischen Knickspeichen-Aluminiumrädern. Eine Ausnahme bildet hier einzig die erste Le Mans, die gemeinsam mit den Speichenrad-Modellen V7 Sport, 750S und S3 die preisliche Spitze markiert. Zwischen 10.000 Euro bis über 20.000 Euro kostet das Vergnügen an einer gepflegten und originalen Sport-Guzzi. Die seltenen, 1972 in der Rennabteilung aufgebauten V7 Sport „Telaio Rosso“ liegen nochmals weit darüber, werden aber sowieso nicht über normale Plattformen angeboten. Den Einstieg in die Welt der großen Guzzis markieren Tourer mit Gussrädern.

Ab 4.000 Euro ist man mit einer T3 oder 1000 SP ohne Wartungsstau dabei. So oder so, die 30 bis 40 Jahre alten Zweizylinder-Motorräder sind noch heute absolut robust und alltagstauglich und dabei charakterstark und flott zu bewegen. Voraussetzung dafür ist regelmäßige Pflege. Gibt es darüber Belege? Jetzt kann man auch gleich einen Blick in die Fahrzeugpapiere werfen, um zu checken, ob eventuelle Veränderungen auch eingetragen und somit legal sind. Anders als das penibel geführte Wartungsheft ist diese Spalte bei der gezeigten 750S übrigens jungfräulich leer. Die alte Dame darf unbehelligt von äußeren Eingriffen ihren Lebensabend genießen.


