Einmal im Jahr lädt Thierry zur »La Ruta del Nabab«. Das Abenteuer ist jedesmal ein anderes, aber es spielt sich immer auf dem Motorrad ab

Wir treffen uns alle in Marrakesch. Wir, das ist eine bunte Truppe mit Fahrern aus Europa, den USA, Lateinamerika und Afrika. Gesprochen wird französisch, englisch und spanisch. Einige von uns kennen sich von früheren Touren, aber ein paar neue Gesichter sind trotzdem jedes Mal dabei. »Al’Watlas – Al’Mar«, heißt die Tour in diesem Jahr – vom Atlas ans Meer. Es wird also vom Gebirge aus an den Atlantik gehen, hin und zurück auf maximal zehn Prozent Asphalt, der Rest unbefestigte Pisten, 1400 Kilometer insgesamt. Das alles ist ziemlich abenteuerlich, aber gut abgesichert.

Die gesamte „La Ruta-Crew“ auf einem Foto versammelt

Zu unserer Truppe gehört nämlich auch ein Support-Team samt 6×6-Lastwagen für Gepäck und Ersatzteile, auch ein Mechaniker-Team ist an Bord. Bei über zwanzig Motorrädern und rauen Pisten ist irgendwas halt doch immer irgendwas kaputt oder es wird eine neue Batterie oder dergleichen benötigt. Neben den offiziellen Mechanikern erweist sich später auch Francois, der mit einer stark ­modifizierten Mash 250 unter­wegs ist, als astreiner Mechaniker, er hat es einfach besser drauf als so mancher von uns.

Direkt mal auf die Schotterpiste

Erster Tag, tägliches Briefing, danach geht’s los Richtung Atlas-Gebirge, um zehn heißt es aufsatteln. 22 Fahrer sind wir dieses Jahr, jedes Motorrad irgendwie umgebaut, kein Plastik, so soll es sein. Der Lärm der Motorräder lässt die Marokkaner nicht kalt, überall werden wir lachend begrüßt und bewunken, als wir Marrakesch verlassen, und bald auch die geteerten Straßen. Wir erklimmen den ersten Pass, einer von vielen auf den staubigen und ausge­waschenen Pisten. Es ist heiß und die Stimmung ist ausgelassen. La Ruta 2022 hat begonnen! Nur unser Freund Bart hat ein kleines Durchfall-Problem, in regelmäßigen Abständen müssen wir auf ihn warten. Am Nachmittag streikt dann auch noch Barts GS, der Kardan ist gebrochen. Bart beendet den Tag mitsamt seiner BMW auf der Ladefläche des Pickup. Abends in Ouirgane auf dem Hotelparkplatz wird die BMW komplett zerlegt, der örtliche Schweißer bemüht sich um Schadensbegrenzung und verbindet die beiden Kardanstücke so gut es geht. Spät in der Nacht ist alles fertig und der Karden wieder eingebaut.

Keine Eingewöhnungszeit: Schnell wird der Asphalt im Rückspiegel gelassen, und durch ruppiges Gelände ersetzt

Wir sind gespannt, ob die Schweißarbeiten halten werden. Der nächste Tag kündigt sich schon morgens als sehr heiß an, aber sobald wir hoch in die Berge kommen, wird es angenehm kühl. Ein Pass nach dem anderen steht auf dem Plan, mit engen Serpentinen und steinigen Pisten, wir begegnen kaum jemandem. Danach ein trockenes Flussbett mit tiefem, weichen Sand – und wieder bergauf, bergab in gleißender Sonne. Die BMW macht bald wieder schlapp, die Schweißarbeiten haben sich nicht gelohnt, wieder ab auf den PickUp. Eine neue Kardan­welle wird geordert, aber es wird einige Tage dauern, bis die nachgeschickt werden kann. Zur Mittagspause wird außerdem der erste platte Reifen geflickt. Reicht aber noch nicht. Am Nachmittag stürzt Yvan bei einer Abfahrt, er kommt zum Glück mit Prellungen davon. Glück im Unglück für Bart, der Yvans XT übernehmen und bis ins Tagesziel nach Taroudant steuern kann.

