Nächstes Wochenende steigt in Biarritz wieder die große Moped-Sommer-Sause. CUSTOMBIKE war vor acht Jahren das erste Mal beim Wheels and Waves – ein Blick zurück, wie es damals war …

Klar, wir sind viel auf Veranstaltungen unterwegs. Veranstaltungen in Süddeutschland, in Nordeuropa oder irgendwo auf der Welt. Meistens müssen wir zügig mit dem Wagen hin, auch schon mal mit dem Flieger. Die Fotoausrüstung im Handgepäck und manchmal ist ein kuscheliges Zimmer vorgebucht. Viel zu selten jedoch fahren wir mit dem eigenen Bike, und dann meistens vor der eigenen Haustür. Vor Ort treffen wir dann viele alte Bekannte und interessante neue Gesichter, die hunderte von Kilometern mit dem Starrrahmen-Chopper oder gebeugt über ihre Clip-Ons angereist sind. Nachdem sie ihr Zelt aufgebaut haben erzählen sie sich gegenseitig Geschichten von der Straße. Das kann weh tun. Denn wir sind nunmal oft für die nächste Ausgabe unterwegs, viel Zeit für An- und Abreise bleibt da im eng getakteten Redaktionsalltag oft nicht übrig. Unsere Geschichten von der Straße will niemand hören. 

Mit dem Guzzi-Bobber von der Provence bis an die Atlantikküste

Hin und wieder siegt über den Pragmatismus daher der Wunsch, ein Treffen aus der typischen Teilnehmerperspektive betrachten zu können. Für das »Wheels and Waves« im baskischen Biarritz hatte ich mir vorgenommen, die 700 Kilometer von der Provence bis an die Atlantikküste mit meinem Moto-Guzzi-Bobber abzureiten und die Treffentage ausschließlich auf zwei Rädern zu erleben. Und neben Zelt, Kamera und Zahnbürste hatte ich auch genügend Zeit im Gepäck, um den Weg genießen zu können. Startpunkt ist die beschauliche Gemeinde Saint-Rémy-de-Provence, von wo aus ich als kurzen Stopp die römische Ruinenstadt Glanum anfahre. Weit muss ich heute Nachmittag nicht mehr trommeln, ich will mein Zelt im nahen Fontvieille aufschlagen. Daher kann ich noch auf einen Kaffee den von einer Burgruine überragten Felsenort Les Baux besuchen. Hier wimmelt es von Reisegruppen, doch trotz der vielen lärmenden Touristen verströmen die mittelalterlichen, autofreien Gassen ihren unwiderstehlichen Charme. 

Frühstückspension und Fünf-Sterne-Suite? Nope! Die schönsten Abenteuer erlebt man auf einer kaum fingerdicken Therm-a-rest-Matte und unter einer flatterigen Zeltplane

Bereits früh morgens sitze ich auf dem Motorrad. Doch auch wenn ich heute noch bis hinter Toulouse kommen will, scheint mir eine Pause in Arles angebracht. Zu verlockend ist der historische Stadtkern mit seinem zentral in der Altstadt gelegenen Amphitheater, zu köstlich ein Salade Camarguaise im ehemaligen Wohnort Vincent van Goghs. Bei 130 Stundenkilometern lasse ich die Camargue schnell links liegen, passiere Nimes sowie Montpellier und verabschiede mich bei Narbonne von betörenden Ausblicken auf das Mittelmeer. Im Landesinneren weicht das angenehm heiße Klima einer schwer zu ignorierenden Wolkenfront. Hinter Carcassonne verlasse ich die Autobahn. Es wird Zeit, die Glieder zu strecken und einen Fluch in Richtung düsterem Himmel zu senden. Bei leichtem Nieselregen erreiche ich früh das Haus eines Freundes bei Toulouse. In seinem Gästezimmer kann ich die kommende Nacht verbringen.

Im strömenden Regen zum Wheels and Waves

Rund 350 Kilometer sind es bis Biarritz. Nach einem gesunden Mix aus Landstraße und Autobahn will ich noch heute am Atlantik ankommen. Ach ja, es regnet in Strömen und macht nicht den Anschein, irgendwann wieder in Sonnenschein umschlagen zu wollen. Einen solchen Sturzregen verbindet man eher mit dem Wattenmeer in Dänemark, nicht aber mit Südfrankreich (ob es hier Mitte Juni schon jemals so geregnet hat?). Ich habe nur dieses eine Paar Stiefel dabei und ich fahre in Jeans. Der einzigen Jeans. Und hatte ich erwähnt, dass ich ohne Vorderradschutzblech unterwegs bin? Nun denn, so hält sich der dynamische Fahrgenuss in den Pyrenäen in engen Grenzen. Früher als geplant klemme ich mich auf die A 64, erahne in der von meinem eigenen Vorderrad aufgetürmten Gischt Straßenschilder mit Namen wie Auch, Pau oder Dax und treffe an einer freudlosen Autobahntankstelle ein paar französische Gleichgesinnte. Sie triefen aus allen Poren. Auch einige von ihnen sind ohne Frontfender Richtung Biarritz unterwegs. Sie lachen.

