Der Name der leider schon vor zwei Jahren eingestellten BMW R nineT Racer ist Programm. Ein bisschen körperliche Geschmeidigkeit sollte man schon haben, will man die eigenen Fähigkeiten und die des Racers in symbiotischer Manier vereinen.

Ein Classic-Racer, auf den ersten Blick. Einer, der aussieht wie ein perfekter, eigener Umbau und der vor der Haustür oder an der Tank­stelle genau diese Frage herausfordert. BMWs 9T Racer ist alte Schule, die gestalterischen Anklänge an die siebziger Jahre sind nicht zu übersehen. Die Ergonomie auch nicht. Wer sie kauft, muss sich ihr beugen, da hält sie, was die Optik verspricht. Wie lang der Tank und wie tief die Stummel tatsächlich sind, bleibt beim ersten Aufsitzen trotzdem eine Überraschung.

BMW R nineT Racer – 51,8 Prozent Last auf dem Vorderrad

Es muss meine selbstquälerische Ader sein. Ja, auch ich leide auf Strecke irgendwann unter dieser Haltung. Was war ich froh, auf unserer Montlhéry-Tour zwischendurch auf die R 1200 RS des Kollegen wechseln zu dürfen, ein echtes Weicheier-Krad im Kontrast. Doch ich steh drauf, wenn die eigenen Hände gefühlt zu den Klemmfäusten der Vorderachse werden. Nicht umsonst fahre ich mit Triumphs erster Speed Triple auch privat so eine Domina, die dich über ihren langen Tank rücksichtslos auf tiefe Stummel zwingt. Der Lohn? Die Herrschaft übers Vorderrad, zielführendes Gewicht auf der Front, eine herrisch gezogene, exakte Linie. Blank, also ohne Fahrer, liegt die Last zu 51,8 Prozent auf dem Vorderrad.

Viel Windschutz liefert die wunderschöne Halbschale dieses Single-Seaters ab Werk nicht. Genug aber, um dich auf der Suche nach entlastendem Winddruck auf der Brust zu immer höherem Speed zu treiben

Ein sportliches Straßenracer-Konzept auf Basis des Luft-Ölgekühlten gab es schon mal. 1998 stand die R 1100 S auf der Intermot, München nannte sie den ersten BMW-Supersportler seit 50 Jahren. Auch die Vorderradlast war gleich. Aber Supersport? Mmhh. Mit 98 PS und 97 Newtonmetern war der Boxer damals vergleichsweise schwach auf der Brust, die ganze Fuhre mit 235 Kilo vollgetankt zudem um einiges schwerer. Über 10 Sekunden brauchte sie im sechsten Gang von 60 auf 140 km/h, eine Übung, die die Racer in lässigen 7,5 Sekunden aus dem Ärmel schüttelt. Und die sich angesichts des unverschämten Power-Sounds ihres Flat Twins subjektiv noch schneller anfühlt.

Bei der BMW R nineT Racer ist die ­Gabel weiter durch die Brücken geschoben

Hing das Vorderrad der R 1100 S noch am Telelever, setzt die komplette weiß-blaue Heritage-Reihe auf die klassische Vorderradaufhängung. In der Front steckt – mit Ausnahme des Standardmodells mit der voll justierbaren 46er-Upside-down-Gabel – durchgängig das nicht einstellbare 43er-Standard-Teil. Bei der Racer ist die ­Gabel weiter durch die Brücken geschoben, was in ­etwas schärferen Geometriedaten resultiert – und einem klar erhöhten Kraftaufwand beim Aufzwingen deines Willens.

Nicht nur tiefe Lenkstummel tragen ihren Anteil an der sportlichen Ergonomie. Auch die Rasten sind im Vergleich zu den Schwestern weit hinten platziert

Je länger du mit dieser 9T unterwegs bist, umso schneller wirst du. Nicht nur, weil du dich an die ­etwas unharmonische Abstimmung der Federelemente gewöhnst – hinten okay, vorn zu weich –, sondern auch, weil du zur Entlastung deiner Arme immer mehr Wind vor der Brust haben willst. Besser wäre es da, die Halbschale abzuschrauben. Aber wie sähe das denn aus? Das Auge, es ist bei der Racer die halbe Miete. Dass es sie nur in diesem unverschämt weißen Lack gekrönt von den BMW-Motorsportfarben gab, ist wahrlich kein Makel.