La Ruta – Immer wieder Stürze

Am kommenden Morgen geht es früh raus, da wir einige Kilometer bis nach Agadir haben und wir nicht im Dunkeln ankommen möchten. Es geht über endlose Ebenen und extrem staubige Pisten und dann wieder in die Berge. Pierre hat eine extrem steile und schwierige Piste ausgesucht. Ich bin immer wieder überrascht, was die Motorräder aushalten. In einer Kurve legt Jerome sich hin und wäre beinahe den Abhang runtergestürzt. Außer einem Schrecken und ein paar Kratzern an der Transalp ist zum Glück nichts weiter passiert. Zwei platte Reifen kosten uns auch heute ein bisschen Zeit. Aber unsere Mechaniker wechseln die kaputten Schläuche trotz der extremen Hitze in Rekordzeit und als wir in Agadir ankommen, haben wir sogar noch Zeit an den Strand zu gehen. Am nächsten Morgen geht es Richtung Mirlef. Es ist eine einfache Strecke, die in dem kleinen Küstenort endet. Das Meer ist endlos blau und große weiße Wellen branden an den Strand, der sich vor uns bis zum Horizont erstreckt.

Neben ersten Technischen Problemen kamen auch die ersten obligatorischen Stürze dazu, glücklicherweise ohne ernste Verletzungen

Wir fahren direkt an der Brandung entlang, erst im nassen und relativ weichen Sand und später durch hohe Sanddünen. Vollgas  … was gibt es Besseres? Einfach zu geil in der salzigen Luft, es ist wie im Film. Aber irgendwie verlieren wir Christophe. Der gesamte Trupp hält an und wartet. Unser Guide Pierre macht sich auf die Suche nach dem Mitfahrer. Es dauert zwei Stunden, bis wir ihn wiedergefunden haben. Warum Christophe uns verloren hat, wird nie ganz aufgeklärt werden, aber er hatte wohl ein Kupplungsproblem mit seiner Enfield. Währenddessen amüsieren wir uns in den Dünen und am Strand und machen Fotos.
Der nächste Unfall ist zu diesem Zeitpunkt schon in Reichweite. Einige Kilometer weiter nämlich verliert Wynton die Kontrolle über seine Bonneville – natürlich bei einem kleinen Wheely – und reißt im Sturz den Schalthebel der Triumph ab. Die Schaltachse ist verbogen, Öl läuft aus, die Bonnie wird die Reise im Truck beenden, ihre Schäden sind nicht reparabel. Wynton darf fortan als Ersatz eine Enfield Himalayan nutzen. 

Wäsche waschen, Mopeds schrauben

Nach dem Tag am Atlantik geht es weiter Richtung Icht, der Tag wird heiß und staubig. Die Pisten schlängeln sich durch eine Berg-und-Tal-Landschaft, einige Bäume, ab und zu eine Oase mit Palmen. Wir begegnen einigen Kamelen, die nicht genau wissen, wo sie hinwollen und Yvan wird beinahe umgerannt. Nachmittags werden die Ebenen größer und leerer. Keine Bäume mehr und nur ganz selten einige Palmen, wenn wir durch ein trockenes Flussbett fahren. Eine wunderbare Steinwüste unter blauem Himmel. Joe fällt in einer Kurve samt seiner Honda XLV in ein Flussbett, aber außer Beulen im Tank und ein par Kratzern am Motor ist zum Glück auch hier nichts passiert.
Gemeinsam wird das Motorrad die Böschung hochgeschoben und weiter geht’s. Die Landschaft bleibt steinig und hügelig und rüttelt uns ordentlich durch. Mitten im Nichts bleibt die XT plötzlich liegen. Aber zum Glück ist Francois nicht weit. Mit dem Leatherman und einer Zange wird der Vergaser auseinandergebaut. Als Übeltäter stellt sich allerdings der Benzinfilter heraus. Kurzerhand einfach ausbauen, schon schnurrt der große Eintopf wieder wie ein Kätzchen. Drei Kilometer vorm Tagesziel erwischt es noch eine der Himalayans.

Der Pausetag wird gut genutzt: Die miefigen Klamotten waschen und ein bisschen Pflege für die Mopeds sind gut investierte Zeit

Ein abgerutschter Stecker hat die Elektrik unterbrochen, es dauert einen Augenblick, bis der Fehler gefunden und behoben ist. Müde und erschlagen kommen wir in unserem Camp Borj Birmane an. Es liegt völlig einsam mitten im Nichts am Fuße eines Berges. Hier werden wir zwei Nächte verbringen, da wir einen Pausentag haben. Ein bisschen erholen, Muskeln entspannen und die Motorräder kontrollieren, die haben doch mittlerweile alle gelitten. Der neue Tag lässt sich ruhig an. Es wird Wäsche gewaschen und die Stiefel werden ausgespült – aber vor allem wird geschraubt. Die Kardanwelle für die GS ist endlich da und das Motorrad wird zum dritten Mal auf dieser Reise komplett bis zum Getriebe auseinander gebaut, um nun die neue Kardanwelle einzubauen. Alle Luftfilter werden gereinigt, ein Reifen repariert. Die HP2 von Nelson und die Ducati von Vincente bekommen neue Hinterreifen. 