Fest für die Augen: Touri-Idyll Les Baux-de-la-Provence

Am Nachmittag erreiche ich unsere Ferienwohnung in Bidart, die eigentlich für vier Personen ausgelegt ist, von uns aber zu siebt bewohnt wird. Bereits nachdem ich die wenigen noch trockenen Sachen angezogen habe, ist der Grein über die Regenfahrt vergessen. Schlimmer noch, jetzt kommt sie mir vor wie ein schöner Ausflug. Ein Ausflug ins Mekka einer neuen Custombike-Bewegung, ins Zentrum der Hipsterkultur, der Surfer und Spaßfahrer. 

Im mondänen Badeort fallen die Motorräder ein

Es ist Donnerstag, und bereits jetzt ist der mondäne Badeort angefüllt mit Szenevolk. Von den malerischen Fachwerkhäusern hallt der Klangteppich von V2-Motoren und BMW-Boxern zurück. Auf der Promenade und vor dem Casino parken abgehungerte SR 500 und seltene Vorkriegsoldies einträchtig nebeneinander. Vor allem auf dem Veranstaltungsgelände an der Cité de l’Océan, dem kaum fünf Kilometer vom Zentrum entfernten Meereszentrum, überwiegen die alten Baujahre: Condor aus der Schweiz, Knuckleheads aus Frankreich, Königswellen-Ducatis aus Spanien und überall Zweiventil-BMWs. Auch meine Guzzi freut sich über Verwandtschaft und überhaupt sind hier Retro-, New-Heritage- und Vintage-Neubikes extrem angesagt.

Die Karren im Village wurden zum Fahren gebaut – selbst im Regen

Harley, Yamaha und BMW fahren dick auf, präsentieren ihre Umbauten samt dazugehöriger Bikebuilder aus Japan, Deutschland oder den USA. Aus der einheitlich dekorierten Zeltstadt erklingen Reggae-Rhythmen, trotz Wolkenhimmels kommt sofort Urlaubsstimmung auf. Am Abend findet die Eröffnung der »Art Ride Exhibition« in der Galerie im Zentrum von Biarritz statt. Während sich zwischen Gemälden von Clash-Drummer Paul Simonon oder einer feinen Motorradstiefel-Retrospektive ausgewählte Motorradpretiosen wie Crocker, Brough Superior, BSA Goldstar, MV Agusta oder Panhead-Chopper präsentieren, flanieren draußen die Besucher auf ähnlichen Geräten mit Vollgas durch die Menge.

Das Wheels and Waves ist ein Hipster-Event par excellence

Der Freitag steht im Zeichen des »Punk’s Peak Race« beim spanischen Jaizkibel. Angeheizt von berauschten Zuschauern siegt auf der leicht kurvigen Viertelmeile erneut die Lucky-Cat-BMW mit ihrer auffälligen Dustbin-Verkleidung. Samstags brennt die Luft im Village an der der Cité de l’Océan. Szenige T-Shirts, seidene Halstücher und coole Sunglasses finden reißenden Absatz. Gummierte Regenhosen werden nicht angeboten. Im Umfeld der Veranstaltung finden übrigens allerorten kleinere Partys statt. Je nach dem, wen man gerade kennt oder wer einem soeben über den Weg läuft, der berichtet über eine Strandparty in Guethary, ein gemeinsames Barbeque in der Stadt, eine Zimmersause im Hotel. Ein paar dieser Nebenschauplätze nehme ich mit, und damit die Gelegenheit wahr, intensivere Gespräche zu führen. Ja, das Wheels and Waves ist ein Hipster-Event par excellence. Eitel, modisch, ein wenig kindisch. Aber nur selten habe ich mehr Spaß gehabt, trotz des wechselhaften Wetters. Ob es daran liegt, dass ich mit dem Motorrad angereist bin?

Info |  wheels-and-waves.com

 

Dirk Mangartz