Wer Racer fährt, sollte keinen Stock im Arsch haben

Die Stunde dieser 9T schlägt beim engagierten Hausstreckenritt, den Kopf immer am Anschlag im Nacken. Wer Racer fährt, sollte keinen Stock im Arsch haben, körperliche Geschmeidigkeit bringt auch die geschmeidigsten Fahrerlebnisse. Da darf man gern auch mal ­neben dem Tank hängen, das Ohr ganz nah am brodelnden Atem des Boxers. Stadt? Besser nicht. Auf der Racer wirst du sie hassen lernen, die Ortsschilder.

Stadt? Besser nicht. Auf der 9T Racer wirst du sie hassen lernen, die Ortsschilder

Im Gegensatz zu allen anderen 9Ts kam diese ­Version als Single Seater, die Höckerabdeckung lässt da keine Zweifel. Doch die gewählte Einsamkeit ist ­reversibel: Soziusrahmen samt Rasten und Sitz lassen sich leicht nachrüsten. Was das allerdings ­bringen soll, wenn der Fahrer gefühlt so weit weg ist, dass er auch auf ’nem anderen Motorrad sitzen könnte?

 

Fahrwerk
Mit tiefen Stummeln ein recht sturer Bock. Einlenken braucht eine harte Hand und klar gesetzte Impulse, in Schräglage immer etwas Druck am Lenker. Dank 17-Zoll-Front läuft sie in Schwung aber agiler als Modelle mit 19 Zoll. Nicht empfehlenswert sind die Drahtspeichenräder. Die sind zwar sehr nett anzusehen, wiegen aber an die 1,7 Kilo mehr – nur am Vorderrad. Rotierende Masse, die den Umgang mit dem sturen Tierchen nicht ­einfacher macht. Gabel nicht einstellbar, Federbein in Zugstufe und Vorspannung. Gabel für harte Fahrt schwach gedämpft. Hinten Zugstufe ab Werk zu straff justiert, öffnen und Vor­spannung erhöhen wirkt positiv aufs Handling. Bremse einfingertauglich, gut ­dosierbar. Geringster Lenkeinschlag aller 9T-Modelle. Testreifen Bridgestone T 30 Evo.

Praxis
Besonderheiten: Halb­schale, Rasten weiter ­hinten, Stummellenker, Gabel durchgeschoben. Sitzposition dem Fahrerdurchschnittsalter kaum angemessen, aber herrlicher Vorderradbezug – ­Racer eben. Wegen Halbschale erst ab ca. 90 km/h weniger Last auf den Armen, also laufen ­lassen! Kniewinkel noch okay, guter ­Knieschluss, Sitzbank anatomisch wenig angeformt, man sitzt auf den Kanten auf. Soziusrahmen nachrüstbar. Ausstattung überschaubar: keine Fahrmodi oder Regelelektronik, ASC, Alutank und Speichenräder optional. Single-Endtopf. ABS abschaltbar, Lenkungsdämpfer. Cockpit mit Analoguhren mit Bordcomputer und Ganganzeige, keine Tankuhr. Handhebel einstellbar. Kein Hauptständer. Ölschauglas, wartungsarmer Kardan, 10 000er-Wartungsintervall.

Emotionen
One-Man-Fitnessstudio und Alterstest in ­einem. Kann glücklich machen, aber meist nur auf den ersten 100 Kilometern.

 

Guido Kupper
Redakteur bei CUSTOMBIKE

Guido Kupper, fährt praktisch seit seiner Geburt in grauer Vorzeit Motorrad, hat mit dem Schreiben aber erst angefangen, als er schon sprechen konnte. Motorisierte Zweiräder hat er nur acht Stück zur Zeit, Keller und Garagen sind trotzdem voll. Sein letztes Ziel im Leben: Motorrad fahren und mal nicht drüber schreiben