Auch die letzten Tage fordern Opfer

Der nächste Morgen begrüßt uns bewölkt und schwül und sehr warm. Es fallen einige Tropfen, aber dabei bleibt es. Geschlossen brechen wir auf und folgen Pierre Richtung Tata. Die Strecke führt uns über große, leere Ebenen, teilweise völlig ohne Spuren oder Pisten. Wir können alle nebeneinander fahren, ab und zu überqueren wir ein paar kleine Dünen und mittags suchen wir Schatten hinter vertrockneten Palmen, um unsere Sandwichs zu essen. Am Abend stellt Vincente fest, dass er sein Telefon verloren hat. Dank »find my iPhone« wissen wir genau, wo es liegt … fünf Motorradstunden zurück. Aber in Marokko gibt es immer wieder wunderbare Zufälle und äußerst hilfsbereite Menschen.
Es stellt sich heraus, dass der Schwager vom Bruder unseres Mechanikers Elhussain nur eine halbe Stunde vom georteten Telefon entfernt wohnt.

Auch der letzte Tag ist nicht ohne. Nach neun anstrengenden Tagen ist es aber nun geschafft, und das wird kräftig zelebriert!

Er macht sich sofort auf und findet das verlorene Telefon nach kurzer Suche. Seine Tochter wird es am nächsten Tag vorbeibringen. Wunderbar. So bleiben ein verbogener Lenker, eine abgerissene Lampe, drei kaputte Reifen und eine verstauchte Hand die einzigen Opfer des Tages. Der siebte Tag führt uns nach Talliouine. Die Piste lässt sich teilweise so schnell fahren, dass man Angst bekommt; ein paar Sprünge sind auch dabei. Dann mal wieder ein sandiges Flussbett zwischen senkrechten Felswänden, einmalig!
Nach dem Mittagessen geht’s steil aus dem Tal hinaus nach Talliouine, hier werden wir unsere letzte Nacht verbringen.An diesem Abend verabschiedet sich Wyntons Enfield endgültig, das letzte Ersatzmotorrad – eine Enfield Bullet, modi­fiziert und in Natogrün – kommt zum Einsatz. Allerdings sieht der groß gewachsene Wynton auf dem kleinen Motorrad etwas merkwürdig aus. Nun gut, für die letzte Etappe wird es schon gehen und allemal besser als ein Soziusplätchen. Unser letzter Tag, es geht wieder nach Marrakesch.

Letzte Pisten, letzter Staub auf der La Ruta

Die letzten Pisten, der letzte marokkanische Staub. Ein letzter platter Reifen in einem kleinen Ort mit einem Laden. Wir warten im Schatten, trinken kalte Cola und kaufen, was der Laden so hergibt – bis der Reifen repariert ist. Am frühen Nachmittag kommen wir in unserem Hotel in Marrakesch an. Zufrieden und müde nach neun Tagen auf den Motorrädern.
Es ist heiß, ein Pool und ein kaltes Bier sind jetzt dringend nötig. Und vor allem raus aus den stinkenden Stiefeln! Es wird ein großartiger Abend. Wir feiern die Reise bei vielen Bieren. Und übrigens, nie zuvor gab es so wenige Stürze und Pannen wie dieses Mal, ganz ehrlich! Wer mehr Marokko-Feeling will, scrollt nach unten und klickt sich durch unsere Bildergalerie – einfach schön.

Info | La Ruta del Nabab

Carsten Heil, hat die typische Zweiradkarriere der 80er-Jahre-Jugend durchgemacht: Kreidler Flory (5,3 PS), 80er-Yamaha DT und mit achtzehn dann die erste 250er Honda. Nach unzähligen Japanern über Moto Guzzi ist er dann schließlich bei Rohrrahmen-Buell gelandet. Seit 1992 mit Fotoapparat und Schreibgerät in Sachen Kradkultur unterwegs.